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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Die politische Kultur wird eingeschwärzt'

Ausgabe 04/2010

Guntram Schneider, der DGB-Vorsitzende in Nordrhein-Westfalen, über die Bedeutung der Landtagswahlen im größten Bundesland und warum alles andere besser wäre als weiter eine schwarz-gelbe Regierung.

Das Gespräch führten CORNELIA GIRNDT und MARGARETE HASEL/Foto: Karsten Schöne

Ob die in Berlin so weitermachen können, darüber entscheidet auch die NRW-Wahl. Bekommt da der DGB-Vorsitzende in NRW ein besonderes Gewicht?
Natürlich haben die Wahlen im größten Bundesland auch bundespolitische Bedeutung. Das Ergebnis am 9. Mai entscheidet darüber, ob die schwarz-gelbe Bundesregierung über eine Mehrheit im Bundesrat durchregieren kann oder ob es ein Bollwerk gibt gegen eine doch marktradikal eingefärbte Politik von Schwarz-Gelb. Im Moment wollen alle Parteien in Nordrhein-Westfalen dem DGB nur Gutes. Was davon über den 9. Mai hinaus anhalten wird, werden wir sehen.

Landtagswahlen in NRW haben immer bundespolitische Trends vorweggenommen. Die sozial-liberale Koalition wurde in Nordrhein-Westfalen geboren …
Das war 1966 unter Ministerpräsident Heinz Kühn und Innenminister Willi Weyer von der FDP, der ein Wirtschaftsliberaler war. Daraus ist die Regierung Brandt-Scheel geworden.

Ähnlich dramatisch war es vor fünf Jahren, als kurz nach den ersten Hochrechnungen Franz Müntefering Neuwahlen im Bund ankündigte. Woher kommt diese Bedeutung?
Zunächst einmal ist es die Größe. Nordrhein-Westfalen ist das siebzehntgrößte Industrieland der Welt. NRW hat eine größere Volkswirtschaft als Australien. Hinzu kommt, dass hier das traditionelle Parteiensystem sehr ausgeprägt ist, aber auch Neuerungen hinzugekommen sind. NRW war nach Hessen das erste Bundesland, wo die Grünen mitregiert haben.

Vor fünf Jahren ist Schwarz-Gelb an die Macht gewählt worden mit dem selbst ernannten Arbeiterführer Rüttgers an der Spitze. Hat dieser Wechsel die politische Landschaft in NRW verändert?
Selbstverständlich, auch für die Gewerkschaften. Die ersten zwei Jahre mit der Regierung Rüttgers war politische Eiszeit, da gab es keinen Konsens in keiner relevanten politischen Frage. Wir haben mal eine Liste erstellt mit 20 oder 22 Punkten, die zu unseren Lasten gegangen sind - ich erinnere an das Landespersonalvertretungsgesetz und an das Tariftreuegesetz.

Damals sah man den DGB-Vorsitzenden häufiger vor als in der Staatskanzlei?
Richtig, und zwar demonstrierend auf der Wiese vor dem Landtag. Denn Nordrhein-Westfalen ist auch Gewerkschaftsland. Über die Mitbestimmung und ihre Bedeutung für die traditionellen, aber hochmodernen Industrien sind die Gewerkschaften in der Kultur dieses Landes tief verwurzelt. Auch Rüttgers musste letztlich einsehen, dass er diese absolute Konfrontation nicht durchhalten kann. Ich erinnere mich sehr genau an einen Abend in der Staatskanzlei - daraus ist der Branchendialog entstanden, den wir jetzt seit knapp zwei Jahren pflegen sowie die Initiative "Pro Industrie und Nachhaltigkeit". Die Atmosphäre hat sich seither erheblich verbessert, doch die materielle Konsequenz dieser Politik lässt aus der Sicht der Gewerkschaften nach wie vor sehr zu wünschen übrig.

Trotzdem hat der DGB-Vorsitzende Schneider vor wenigen Tagen aus den Händen des Ministerpräsidenten den Zukunfts- und Innovationspreis des Landes NRW entgegengenommen. Und Rüttgers steht als jemand da, bei dem Arbeitnehmerinteressen gut aufgehoben sind. Ist der Schulterschluss eine indirekte Wahlempfehlung?
Das ist er nicht. Als Einheitsgewerkschaft geben wir keine Wahlempfehlung. Wir sagen allerdings, dass Schwarz-Gelb für die Arbeitnehmer und ihre Interessen die schlechteste Lösung ist. Ich habe die Befürchtung, dass bei weiteren fünf Jahren Schwarz-Gelb auch die politische Kultur in diesem Lande eingeschwärzt wird. Man will die in 39 Jahren entstandenen sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Milieus schleifen. Deshalb sind diese Wahlen auch für das Land so wichtig, weil für die Gewerkschaften die schwarz-gelbe Regierung die schwierigste Konstellation ist. Alles andere wäre besser.

Vor Kurzem haben der CDU-Ministerpräsident und sein Arbeitsminister Laumann gemeinsam mit dem DGB zur Betriebsratswahl 2010 aufgerufen. Wie lang hat der DGB-Vorsitzende Schneider überlegt, ob er mitmacht?
Keine Minute. Eine Woche zuvor haben wir übrigens gemeinsam mit der SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft ebenfalls zur Betriebsratswahl aufgerufen.

Die Einheitsgewerkschaft ist eine Verpflichtung …
Gerade in Nordrhein-Westfalen! Deshalb habe ich auch immer betont, dass meine Stellvertretung in CDA-Hand sein muss. Dieses Land ist auch das Stammland der Sozialausschüsse. Hier gibt es so etwas wie Rheinischen Kapitalismus.

Den jetzt Rüttgers auf seine Fahnen geschrieben hat?
Man sollte ihn und seine Politik auch nicht überschätzen. Rüttgers hatte im Herbst 2007 immense Schwierigkeiten, da standen ja nicht nur Gewerkschafter protestierend vor dem Landtag, da waren auch die Änderung der Gemeindeordnung, das Sparkassengesetz und vor allem das neue Kinderbildungsgesetz heftig umstritten.

Rüttgers reagierte auf den politischen Druck?
Ich habe damals an den CDU-Landesvorsitzenden Rüttgers einen Brief geschrieben und ihm mitgeteilt, dass unser Kleinkrieg weder im Interesse der CDU noch der Gewerkschaften noch des Landes ist. So kam dann Bewegung hinein. Der DGB muss politikfähig sein, und das beginnt bei der Gesprächsfähigkeit mit allen politischen Kräften.

Auch mit der Linkspartei, auf deren Wahlparteitag im vorigen Jahr Sie aufgetreten sind? Dort wurde die Verstaatlichung der Energiekonzerne und die 30-Stunden-Woche mit Lohnausgleich beschlossen und vieles mehr. Was sagt der DGB-Vorsitzende den Gewerkschaftsmitgliedern, die Links wählen möchten?
Ich beobachte, dass in dieser Partei sehr viele qualifizierte Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen mitarbeiten, die sich aber, wenn es um Funktionen in dieser Partei geht, in bemerkenswerter Weise zurückhalten. Was da verabschiedet worden ist und in der Öffentlichkeit Stein des Anstoßes war, sind spätpubertäre politische Überlegungen, die mit der konkreten Landespolitik wenig zu tun haben.

Ist die Linke mit diesem Programm regierungsfähig?
Ein Teil kann es nicht, ein anderer Teil will es nicht. Doch gerade in schwierigen Zeiten brauchen wir - ich bin nun mal ein unverbesserlicher Reformist - eine arbeitnehmerfreundliche Regierung, damit das Thema soziale Gerechtigkeit nicht gänzlich untergepflügt wird. Da muss man sich der Verantwortung stellen. Mehr wissen wir am 9. Mai um 18.15 Uhr. Eine von der Linkspartei tolerierte Landesregierung kann ich mir allerdings nicht vorstellen.

Eine Tolerierung von Rot-Grün durch die Linkspartei wird es nur geben, wenn die Gewerkschaften sehr viel Druck auf die Linkspartei machen, schrieb die "taz".
Da sollte man die Gewerkschaften nicht überschätzen, auch wenn wir in diesem Land sicherlich einigen Einfluss haben. Doch eine Tolerierung wird es nicht geben, weil das nach den Regeln dieser Partei bedeuten würde, dass immer vor schwierigen Entscheidungen eine Urabstimmung stattfindet, und das ist bei 7500 Mitgliedern ein Lotteriespiel. So kann man nicht die siebzehntgrößte Industrienation der Welt regieren. Da sind sich Grüne und Sozialdemokraten einig. Und eine Dreier-Koalition ist unter den derzeitigen Bedingungen auch nicht machbar. Da gibt es zu starke Widersprüche und Widerstände innerhalb der Linkspartei.

Bleibt eine große Koalition?
Für die Gewerkschaften wäre Rot-Grün das Beste. Die Sozialdemokratie hat sich immer als staatstragende Kraft verstanden. Das war nicht immer nur gut. Doch in Krisenzeiten steht die Sozialdemokratie, die Gewerkschaften im Schlepptau, immer als Krisenregulator bereit. Während die anderen, die die Krise verursacht haben, sich aus der Verantwortung stehlen. Eine große Koalition muss sich die SPD überlegen, damit hat sie nicht nur gute Erfahrungen gesammelt.

Die parteipolitische Präferenz des DGB-Vorsitzenden wurde spätestens im vergangenen Jahr publik, als Sie in Bielefeld um ein SPD-Bundestagsmandat kämpften - und knapp unterlagen. Was hat Sie gereizt, das Parkett zu wechseln?
Die Gewerkschaften sind auch in der SPD-Bundestagsfraktion nicht so zahlreich vertreten, wie es eigentlich sein müsste. Dabei hängt die Interessenvertretung der Arbeitnehmer zunehmend von politisch-parlamentarischen Entscheidungen ab. Die beste Betriebsarbeit, die beste Tarifpolitik kann nicht ausbügeln, was in den Parlamenten aus unserer Sicht falsch gemacht wird. Wir haben zu viel von diesem Nur-Gewerkschaftertum, wie ich das nenne. Ich bin deshalb der traditionellen Ansicht, dass Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sich auch in den politischen Parteien engagieren müssen.

Wahlkampf findet nicht nur vor Fabriktoren statt. Hat der DGB-Vorsitzende bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass er in der Mitte der Gesellschaft steht?
In Städten wie Bielefeld müssen wir noch daran arbeiten, in die Mitte zu kommen. Es gibt da eine sehr fest gefügte Stadtgesellschaft mit einer linksliberalen FDP und einer bemerkenswerten Grünen Partei, die weit liberaler ist als auf Landesebene. Die haben mir keine Erststimmen gegeben. Das werfe ich niemandem vor, sondern ziehe daraus den Schluss, dass die Gewerkschaften sich noch mehr als bisher öffnen müssen. Wir dürfen uns nicht nur mit sozialpolitischen Fragen beschäftigen, damit es denjenigen, denen es jetzt schlecht geht, besser geht. Wir müssen uns auch mit denen beschäftigen, die Arbeit haben, die von ihrer Arbeit leben, die Steuern zahlen, die den Kern dieser Gesellschaft ausmachen. Und wir müssen uns auch öffnen gegenüber Umweltinitiativen.

Diese Erfahrungen können jetzt nützlich sein - im Kompetenzteam von Hannelore Kraft. Beiden, SPD wie Gewerkschaften, muss der Spagat gelingen zwischen den Interessen der Menschen, die arbeiten und den Sozialstaat finanzieren, und denjenigen, die von den Transferzahlungen leben. Brauchen wir eine Debatte um Gerechtigkeit?
Natürlich brauchen wir eine Debatte über die Strukturen des Sozialstaates. Mit Westerwelle und seiner durchsichtigen Absicht, eine Bevölkerungsgruppe gegen die andere aufzubringen in der Hoffnung, die eigene Wählerschaft zu stabilisieren, kommen wir allerdings nicht weiter. Wir müssen vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der absehbaren Beschäftigungsentwicklung neu nachdenken. Denn mit symbolischen Forderungen nach unbefristeten, gut bezahlten Arbeitsplätzen für alle kommen wir auch nicht weiter. Gewerkschaften können nicht immer nur ablehnen. Unsere Mitglieder erwarten auch von uns mehr Kreativität gerade in der Sozial- und auch in der Wirtschaftspolitik. Da müssen wir konzeptionell nacharbeiten.

"Wir wollen einen grundlegenden Politikwechsel", heißt es im aktuellen Wahlaufruf des DGB. Was ist in den letzten Jahren versäumt worden?
Wir müssen die Ökologisierung der Industrie voranbringen. Wir wollen, dass Nordrhein-Westfalen Industriestandort bleibt und auch künftig beim Export die Nase vorn hat. In diesen Fragen gibt es auch große Übereinstimmung mit den Grünen. Wie sie fordert der DGB ein Langfristprogramm zur energetischen Gebäudesanierung. Das ist wunderbar geeignet, um auch die Binnenwirtschaft zu stabilisieren. NRW ist das Land der Mietwohnungen, da könnte man Arbeit und Umwelt zusammenbringen. Dazu ist übrigens der Deutschlandplan von Frank Walter Steinmeier eine hervorragende Diskussionsgrundlage.

ZUR PERSON

Guntram Schneider, 58, ist gebürtiger Westfale und in der Wolle gefärbter Gewerkschafter. Nach einer Werkzeugmacherlehre waren Münster - dort als DGB-Jugendsekretär - und Frankfurt am Main - dort beim IG-Metall-Vorstand zuständig für die Angestelltenarbeit - wichtige Stationen seiner Biografie. Seit 2006 steht er an der Spitze des DGB-Landesbezirks Nordrhein-Westfalen. Der Sozialdemokrat und "unverbesserliche Reformist", wie er sich selbst bezeichnet, vertritt 1,6 Millionen gewerkschaftlich organisierte Wähler. Vor wenigen Tagen hat ihn Hannelore Kraft, die SPD-Spitzenkandidatin in NRW, in ihr Kompetenzteam berufen.

 

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