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Magazin Mitbestimmung

Von GUNNAR HINCK: Immobilienkonzern Deutsche Wohnen verbreitet Angstkultur

Ausgabe 11/2016

Betriebsrat Die Deutsche Wohnen, der zweitgrößte Immobilienkonzern Deutschlands, schüchtert Mitarbeiter ein, die einen Betriebsrat gründen wollen; und verhindert, dass sie im Aufsichtsrat Sitz und Stimme haben.

Von GUNNAR HINCK

Die Aktionäre des Immobilienkonzerns „Deutsche Wohnen“ können sich freuen. Der mit 150.000 Wohnungen zweitgrößte Vermieter in Deutschland hat im ersten Halbjahr 2016 wieder einen hohen Gewinn eingefahren – 620 Millionen Euro sind es diesmal. Der Kurs der im „MDax“ notierten Aktiengesellschaft hat sich seit 2014 mehr als verdoppelt.

Von daher ist die Deutsche Wohnen AG für Investoren eine gute Adresse – für die Beschäftigten weniger. Ehemalige Mitarbeiter und ver.di berichten von einer „Angstkultur“ im Unternehmen und davon, wie Versuche, einen Betriebsrat zu gründen, vom Unternehmen verhindert würden.

Tricks mit der Rechtsform

Mehr noch: Obwohl die im „MDax“ notierte Aktiengesellschaft mit knapp über 750 Mitarbeitern unter das Drittelbeteiligungsgesetz fällt, fehlen im Aufsichtsrat Arbeitnehmervertreter völlig. Um dies zu erreichen, bedient sich das Unternehmen eines legalen Tricks: Die Mehrzahl der Beschäftigten ist auf drei formal eigenständige GmbHs, 100-prozentige Töchter, verteilt. Die eigentliche Deutsche Wohnen AG firmiert laut Geschäftsbericht als Holding, die nur 150 Mitarbeiter beschäftigt.

Das Drittelbeteiligungsgesetz schreibt zwar vor, dass alle Arbeitnehmer dem Gesamtkonzern zuzurechnen sind. Allerdings nur, wenn es einen Beherrschungsvertrag zwischen Konzerngesellschaft und Tochterunternehmen gibt – oder diese in das „herrschende Unternehmen eingegliedert sind“. Der Begriff „eingegliedert“ ist der Haken. „Eine faktische Steuerung über die Mehrheitsbeteiligung reicht dabei nicht aus, um als eingegliedert zu gelten. Leider nutzen viele Unternehmen diese Lücke und können so der Drittelbeteiligung legal entgehen“, sagt Martin Lemcke, bis vor kurzem Bereichsleiter Mitbestimmung bei ver.di.

Ein Blick zurück ist nötig, um die Mitbestimmungsvermeidung des Wohnungsriesen zu verstehen. Das Unternehmen ist durch die Privatisierungen auf dem deutschen Wohnungsmarkt entstanden. In den neunziger Jahren verkauften viele Unternehmen ihre Werkswohnungen und mehrere Bundesländer ihre Wohnungsbestände. Die Deutsche Bank griff zu und kaufte 1998 die „Heimstätte“ des Landes Rheinland-Pfalz und die Werkswohnungen der Hoechst AG. Daraus formte sie die Deutsche Wohnen, die sie kurz danach an die Börse brachte. Das Unternehmen ist auf dem Reißbrett entstanden und ohne gewachsene Geschichte.

Das waren soziale Wohngesellschaften mit Mitbestimmungskultur

Erst richtig groß wurde die Deutsche Wohnen durch den (damals umstrittenen) Kauf zweier landeseigener Berliner Wohnungsbaugesellschaften, – der Gehag GmbH im Jahr 2007 und der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft, GSW, sechs Jahre später. Die GSW war in West-Berlin mit 70.000 Einheiten der größte Wohnungseigentümer. GSW und Gehag wurden in den 1920er Jahren gegründet und stehen für den vorbildlichen sozialen Wohnungsbau dieser Jahre. Architekten wie Bruno Taut bauten für sie Wohnanlagen wie die „Hufeisensiedlung“ in Berlin-Neukölln im Stil der klassischen Moderne, die heute Unesco-Welterbe-Status haben. GSW und Gehag hatten neben der Sozialverpflichtung als kommunale Unternehmen auch eine ausgeprägte Mitbestimmungskultur mit starken Betriebsräten. Die kapitalmarktgetriebene Deutsche Wohnen reduzierte die Belegschaften durch Abfindungen und Kündigungen; die verbliebenen Mitarbeiter wechselten in die neue Gesellschaft. Dadurch wurden die alten Arbeitnehmer-Gremien der geschluckten Unternehmen entmachtet. Von der alten GSW haben nur noch drei Betriebsräte befristete Restmandate.

Eine ehemalige Führungskraft, die aus der GSW stammt und inzwischen per Abfindung ausgeschieden ist, berichtet von einem mitbestimmungsfeindlichen Klima in der Deutschen Wohnen. „Der Vorstand will alle Überbleibsel der zugekauften kommunalen Unternehmen heraushaben. Denn ein Betriebsrat stellt Fragen und ist unbequem“, sagt sie. Das Unternehmen werde, so die ehemalige Führungskraft, vom Vorstandsvorsitzenden Michael Zahn „autoritär“ und „sehr hierarchisch“ geführt.

Druck, Drohungen, Abfindungsangebote

Eine Gruppe von ehemaligen Mitarbeitern der GSW, die von der Deutschen Wohnen übernommen worden waren, hat 2015 versucht, in ihrer Tochtergesellschaft – der Deutsche Wohnen Kundenservice GmbH – einen Betriebsrat zu gründen. Es schien ein günstiger Moment zu sein: „Nach der Aufregung um die Fusion war Ruhe eingekehrt. Außerdem standen das Auslaufen der Arbeitsplatzgarantie und der Tarifbindung bevor. Dagegen wollten wir uns wehren“, sagt Tobias Krug (Name geändert). „Mein Abteilungsleiter riet mir, das nicht zu tun, weil wir sonst in Teufels Küche kämen.“

Er und seine Mitstreiter ließen sich nicht beirren und bereiteten die Wahl eines Wahlvorstandes vor. Ihre Namen wurden im Unternehmen bekannt – was Folgen hatte: Ein Kollege mit befristetem Arbeitsvertrag erhielt laut Krug einen Anruf des Vorgesetzten, der ihm nahelegte, die Finger vom Vorhaben zu lassen. Der Kollege folgte der Empfehlung, die eigentlich eine Drohung war. „Wenn man Angst um seinen Job hat, ist man natürlich leicht unter Druck zu setzen“, sagt Tobias Krug. Er selbst wurde wenig später vom Geschäftsführer zu einem Gespräch einbestellt: „Er fragte mich, ob ich glaube, dass ich noch an der richtigen Stelle arbeite, und bot mir eine Freistellung plus Abfindung an.“ Die Betriebsratspläne erwähnte der Geschäftsführer nicht, aber für Krug ist der zeitliche Zusammenhang offensichtlich. Tobias Krug nahm das Angebot schließlich an; seine Mitstreiter verließ der Mut. Ihr Projekt Betriebsrat war gescheitert.

Immobilienbranche mit zunehmend weniger Gewerkschaftsbindung

Barbara Tulke ist bei ver.di Berlin-Brandenburg die zuständige Gewerkschaftssekretärin für die Immobilienbranche und kennt den Druck bei der Vorbereitung von Betriebsratswahlen: „In schwierigen Unternehmen, und dazu zählt die Deutsche Wohnen, muss man die Gewerkschaft einbeziehen.“ Gewerkschaften können damit beauftragt werden, die Wahl des Wahlvorstands zu organisieren. Dadurch werden die Initiatoren im Betrieb geschützt, weil sie zunächst anonym bleiben. Auch kann die Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstands von der Gewerkschaft geleitet werden.

Dazu kommt die Erosion bei den Gewerkschaftsmitgliedern. So lag der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der übernommenen GSW zuletzt noch bei rund 25 Prozent, womit eine Wechselwirkung in Gang gesetzt wurde. Eine Gewerkschaft wird bei Mitbestimmungsthemen nicht mehr automatisch zu Rate gezogen – und für den Gewerkschaftsbezirk steht das Unternehmen nicht mehr ganz oben auf der Prioritätenliste.

Barbara Tulke stellt auch einen Wandel in der Branche fest. „Junge Mitarbeiter haben oft keinen Bezug mehr zu Betriebsräten“, sagt sie. Dadurch fehle es an einer kritischen Masse an engagierten Mitarbeitern, für die eine Betriebsratsgründung selbstverständlich ist und die das auch gemeinsam und nachdrücklich vertreten. Einzelne Aktive könne ein Unternehmen leicht isolieren. Die Branchenkennerin von ver.di erklärt die Passivität der Belegschaften mit einer Mischung aus „purer Angst“ vor Arbeitsplatzverlust und einem Wandel der Arbeit in der Branche: „Auf Sachbearbeiterebene sind die Prozesse immer standardisierter geworden. Eigenständiges Arbeiten wird weniger als früher verlangt.“ Das habe Konsequenzen für das Selbstbild und die Kampfbereitschaft der Mitarbeiter.

Manuela Damianakis, die Sprecherin des Unternehmens, sagt: „Wir sind ein nicht mitbestimmtes Unternehmen.“ Die Aufspaltung der AG in einzelne GmbHs sei eine freie unternehmerische Entscheidung. Was einen Betriebsrat angehe, scheine es kein Bedürfnis danach zu geben, so Damianakis. „Die Unternehmensleitung würde es nicht hintertreiben, wenn es dieses Bedürfnis gebe“, sagt sie.

Anstelle eines Betriebsrats existiert eine „Fokusgruppe“, ein 20-köpfiges Gremium von Arbeitnehmern, das mit dem Vorstand über Verbesserungswünsche auch in Tarif-Angelegenheiten reden könne, heißt es. Die „Fokusgruppe“ wird allerdings nicht in einem ordentlichen Verfahren gewählt und hat keine gesetzlichen Mitbestimmungsrechte. Für Barbara Tulke ist so eine Veranstaltung ein „Alibi“, um den Anschein zu erwecken, man beteilige die Mitarbeiter. Doch „einen Betriebrat können derartige Gremien ohne verbindlichen Rechte und Ansprüche nicht ersetzen“, sagt sie.

Fotos: dpa-Zentralbild/Euroluftbild, Manfred Krause/dpa, Michael Hughes

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