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Magazin Mitbestimmung

Autozulieferer: Hartes Geschäft

Ausgabe 06/2015

Neue Technologien, Abgasbeschränkungen und eine zweite Globalisierungs­runde stellen die Autozulieferer und ihre Belegschaften vor neue Herausforderungen. Eine Konferenz der Hans-Böckler-Stiftung in Leipzig will Mitte Juni Hersteller- und Zulieferer-Betriebsräte miteinander ins Gespräch bringen. Von Michaela Namuth

Vor einigen Tagen alarmierte eine Nachricht die internationale Autowelt – und die deutschen Autofahrer: Der japanische Autozulieferer Takata muss in den USA fast 34 Millionen Fahrzeuge mit möglicherweise defekten Airbags zurückrufen. Das Problem: Die Airbags könnten, vor allem bei hohen Temperaturen, explodieren und haben in den USA bereits mehr als 100 Verletzte und sechs Tote verursacht. Zu den betroffenen Automarken gehören Fiat Chrysler, Ford, General Motors, Honda, Mazda, Mitsubishi, Nissan, Subaru, Toyota – aber auch der deutsche Premiumhersteller BMW. In Deutschland gab es bislang keine Rückrufaktion, Behörden und Hersteller argumentieren mit dem kühleren Klima. Takata produziert etwa jeden fünften Airbag weltweit und betreibt auch mehrere Werke in Deutschland. „Takata liefert an alle“, erklärt Branchenkenner Ferdinand Dudenhöffer.

WERTSCHÖPFUNG IM WANDEL

Die Konzentration auf wenige Hersteller, deren Teile bzw. Module in allen Automarken stecken, ist der Trend in der globalen Zulieferindustrie. Diese Entwicklung bedroht vor allem die Existenz der kleinen und mittelgroßen Betriebe. Das bestätigte unlängst auch Heinz Junker, Chef des schwäbischen Autozulieferers Mahle, in einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“: „Marktanteile sind in unserem Geschäft wichtig. In der Regel reichen drei Anbieter auf dem Weltmarkt aus“, so der Manager. Dadurch steigen Konkurrenz- und Kostendruck. Qualität und Sicherheit bleiben oft auf der Strecke – sowohl beim Produkt als auch bei der Produktion. Die Beschäftigten von Mahle, mit rund zehn Milliarden Euro Umsatz der viertgrößte Autozulieferer der Republik, spüren diesen Druck seit Jahren. Die Betriebsräte der deutschen Standorte des Unternehmens, das rund um den Globus Motorenkomponenten und Filter fertigt, haben bereits in den vergangenen Jahren Zugeständnisse gemacht und auf übertarifliche Vertragsbestandteile verzichtet. „Jetzt geht es ans Eingemachte“, sagt Uwe Schwarte, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats.

Die Geschäftsführung will die Personalkosten in Deutschland senken und bis 2019 einige Hundert der rund 14 000 Arbeitsplätze abbauen. In einzelnen Werken soll es verlängerte Arbeitszeit ohne Entgeltausgleich geben. Angesichts dieser drastischen Forderungen haben die Betriebsräte und die IG Metall zunächst die Verhandlungen mit dem Management ausgesetzt. Inzwischen gibt es ein gemeinsames Eckpunktepapier, in dem die vereinbarte Beschäftigungssicherung um drei Monate verlängert wird. „Die drastischen Forderungen der Geschäftsführung sind damit aber nicht vom Tisch“, erklärt Schwarte. Er und die anderen Belegschaftsvertreter im Mahle-Konzern wollen nicht nur auf Unternehmensentscheidungen reagieren, sondern eigene Themen vorgeben, bei denen es um die Zukunft der deutschen Standorte insgesamt geht.

Die Automobilindustrie steht vor einem epochalen Wandel. Die Themen der Zukunft sind Globalisierung, CO²-Reduzierung, Leichtbau, Elektromobilität und Digitalisierung. Der Zulieferer-Koloss Bosch kündigte bereits an, dass er in wenigen Jahren mehr Soft- als Hardware produzieren wird. Unternehmen wie Mahle, die Komponenten für Verbrennungsmotoren fertigen, müssen ihre Produktion in den kommenden zehn bis 20 Jahren komplett umstellen. Die Fertigung von Mahle-Produkten ist zu großen Teilen schon längst nach Osteuropa verlagert worden. Jetzt werden sie zum Teil auch dort entwickelt. „Als Interessenvertreter müssen wir beginnen, über Standorte zu diskutieren. Wenn Deutschland seine Rolle als Innovator behalten will, muss auch die Kompetenz in der Produktion erhalten bleiben“, so Betriebsratschef Schwarte.

HERSTELLER- UND ZUlIEFERERBETRIEBSRÄTE IM DIALOG

Diese Debatte ist für ihn und für andere Belegschaftsvertreter von Zulieferunternehmen ein schwieriges, weil immer unübersichtlicheres Terrain. Sie sehen sich dabei nicht nur mit der eigenen Geschäftsleitung konfrontiert, sondern auch mit den Strategien der Hersteller, die unaufhörlich Kostensenkungen und gleichzeitig Innovation fordern. Deshalb organisieren die Hans-Böckler-Stiftung und die IG Metall jetzt die Konferenz „Wertschöpfung im Wandel – die Rolle der Zulieferer in der Automobilindustrie“, die ein Forum für den Austausch zwischen Hersteller- und Zulieferer-Betriebsräten sein soll. Es geht um die neue Produktionsstrategie einer globalisierten Autoindustrie, die künftig weniger auf schwere Wagen und mehr auf digitalisierte Mobilität setzt und alle Zulieferer in Deutschland betrifft: eine Branche, die bislang wichtige Innovationen vorangetrieben und Arbeitsplätze garantiert hat. Die mehr als 800 000 Beschäftigten in den Zuliefererbetrieben stehen für rund 60 Prozent der Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung und für etwa 75 Prozent der Wertschöpfung der deutschen Automobilbranche.

Die Autokonzerne hatten sich in den Jahren nach der Finanzkrise mit Umstrukturierungen zurückgehalten. Einige große Zulieferer haben in dieser Zeit mehr Gewinn gemacht als die Endhersteller. „Das hat sich in den letzten drei Jahren geändert“, erklärt Christian Brunkhorst, Branchenkoordinator Automobilindustrie beim Vorstand der IG Metall. Die deutschen Autobauer fahren vor allem im Premiumsegment Gewinne ein und setzen auf Innovationen wie leichte Elektromotoren und Autos, die man nicht mehr selbst fahren muss, sondern digital steuern kann. Dies bedeutet zum einen neue Standorte mit Hightech-Produktion, oft in Indien oder China. Für die Zulieferer bedeutet es eine radikale Umstellung der Produktion und neue Investitionen, bei denen die Kleineren nicht mithalten können. „Die enormen Veränderungen, die auf die Betriebe und ihre Beschäftigten zukommen, waren der ausschlaggebende Grund, eine Zuliefererkonferenz zu organisieren“, so Brunkhorst.

Zentrales Thema ist der Erhalt der hohen Innovationskraft der deutschen Autoindustrie und der Qualitätsarbeit, die daraus resultiert. „Das deutsche Modell basiert auf dem kontinuierlichen Austausch, aber auch auf der räumlichen Nähe zwischen Konzern, Zulieferer und Forschung. Diese Konstellation infrage zu stellen ist ein enormes Risiko für alle“, so Brunkhorst. Auch die Vertretung der Beschäftigten wird durch große Distanzen erschwert. Die Strategie der „Interessenvertretung entlang der Zuliefererkette“, das heißt vor allem der direkte Kontakt zwischen den Betriebsräten, endet oft bei den Direktzulieferern, die unmittelbar vor den Werks­toren angesiedelt sind. Auf Bezirksebene hingegen organisiert die IG Metall Arbeitskreise, an denen auch die Belegschaftsvertreter von kleinen Betrieben teilnehmen. Musterbeispiel für Arbeitnehmerrechte in der globalisierten Autoindustrie ist die „Charta der Arbeitsbeziehungen“ im VW-Konzern, deren Mindeststandards auch auf die Zulieferer ausgedehnt werden soll. 

Bei Ford in Köln hat bislang auch ein anderes Modell funktioniert: Die Zulieferer produzieren direkt vor den Werkstoren im Produktionstakt Bauteile und Module für den Ford Fiesta. Der sogenannte Industriepark existiert seit 2001. Durch die räumliche Nähe haben sich die Fertigungsabläufe perfektioniert und die Produktqualität verbessert. Auch für die heute 1500 Beschäftigten hat sich viel verändert. „Am Anfang hatte ein Teil der Unternehmen noch nicht mal einen Betriebsrat, heute liegt der Organisationsgrad durchschnittlich bei fast 80 Prozent“, sagt Ali Cicek, der im Ford-Betriebsrat für den Industriepark zuständig ist. Allerdings gibt es auch immer wieder neue Werkverträge und Leiharbeiter. Cicek trifft sich alle 14 Tage mit den Belegschaftsvertretern der Zulieferer. „Die Betriebe werden bei der Kostenfrage gegeneinander ausgespielt. Durch die Treffen gelingt es uns, diesen Druck etwas abzufedern“, sagt er. Der Druck kommt allerdings auch von einer anderen Seite. Das Ford-Management hat angedroht, die Fiesta-Fertigung nach Rumänien zu verlagern. Dieser Plan ist vorerst zwar wieder vom Tisch, aber dafür fordert die Geschäftsleitung immer höhere Flexibilität von den Beschäftigten.

GLOBALE QUALITÄTSPRODUKTION ALS CHANCE

„Die Globalisierung der Autoindustrie wird weitergehen. Sie hat heute neben der Kostenorientierung aber auch noch einen anderen Aspekt“, erklärt Martin Schwarz-Kocher vom Stuttgarter IMU-Institut. Er arbeitet derzeit an einem von der Hans-Böckler-Stiftung finanzierten Forschungsprojekt zum Thema „Standortperspektiven in der Automobilzulieferindustrie“, an dem auch das Wissenschaftszentrum Berlin und die Betriebsratsberater von Sustain Consult beteiligt sind. Auf der Konferenz in Leipzig wird er Ergebnisse vorstellen. Die Studie soll den Belegschaftsvertretern gute Argumente für Standortverhandlungen an die Hand geben. Deshalb hat er die aktuellen Globalisierungstendenzen analysiert. Zum einen geht es weiterhin um die Kosten und die Verlagerung einfacher Teileproduktion nach Osteuropa, wo inzwischen aber auch komplexere Qualitätsprodukte gefertigt werden. Zum Zweiten geht es um die Erschließung neuer Märkte in Asien und Mittelamerika durch die Entwicklung und Fertigung von Produkten vor Ort. Hier steht nicht die Kostenfrage im Vordergrund, sondern neue Kompetenzen, die aufgebaut werden müssen, und eine neue, internationale Arbeitsteilung.

Schwarz-Kocher bezieht sich in diesem Zusammenhang auf eine Studie des Göttinger Sofi-Instituts, die den Begriff „globale Qualitätsproduktion“ geprägt hat. Bei dieser Wertschöpfungskette kommt einem Standort mit hoher Kompetenz und besonderem Produktionswissen eine andere Funktion zu als in einem herkömmlichen Verlagerungsszenarium. Deshalb sehen die Autoren in dieser Form der Globalisierung eine neue Chance für die Interessenvertreter: „Das verändert die Handlungssituation von Betriebsräten an deutschen Standorten beträchtlich. Anders als bei der Diskussion kostengetriebener Verlagerungsprojekte, die Betriebsräte leicht in die Defensiv- und Abwehrrolle setzt, bieten sich in diesem Fall Ansatzpunkte für eine offensive Position. Denn bei globaler Qualitätsproduktion ist die Mitwirkung deutscher Standorte und ihrer Beschäftigten gefragt.“

Für den Betriebsratsvorsitzenden Schwarte ist dies eine Zukunftsperspektive, die Sinn und Mut macht. Aber erst mal geht es ihm um die Sicherung der Beschäftigung in den Stammwerken von Mahle, die – wie viele andere Zulieferer – selbst neue Kompetenzen entwickeln müssen. „Wir müssen sofort beginnen, ein zweites Standbein neben dem Verbrennungsmotor aufzubauen, sonst sind wir bei der nächsten Globalisierungsrunde gar nicht mehr dabei“, sagt er.

MEHR INFORMATIONEN

Martin Schwarz-Kocher: STANDORTPERSPEKTIVEN IN DER AUTOMOBILINDUSTRIE IN DEUTSCHLAND UND MITTELEUROPA UNTER DEM DRUCK VERÄNDERTER WERTSCHÖPFUNGSKETTEN. Arbeitspapier. VDA Berlin, 18.2.2015

Ulrich Voskamp/Volker Wittke: DEUTSCHE STANDORTE IN GLOBALEN PRODUKTIONS- UND INNOVATIONSNETZWERKEN. Göttingen 2011

Zuliefererkonferenz der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall: WERTSCHÖPFUNG IM WANDEL – DIE ROLLE DER ZULIEFERER IN DER AUTOMOBILINDUSTRIE. 17.–18. Juni 2015, Leipzig.

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