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Johanna Wenckebach Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: "Es wird Zeit, dass die Politik ihren Gestaltungsspielraum ausnutzt."

Ausgabe 05/2020

Johanna Wenckebach,Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts (HSI) für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung, über Möglichkeiten politischer Föderung der Tarifbindung.

Für viele Arbeitgeber ist die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband alles andere als selbstverständlich. Mit Gewerkschaften zu verhandeln und Tarifverträge anzuwenden, in all ihrer Verbindlichkeit, das ist ihnen fern. Für diejenigen, die dennoch die Vorzüge einer Verbandsmitgliedschaft in Anspruch nehmen wollen, haben Arbeitgeberverbände vor einigen Jahren die sogenannte OT-Mitgliedschaft geschaffen. OT steht für „ohne Tarifbindung“. Das Bundesarbeitsgericht hat das abgesegnet. Während der Flächentarifvertrag erodiert, wird die Herstellung von Tarifbindung zum Häuserkampf um Firmentarifverträge.

Das kostet Ressourcen. Ressourcen der Gewerkschaften sind ihre Mitglieder: ihre Solidarität, ihr Engagement, ihre Beteiligung an demokratischen Prozessen in Betrieb und Organisation, aber auch ihre Mitgliedsbeiträge. Das Problem: Gelingt es einer Gewerkschaft, Tarifbindung des Arbeitgebers herzustellen und damit unter anderem höhere Löhne und mehr Urlaub auszuhandeln, profitieren davon nicht nur diejenigen, die sich engagiert und gekämpft haben und den Erfolg auch durch Mitgliedsbeiträge finanziert haben. Arbeitsvertraglich wenden Arbeitgeber nämlich in der Regel einmal errungene Tarifverträge auch auf Beschäftigte an, die keine Gewerkschaftsmitglieder sind. Keine guten Wettbewerbsbedingungen!

Gleichzeitig hat die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den Gewerkschaften weitestgehend die Hände gebunden, exklusive Vorteile nur für ihre Mitglieder zu verhandeln. Sogenannte Differenzierungsklauseln, die in Tarifverträgen Gewerkschaftsmitgliedern etwas zurückgeben wollen für ihren Beitrag zum Erfolg, sind bisher nur in sehr engen Grenzen zugelassen. Begründet wird das mit der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit. Die Freiheit, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zu gründen, Mitglied zu sein, sich zu betätigen, bedeutet auf der anderen Seite auch die Freiheit vom Zwang zur Mitgliedschaft. Doch üben Vorteile für Gewerkschaftsmitglieder einen dem Grundgesetz widersprechenden Zwang aus, der Gewerkschaft beitreten zu müssen? Hier zeigt sich: Das Recht setzt der Tarifautonomie entscheidende Rahmenbedingungen und lässt dabei Raum für politische Entscheidungen.

Ein verfassungsrechtliches Gutachten im Auftrag des Hugo Sinzheimer Instituts stützt diese These. Es behandelt das Beispiel von Tariföffnungsklauseln, die es Tarifvertragsparteien ermöglichen, von gesetzlichen Regeln abzuweichen und eigene Lösungen zu finden. Der Gesetzgeber gesteht in der Regel die Nutzung solcher Öffnungsklauseln auch Arbeitgebern zu, die sich der Tarifbindung nicht unterwerfen. So wird es möglich, per Betriebsvereinbarung oder sogar im Arbeitsvertrag Abweichungen von Gesetzen zu vereinbaren – auch zuungunsten von Beschäftigten. Um Tarifbindung und Verbandsmitgliedschaft zu stärken, sollte es aber ein exklusiver Vorteil für Tarifgebundene sein, gesetzliche Spielräume ausschöpfen zu können. Nur so wird sichergestellt, dass die Interessen von Beschäftigten gewahrt bleiben. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass es dem Gesetzgeber freisteht, solche exklusiven Regeln zu treffen. Niemand wird dadurch gezwungen, Verbandsmitglied zu werden und in seiner negativen Koalitionsfreiheit verletzt.

Es wird Zeit, dass die Politik nicht nur von der Bedeutung von Tarifverträgen für unser Wirtschaftssystem spricht, sondern auch danach handelt und ihren Gestaltungsspielraum ausnutzt. Sie kann den rechtlichen Rahmen so setzen, dass er Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften stärkt oder wenigstens nicht behindert.

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