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Magazin Mitbestimmung

Von MARTIN BEHRENS: Gibt es sie noch, die Konfliktpartnerschaft?

Ausgabe 12/2016

Debatte Sind die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in eine routinierte Partnerschaft gemündet? Oder neigen sie eher zum chronischen Konfliktfall? Darüber haben sich Industriesoziologen in der Zeitschrift Industrielle Beziehungen Gedanken gemacht. Die Beiträge sind jetzt online.

Von MARTIN BEHRENS

Dunkel war’s, der Mond schien helle, schneebedeckt die grüne Flur, als ein Wagen blitzeschnelle, langsam um die Ecke fuhr.

(Unbekannter Autor, vermutlich 19. Jahrhundert)

Scheinbar Unsagbares wird zuweilen in Gegensatzpaaren ausgedrückt, dem sogenannten Oxymoron. Wie in der ersten Strophe unseres Gedichts, vereint „Konfliktpartnerschaft“ zwei unversöhnliche sozialwissenschaftliche Tatbestände, Partnerschaft und Konflikt, in einem Begriff. Während die genaue Urheberschaft des Gedichtes ungeklärt ist, verbirgt der Begriff Konfliktpartnerschaft seine Herkunft nicht. Seine Geburt ist auf das Jahr 1991 datiert, das Erscheinungsjahr des Bandes „Konfliktpartnerschaft. Akteure und Institutionen der industriellen Beziehungen“.

Herausgeber dieses Bandes, der bereits in der dritten Auflage vorliegt, ist Walther Müller-Jentsch, einer der Pioniere und bis heute profiliertester Vertreter des Forschungsfeldes „Industrielle Beziehungen in Deutschland“. Müller-Jentschs Begründung für seine Begriffsschöpfung trägt dem Umstand Rechnung, dass „die Interessenkonflikte zwischen Kapital und Arbeit heute schwerlich noch nach dem Interpretationsschema des Klassenkampfes zu begreifen sind, dass sie aber andererseits mit dem Begriff der Sozialpartnerschaft bagatellisiert […] werden.“

Wie er später hinzufügte, bezeichnet Konfliktpartnerschaft eine auf die Regulierung von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen bezogene, „auf Dauer gestellte“ Kooperation zum wechselseitigen Vorteil. Eine solche Kooperation setzt konflikt-, strategie- und lernfähige, aber auch durchsetzungsmächtige Akteure voraus.

Anlässlich der Geburtstage des Begriffs (25) und seines Urhebers (80) initiierte die Zeitschrift Industrielle Beziehungen eine Kontroverse da­rüber, inwieweit Konfliktpartnerschaft auch heute noch wesentliche Elemente der deutschen Arbeitsbeziehungen zu charakterisieren vermag.

Streeck: Klar und provokant

Wolfgang Streeck, Soziologe und Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, bezieht eine ebenso klare wie provokative Position, wonach Konfliktpartnerschaft untrennbar mit den polit-ökonomischen Rahmenbedingungen des sogenannten „deutschen Modells“ verknüpft und letztlich mit diesem untergegangen sei. Als Resultat von Prozessen der Entkollektivierung, Privatisierung und Vermarktlichung der Arbeitsbedingungen wurde der Konfliktpartnerschaft der Boden entzogen. Streecks Fazit lautet: Aus einer Konfliktpartnerschaft mit den ökonomischen Eliten wurde heute wahlweise „Partnerschaft ohne Konflikt“ oder aber „Konflikt ohne Partnerschaft“.

Die Partnerschaft ohne Konflikt bezieht Streeck auf die früheren Bastionen der Gewerkschaften in Großbetrieben des verarbeitenden Gewerbes. Gebeutelt von erzwungener Flexibilisierung, Zunahme prekärer Beschäftigung und Kampf gegen die Verlagerung von Arbeitsplätzen, blieb den Gewerkschaften wenig anderes übrig, als die Rolle eines Juniorpartners „als Mitfahrer auf dem Rücksitz, fernab vom Steuerrad“. Dennoch sind Konflikte nicht gänzlich von der Bildfläche verschwunden. Sie finden sich als „Konflikt ohne Partnerschaft“ in privatisierten Bereichen des öffentlichen Dienstes, in denen Berufsgewerkschaften verstärkt die tarifpolitische Auseinandersetzung mit Arbeitgebern der früheren Staatsbetriebe suchen.

Streecks Auseinandersetzung mit dem Konfliktpartnerschaft-Konzept bildet die Grundlage für weitere Debattenbeiträge. So nimmt Klaus Dörre Streecks Kritik insofern positiv auf, als er in Müller-Jentschs Vorstellung der „Entdramatisierung“ des industriellen Klassenkonflikts eine Neigung zur „Überharmonisierung der Kapital-Arbeitsbeziehungen“ sieht, welche neue Konfliktformationen aus dem Blick verliere, schreibt der Arbeits- und Wirtschaftssoziologe an der Universität Jena.

Drei Welten der industriellen Beziehungen

Dagegen lenkt Wolfgang Schroeder den Blick auf die Ausdifferenzierung der deutschen Arbeitsbeziehungen – entlang dreier Welten. Schroeder, Politikwissenschaftler an der Universität Kassel, definiert als „erste Welt“ die Kern­bereiche der verarbeitenden Industrie und des exportorientierten Sektors mit ihren funktionsfähigen Tarifbeziehungen und Mitbestimmungsinstitutionen.

In der Mitte postuliert er eine „zweite Welt“, zu der er mittelgroße Betriebe und Teile des öffentlichen Dienstes zählt, in der die Kollektivakteure nur schwach verankert sind. Auf dieser Spielwiese formieren sich „pluralisierte Tariflandschaften“ innerhalb derer Berufsgewerkschaften bestehende Tarifverträge der Branchengewerkschaften zu überbieten trachten. Wie etwa bei der Deutschen Bahn. Die „dritte Welt“ Schroeders ist von kleinen und mittelgroßen Betrieben geprägt und hat ihren Schwerpunkt im privaten Dienstleistungssektor mit seinen schwach vertretenen, oft „regelungsunwilligen“ Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften.

Die Pointe dieser Drei-Welten besteht nun darin, dass sich in ihnen in unterschiedlichem Maße konfliktpartnerschaftliche Verhältnisse ausprägen. So sorge in der „ersten Welt“ eine funktionierende Konfliktpartnerschaft dafür, dass die von Globalisierung und Finanzmärkten getriebenen Herausforderungen auf dem Verhandlungswege bearbeitet werden. Das sieht er anders als Streeck. Dessen Vorstellung eines „Konflikts ohne Partnerschaft“ kann er nun wiederum durchaus etwas abgewinnen, denn sie beschreibt treffend die „dritte Welt“ der regulierungsunwilligen oder -unfähigen Akteure. In der „zweiten Welt“, so Schroeder, gibt es zwar konfliktpartnerschaftliche Beziehungen, diese seien aber „ruppig“ und weniger berechenbar.

Unklar bleibt, ob dies nun ein Durchgangsstadium zu einer funktionierenden Konfliktpartnerschaft ist (wie Walther Müller-Jentsch in seiner jetzt erschienenen Erwiderung für möglich hält) oder eher ein Zeichen des fortschreitenden Verfalls.

Anerkennungskämpfe

Britta Rehder setzt hier an und stellt die Frage, mit welchen Schwierigkeiten konfliktpartnerschaftliche Arbeitsbeziehungen im Bereich der privaten Dienstleistungen konfrontiert sind. Leitthese der Politikwissenschaftlerin an der Ruhr-Universität Bochum ist hierbei, dass sich das Konfliktgeschehen im Dienstleistungsbereich entlang der stark dezentralisierten Tarifstrukturen formiert.

Konflikte treten in diesen Bereichen bevorzugt in der Form von Anerkennungskämpfen in Erscheinung, die mit dem Ziel ausgefochten werden, Tarifakteure überhaupt erst zu etablieren (wie zum Beispiel bei amazon). Im Kontext der privaten Dienstleistungen, so Britta Rehder, kommt es zu einer Renaissance der Bedeutung staatlicher Regulierung – Mindestlohn, Regeln zur Tarifeinheit –, aber auch atypische Streikmaßnahmen erlangen hier besondere Bedeutung.

Jürgen Kädtler, Direktor des SOFI an der Universität Göttingen, schließlich dynamisiert den Konfliktpartnerschafts-Begriff und führt ihn in den Betrieb zurück – an jenen Ort, an welchem Arbeitsbeziehungen letztlich auch manifest werden. Hierbei verwahrt er sich zunächst dagegen, den Verfall konfliktpartnerschaftlicher Beziehungen als notwendige Folge etwa der Globalisierung zu interpretieren.

Epochale Veränderungen mischen zwar die Karten neu, indem sie neue Handlungsoptionen schaffen, Komplexitäten hervorrufen und darüber hinaus Wertschöpfungsketten störanfällig machen. Die konkreten industriellen Beziehungen ergeben sich aber erst als Produkt eines dynamischen Zusammenspiels zwischen sozialen Institutionen, politischen Interventionen und den Handlungsorientierungen der Akteure im Betrieb. In diesem Sinne – so Kädtler – muss Konfliktpartnerschaft nicht als auf Dauer gestellte Kooperation verstanden werden, sondern als „kooperatives Aushandlungssystem, das von Zeit zu Zeit durch exemplarische Arbeitskämpfe neu justiert wird und werden kann“.

Für Jürgen Kädtler ist allerdings von zentraler Bedeutung, inwieweit diese Aushandlungssysteme in den Unternehmen auf handlungsfähige Unterstützer bauen können. Hier sieht er ein zentrales Einfallstor für die Erosion der „Verständigungsorientierung bei fortbestehender Konfliktfähigkeit und -bereitschaft“.

Bleibt die Frage: Lässt sich die widersprüchliche Einheit von Konflikt und Kooperation in den deutschen Arbeitsbeziehungen auch empirisch unterfüttern? Einen ersten Hinweis mögen aktuelle Befunde aus der WSI-Betriebsrätebefragung 2015 liefern: Danach gaben zwar 55 Prozent der befragten Betriebsräte an, dass es in den zurückliegenden zwölf Monaten zu Konflikten mit dem Arbeitgeber kam. Gleichzeitig bewertet die überwiegende Mehrheit dieser Betriebsräte das Verhältnis zum Arbeitgeber als sehr gut, gut oder neutral. Diese Aussagen deuten zumindest an, dass der von Streeck identifizierte „Konflikt ohne Partnerschaft“ einen weiten Bogen um Betriebe mit Betriebsrat zu machen scheint.

Grafik: Signum

WEITERE INFORMATIONEN

Industrielle Beziehungen, Jahrgang 23, Heft 1, 2016

Martin Behrens: Einführung in die Kontroverse Konfliktpartnerschaft. IndBez 23(1)

Wolfgang Streeck: Von Konflikt ohne Partnerschaft zu Partnerschaft ohne Konflikt: Industrielle Beziehungen in Deutschland. IndBez 23(1)

In: Industrielle Beziehungen, Jahrgang 23, Heft 1, 2016

Industrielle Beziehungen, Jahrgang 23, Heft 3, 2016

Jürgen Kädtler: Konfliktpartnerschaft – zwischen Auslaufmodell und sozialer Innovation. IndBez 23(3)

Klaus Dörre: Die neue Konfliktformation. Klassen-Kämpfe in fragmentierten Arbeitsbeziehungen. IndBez 23(3)

Britta Rehder: Konflikt ohne Partnerschaft? Arbeitsbeziehungen im Dienstleistungs­sektor. IndBez 23(3)

Wolfgang Schroeder: Konfliktpartnerschaft – still alive. Veränderter Konfliktmodus in der verarbeitenden Industrie. IndBez 23(3)

In: Industrielle Beziehungen, Jahrgang 23, Heft 3, 2016

Industrielle Beziehungen, Jahrgang 23, Heft 4, 2016

Martin Behrens: Kontroverse Konfliktpartnerschaft. IndBez 23(4)

Walther Müller-Jentsch: Konfliktpartnerschaft und andere Spielarten industrieller Beziehungen. IndBez 23(4)

In seiner Replik konzediert Walther Müller-Jentsch seinen Kritikern, dass sich die industriellen Beziehungen stärker fragmentiert haben und neben dem (reduzierten) Kernbereich, in dem die Konfliktpartnerschaft weiterhin gilt, andere Regulierungsformen(-welten) getreten sind.

In: Industrielle Beziehungen, Jahrgang 23, Heft 4, 2016

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