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Magazin Mitbestimmung

Von JENS BECKER: Feingeist und Europa-Visionär

Ausgabe 12/2016

Rezension Nie war ein DGB-Vorsitzender bürgerlicher als Ludwig Rosenberg, der die Organisation von 1962 bis 1969 führte. Eine neue Biografie zeigt, wo er Erfolg hatte und wo er scheiterte.

Von JENS BECKER

Ludwig Rosenberg war lange in Vergessenheit geraten. Nun gelingt es dem Historiker Frank Ahland, Leben und Wirken des fünften DGB-Vorsitzenden in die komplexe Geschichte des 20. Jahrhunderts einzubetten und dabei auch aktuelle Bezüge herzustellen.

Von Herkunft und Habitus bürgerlich geprägt, wuchs der 1903 in Berlin geborene Rosenberg schrittweise in die deutsche und internationale Arbeiterbewegung hinein. Im Zuge seiner Ausbildung zum kaufmännischen Angestellten trat der Sohn eines jüdischen Tuchhändlers in das Reichsbanner, den militärischen Schutzbund der SPD, und in die eher liberale Gewerkschaft der Angestellten (GDA) ein. Der dichtende Feingeist wurde im rauen Berlin der späten 1920er Jahre zum Antifaschisten, der im umkämpften roten Wedding auch die körperliche Auseinandersetzung mit den Nazis suchte. Im Juni 1933 emigrierte er nach Großbritannien, seine Frau Margot Mützelburg kam wenig später nach. Als wichtig erwiesen sich hier seine Kontakte zu führenden Emigranten der deutschen Arbeiterbewegung im britischen Exil.

Über diesen Weg wurde später Hans Böckler auf ihn aufmerksam, der ihn 1946 bat, nach Deutschland zurückzukehren. 20 Jahre lang, davon sieben Jahre als Bundesvorsitzender, gehörte Rosenberg dem geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB an. Er befasste sich vorwiegend mit wirtschaftspolitischen und internationalen Fragen. In der Biografie wird Rosenbergs Beitrag für die Integration der deutschen Gewerkschaften in die internationale Gewerkschaftsbewegung herausgearbeitet. Der Autor zeigt, mit welch diplomatischem Geschick Rosenberg rund um die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) oder um das Europäische Gewerkschaftssekretariat (EGS) versuchte, eine arbeitnehmer- und gleichzeitig gemeinwohlorientierte Europapolitik voranzubringen.

Mit Jean Monnet, einem der Begründer der europäischen Einigungsidee, verband Rosenberg eine 20-jährige Zusammenarbeit und gegenseitige Wertschätzung. Sichtbar wird, dass der Europagedanke bei den gewerkschaftlichen Eliten der 1950er und 1960er eine große Strahlkraft besaß, jedoch wegen der Kräfteverhältnisse und einer nationalstaatsfixierten Öffentlichkeit an Grenzen stieß.Die deutsche Verantwortung für die Vernichtung der euro­päischen Juden war ein wichtiger Referenzpunkt in Rosenbergs Bemühungen, die deutsch-israelischen Beziehungen zu intensivieren. 14 Familienmitglieder, darunter Rosenbergs Mutter, waren Opfer des NS-Terrors geworden.

In den Binnenstrukturen des DGB gelang es Rosenberg nicht, den Einfluss des DGB gegenüber den Einzelgewerkschaften zu vergrößern – im Gegenteil. Weder bei der angestrebten Erhöhung der Finanzen noch bei der Koordinierung der Politikfelder ließen die größeren Einzelgewerkschaften mit sich reden. Gegen Ende seiner Amtszeit überwogen in Politik und Gesellschaft skeptische Stimmen.

Mit Frank Ahlands quellengesättigter Biografie liegt eine gut lesbare Würdigung eines wichtigen Gewerkschafters und Intellektuellen vor. Ludwig Rosenberg bleibt uns auch mit dem gleichnamigen Promotionskolleg „Historische Bezüge zwischen Arbeiterbewegung und Judentum“, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird, in positiver Erinnerung.

Foto: Karsten Schöne

Frank Ahland: Bürger und Gewerkschafter Ludwig Rosenberg 1903 bis 1977. Essen, Klartext Verlag 2016. 514 Seiten, 39,95 Euro

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