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Magazin Mitbestimmung

: Erfüllungsgehilfen

Ausgabe 04/2008

TARIFDUMPING Es sind die Arbeitgeber, die im Bankenbereich die Unterbietungskonkurrenz der Gewerkschaften salonfähig machen.

Von Mario Müller, Journalist in Frankfurt/M.

"Wir alle, die wir uns in so genannten kleinen Gewerkschaften organisieren, sind in diesen Tagen Lokführer." So hieß es kürzlich in der Hauszeitschrift des DBV, der "Gewerkschaft für Finanzdienstleister". Doch die verbale Trittbrettfahrerei führt aufs falsche Gleis. Die Organisation der Banker ist den Kollegen von der Bahn einen Zug voraus. Das Ziel, das die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) anstrebt, hat der DBV bereits erreicht: den Abschluss eigenständiger Tarifverträge.

Mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Beschäftigten nicht mehr, sondern weniger Geld bekommen. Der DBV, der sich früher Deutscher Bankangestellten-Verband nannte, ist nicht die einzige Gruppierung, die der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di das Terrain im Finanzgewerbe streitig machen möchte. Auch der aus dem einstigen Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband hervorgegangene und dem Christlichen Gewerkschaftsbund CGB angeschlossene DHV bemüht sich, als berufsständische Organisation in der Branche stärker Fuß zu fassen.

Mit den Abgrenzungsversuchen von Lokführern, Piloten oder Ärzten hat dies allerdings wenig zu tun. DBV und DHV verfügen weder über die Durchschlagskraft noch über den Willen, die Arbeits- und Einkommensbedingungen der Belegschaften auf breiter Basis zu verbessern. Kein Wunder, dass sie von Arbeitgebern mehr oder weniger direkt hofiert werden.

DEUTSCHE-BANK-DUMPING_ Weil das größte Kreditinstitut der Republik die Personalkosten drücken wollte, entfloh die Deutsche Bank kurzerhand dem Branchentarif, indem sie drei Abteilungen mit zusammen mehr als 800 Beschäftigten in eigenständige Gesellschaften umwandelte - und als DB Kredit Service, Konsul Inkasso und HR Solutions ausgliederte. Als die Verhandlungen über einen Haustarif für die beiden Ersten mit ver.di scheiterten, schloss die Deutsche Bank schließlich im Sommer 2006 mit dem DBV ab.

Diese Verträge, mit denen unter anderem die Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden verlängert und der Urlaub um drei Tage gekürzt wurden, liefen auf eine Absenkung des Gehaltsniveaus um 30 bis 40 Prozent hinaus, rechnet der ver.di-Konzernbetreuer Wolfgang Hermann vor. Das Verhalten des DBV sei "unverantwortlich und skandalös". Er unterschreibe das, was die Bank wolle. Auch wenn der von ver.di befürchtete "tarifpolitische Dammbruch zu Lasten der Beschäftigten in der gesamten Branche" bislang ausblieb, bröckelt es innerhalb des Konzerns Deutsche Bank weiter.

Denn auch bei der Ende 2006 übernommenen Norisbank mit ihren rund 400 Beschäftigten, für die bis dato der Flächentarif galt, erklärte sich der DBV zum Abschluss eines Haustarifs bereit, der nach Meinung Hermanns nichts anders als "Sozialdumping" bedeutet.
Ver.di habe sich bewegt, "die Bank wollte aber bei den Grundgehältern den billigen Jakob", hieß es in einem Flugblatt der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft. Anfang Juli 2007 hatte die Deutsche Bank die Verhandlungen mit ver.di mit dem Hinweis für gescheitert erklärt, sie habe ein "günstigeres Angebot", nämlich das des DBV.

AUSHEBELUNG DER TARIFSTRUKTUREN_ Hermann sieht in dem Vertragswerk ein grundsätzliches Problem. Denn die Kombination aus niedrigen Grundgehältern und Bonuszahlungen, die von den Verkaufsleistungen abhängen, hebele die bisher im Geldgewerbe üblichen Lohnstrukturen aus. Norisbanker seien nun, ähnlich wie Versicherungsvertreter, von Provisionseinnahmen abhängig, die zudem nur dann flössen, wenn die hochgesteckten Vorgaben übertroffen werden.

Ein Ergebnis, das sich mit den Vorstellungen des DBV deckt. "Anders als ver.di … begrüßen wir die neuen Freiheiten durch flexible Arbeitszeitmodelle und Belohnungsanreize für gute Leistungen ausdrücklich," sagte Karin Ruck, die für den DBV die Verhandlungen mit der Norisbank führte, in der Mitgliederzeitung "Der Finanzdienstleister". Die "neue Freiheit" bekommen auch die Beschäftigten der Sparkassen-Versicherung Sachsen zu spüren.

Obwohl sich das öffentlich-rechtliche Unternehmen mit seinen rund 350 Beschäftigten nicht in einer Notlage befand, wollte der Vorstand die Kosten senken und betrieb den Ausstieg aus dem Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland (agv), also aus dem Branchentarif. ver.di stellte schnell klar, dass der Inhalt einer neuen Vereinbarung nicht unter das geltende Niveau zurückfallen durfte, sagt der zuständige Fachbereichsleiter Stefan Wittmann. Der DHV jedoch kam den Arbeitgeberwünschen entgegen und unterzeichnete im Mai 2005 einen Firmentarifvertrag.

Bemerkenswert ist auch, wie dieser Abschluss zustande kam. Wie Wittmann erzählt, war der Betriebsrat, der die Tarifkommission bildete, zunächst nicht organisiert und dann in den DHV eingetreten. Die Belegschaftsvertretung sei schlicht gekauft worden, vermutet der ver.di-Mann und verweist auf die erstmalige Freistellung des Betriebsratsvorsitzenden. Eine zweifelhafte Rolle spielt zweitens auch der agv. Der Arbeitgeberverband nahm die Sparkassen-Versicherung nach ihrem Austritt erklärtermaßen wieder als OT-Gastmitglied auf - ohne Eintritt der Tarifbindung, aber mit Anspruch auf die Serviceleistungen des agv.

Mit anderen Worten: Der Branchenverband betreibt aktiv das Unterlaufen der eigenen Tarifverträge. Nicht zuletzt wirft ver.di dem DHV vor, "Lohndumping" zu betreiben. Der Haustarif führe zu "massiven Gehaltseinbußen in allen Tarifgruppen". Zudem wurden die Wochenarbeitszeit von 38 auf 40 Stunden aufgestockt und Zuschläge gekürzt. Der Vorstand hatte auf einer Betriebsversammlung erklärt, die Personalkosten so weit wie möglich reduzieren zu wollen, erzählt ver.di-Vertreter Wittmann. Dieses Ziel wurde offenbar erreicht.

DUBIOSE TRUPPE_ Der DHV, der sich seit neuestem "Die Berufsgewerkschaft" nennt, wird immer wieder als "Erfüllungsgehilfe der Arbeitgeber" bezeichnet, so etwa in einer Panorama-Sendung im Februar 2007. Er sei eine "konservative Gewerkschaft in Frontstellung zum DGB", heißt es in einem Bericht der Arbeitsgruppe Rechtsextremismus in ver.di Berlin-Brandenburg. Nach nicht überprüfbaren Angaben hat der DHV, der in der Weimarer Republik die größte Angestelltengewerkschaft war, heute 80?000 Mitglieder.

Laut Satzung vertritt er "die Interessen der Mitglieder in christlich-sozialer Grundhaltung" und "fördert ein auf die Stärkung des Persönlichkeitsbewusstseins gerichtetes Berufsethos". Der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel, der die DHV-Vertreter im Aufsichtsrat der Allianz kennen lernte, spricht von einer "dubiosen Truppe". Die Kollegen hätten "nicht ein einziges Mal an inhaltlichen Debatten teilgenommen" und seien vom Vorstand nicht ernst genommen worden. Ein ähnliches Bild zeichnet Wolfgang Hermann von ver.di. Weder der DHV noch der DBV, der sich rund 20?000 Mitglieder zurechnet, trete auf Betriebsversammlungen mit Redebeiträgen in Erscheinung. Von Streiks ganz zu schweigen.

Genau das hat den DBV offensichtlich für ein Aufsichtsratsmandat beim Softwarekonzern SAP qualifiziert. Bei den Aufsichtsratswahlen 2007 erhielt ein DBV-Vertreter einen der beiden Gewerkschaftssitze, auch wenn der Bankangestellten-Verband in der IT-Branche und bei SAP nie eine Rolle gespielt hatte. Vorbild mag ein DBV-Sitz im Aufsichtsrat der Deutschen Bank sein, einem Gremium, dem auch SAP-Vorstandschef Kagermann angehört.

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