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Magazin Mitbestimmung

: dazu Interview mit ver.di-Gewerkschaftssekretär Johann Rösch 'Das Insolvenzrecht ist schräg'

Ausgabe 03/2010

Im deutschen Einzelhandel gibt es große Überkapazitäten. Wo kann gewerkschaftliche Arbeit da noch ansetzen?
Viele Arbeitgeber versuchen, sich aus den Tarifverträgen zu lösen, der Preiswettbewerb führt bei einigen Discountern zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. Hier ist es wichtig, die Gründung von Betriebsräten zu unterstützen. Skandale wie bei Lidl, Schlecker oder KIK müssen weiterhin öffentlich gemacht werden. Und wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn, um die Spirale nach unten zu stoppen.

Ist die harte Konkurrenzsituation im Einzelhandel der Grund für die vielen Insolvenzen wie bei Hertie, Woolworth oder Arcandor?
Die genannten Insolvenzen sind nicht vom Markt verursacht worden, sie gehen auf Fehlentscheidungen des Managements zurück. Wer die Wünsche der Kunden ignoriert, kein klares Marktkonzept hat und die Manager schneller wechselt als die Sortimente, wird nicht erfolgreich sein. Wie jene, die erst ihre Immobilien verkaufen und danach teuer zurückmieten: In einigen Filialen mussten mehr als 20 Prozent des Umsatzes für die Miete aufgewendet werden. Unter solchen Bedingungen lässt sich natürlich kein Geld verdienen.
 
Wie kann ver.di die Beschäftigten besser schützen?
Gegen unfähige Manager haben wir wenig Chancen. Aber was dringend geändert werden muss, ist das Insolvenzrecht. Heute ist der Insolvenzverwalter gesetzlich verpflichtet, alle Gläubiger gleichzubehandeln - also Banken, Warenkreditversicherer, Lieferanten und Beschäftigte. Das ist schräg, weil die wirtschaftlichen Realitäten völlig ausgeblendet werden. Die Beschäftigten sind doch die Schwächsten in der Kette.

Welche Ansprüche haben sie überhaupt?
In der Regel geht der Insolvenz ein Personalabbau voraus, und dabei werden Sozialpläne abgeschlossen mit Abfindungen für die Beschäftigten. Die kommen jedoch nach der Anmeldung der Insolvenz in der Regel nicht mehr zum Tragen. Auch abgeschlossene Altersteilzeitverträge werden zum "Störfall" und müssen häufig rückabgewickelt werden. Auf die Ansprüche aus dem Insolvenzsozialplan müssen die Beschäftigten bis zum Ende des Verfahrens warten. Das dauert Jahre, ehe klar ist, ob es noch eine verfügbare Masse für den Sozialplan gibt. Photo Porst ging 2002 in die Insolvenz - die Leute haben 2008 nur noch einen kleinen Teil der ohnehin geringen Sozialplanansprüche in der Insolvenz erhalten. Die Beschäftigten brauchen aber gerade in einer Insolvenz jeden Euro, und zwar zeitnah.

Wie hoch sind Abfindungen bei einer Insolvenz?
Für den Sozialplan stehen maximal zweieinhalb Monatsverdienste zur Verfügung. Dies ist einfach lächerlich und wird gerade von langjährig Beschäftigten als Hohn empfunden. Wir wollen Veränderungen im Insolvenzrecht, denn wir befürchten, dass uns das Thema in den Jahren 2010/11 weiterhin intensiv beschäftigen wird. Immerhin haben einige Politiker in den Parteien, ja selbst in der Regierung nach der Arcandor-Insolvenz anerkannt, dass hier Änderungen nötig sind.

Wenn aber kaum noch was zu verteilen ist, dann haben die Beschäftigten auch nicht viel von einem gerechteren Insolvenzrecht.
Bei einer Insolvenz sind eine schnelle Qualifikation und eine wirksame Jobvermittlung der Beschäftigten wichtig. Bei Quelle existierte keine ausreichende Liquidität mehr für die Finanzierung von Transferaktivitäten. Auch bei Woolworth gab es zuerst die Absicht, eine Transfergesellschaft über einen Zeitraum von zwölf Monaten zu installieren, und nun ist nach sieben Monaten Schluss. Das ist zu kurz, um Umstiegsqualifizierungen zu ermöglichen. Wir fordern deshalb, dass Transfergesellschaften auch mit Mitteln des EU-Globalisierungs- und -Sozialfonds finanziert werden, damit die Menschen verbesserte Chancen für einen neuen Job auf dem Arbeitsmarkt haben. Die bisherige Praxis ist sehr unterschiedlich, wenig transparent und wird von ordnungspolitischen Bedenkenträgern geprägt.

Die Fragen stellte Annette Jensen./Foto Peter Frischmuth/argus

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