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STEFAN RAMGE ist Leiter der Abteilung für Beteiligungen, Bundesimmobilien und Privatisierungen im Bundesministerium der Finanzen.  Magazin Mitbestimmung

Unternehmensführung: "Ein Signal für die gesamte Wirtschaft"

Ausgabe 06/2020

Die Mitbestimmung bei Unternehmen, die mehrheitlich dem Bund gehören, wird gestärkt. Gespräch mit Stefan Ramge (Bundesfinanzministerium) und Sebastian Sick (Hans-Böckler-Stiftung). Das Gespräch führte Andreas Molitor

Seit dem Wirecard-Skandal ist Corporate Governance in aller Munde – also die Regeln und Verfahren einer nachhaltigen Unternehmensführung. Seit wann wird diese Diskussion in Deutschland eigentlich geführt?

Stefan Ramge: Seit den späten 1990er und frühen 2000er Jahren gab es international etliche Bilanzskandale. Große Defizite bei der internen Verfasstheit der Unternehmen wurden sichtbar. 2002 wurde zunächst für die Privatwirtschaft ein Kodex mit Empfehlungen und Anregungen für gute Unternehmensführung eingeführt, der Deutsche Corporate Governance Kodex, kurz DCGK. Das Bundesfinanzministerium fand, dass solche Leitlinien auch für Unternehmen gelten sollten, die überwiegend dem Bund gehören. Vor elf Jahren wurde der Public Corporate Governance Kodex (PCGK) verabschiedet, der jetzt grundlegend überarbeitet wurde.

Sebastian Sick: Es geht hierbei weniger um nachgelagerte Kontrolle von Fehlverhalten wie etwa Bilanzmanipulationen, sondern um Verhaltens- und Kontrollmechanismen im Unternehmen, die verhindern, dass solche Dinge überhaupt geschehen – damit die externe Aufsicht gar nicht einschreiten muss.

Wie viele Unternehmen mit wie vielen Beschäftigten fallen unter den nachgeschärften Kodex?

Ramge: Der PCGK gilt für alle Unternehmen in Rechtsform des privaten Rechts, an denen der Bund unmittelbar mehrheitlich beteiligt ist. Da der Kodex auch für Konzernstrukturen gilt, erfasst er zusätzlich viele mittelbare Mehrheitsbeteiligungen des Bundes. Ausgenommen sind börsennotierte Unternehmen.

Die Deutsche Bahn ist also dabei, Commerzbank und Lufthansa dagegen nicht?

Ramge: Genau. Unter den PCGK fallen rund 110 Unternehmen. Die Zahl der unmittelbar vom Kodex erfassten Beschäftigten liegt, grob geschätzt, etwa bei 250 000. Die Ausstrahlungswirkung ist natürlich weit größer.

Gab es Überlegungen, den Geltungsbereich noch weiter auszudehnen?

Sick: Das wäre schwierig gewesen. Die börsennotierten Unternehmen, auch jene mit staatlicher Beteiligung, fallen ja unter den Deutschen Corporate Governance Kodex, der allerdings in etlichen Punkten hinter dem PCGK zurückbleibt. Wollte man das ändern, müsste man ein sehr großes Fass aufmachen. 

Welches war bei der Neufassung des Kodex der Leitgedanke mit Blick auf die Mitbestimmung?

Ramge: Grundtenor ist, dass Unternehmen, an denen der Bund beteiligt ist, eine Vorbildfunk­tion übernehmen sollen. Das gilt besonders für die Mitbestimmung. Sie ist ein Kernelement der sozialen Marktwirtschaft und der sozialen Demokratie; sie unterstützt die Nachhaltigkeit der Unternehmensführung. Die Kenntnis des Unternehmens durch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat unterstützt eine gute Corporate Governance. Von daher war uns ein klares Bekenntnis zur Mitbestimmung sehr wichtig.

Sick: Vor allem die Aussage, dass die Anteilseignerversammlung Maßnahmen zu unterlassen hat, mit denen die Mitbestimmung eingeschränkt oder verhindert wird, ist von enormer Bedeutung. 

Was heißt das konkret?

Ramge: Nehmen wir den Fall eines Unternehmens, an dem der Bund mehrheitlich beteiligt ist und das die Schwelle von 500 Mitarbeitern überschreitet. Es muss also einen mitbestimmten Aufsichtsrat bekommen. Der Kodex schließt aus, dass Strukturmaßnahmen vorgenommen werden, die die Arbeitnehmerseite aus dem Aufsichtsrat heraushalten. Wie stark die Mitbestimmung zum Teil unter Druck steht, sehen wir ja in der Privatwirtschaft.

Sick: Dort sehen wir eine fortschreitende Erosion der Mitbestimmung. 2002 galt die paritätische Mitbestimmung noch für 767 Unternehmen, 2018 waren es nur noch 638. Aktuell sind mehr als 2,1 Millionen Beschäftigte in Deutschland durch Vermeidungskon­struktionen von der paritätischen Mitbestimmung ausgeschlossen. 

Ramge: Bei den Unternehmen, an denen der Bund beteiligt ist, ist uns bisher kein solcher Fall bekannt. Der PCGK schiebt dem nun einen Riegel vor.

Der Kodex soll vermutlich auch eine Signalfunktion für privat geführte Unternehmen haben.

Ramge: Auf jeden Fall. Er setzt ein Zeichen für die gesamte Wirtschaft, dass der Bund sich zur Mitbestimmung bekennt und sich gegen jede Aushebelung der Mitbestimmung stellt. Der Kodex ist von dem Gedanken geprägt, dass Arbeitnehmerbeteiligung eine Verbesserung der Aufsichtsratsarbeit bedeutet, weil sie innerbetriebliche Kompetenz einbringt, mehr Diversität ins Gremium bringt und eine zusätzliche Kontrollebene einzieht.

Sick: Was zum Beispiel bei Wirecard gefehlt hat. Nach dem PCGK kann Mitbestimmung auch in Unternehmen eingeführt werden, bei denen die gesetzlich vorgesehenen Schwellenwerte nicht erreicht werden. Außerdem enthält der Kodex vorbildhafte Empfehlungen für die konkrete Aufsichtsratsarbeit, zum Beispiel bei Informationsordnung, zustimmungspflichtigen Geschäften und Ausschussarbeit. Die Förderung Europäischer Betriebsräte ist wiederum eine gute Nachricht für die Mitbestimmung in Europa. All dies sind deutliche Fortschritte.

Was wäre der nächste Schritt?

Sick: Natürlich haben wir die Erwartung, dass dieses Bekenntnis der Bundesregierung zur Mitbestimmung sich auch gesetzgeberisch niederschlägt, indem die Gesetzeslücken bei der Mitbestimmung, die es derzeit erlauben, die Mitbestimmung in der Privatwirtschaft auszuhebeln, möglichst schnell geschlossen werden. Und auch dort, wo der PCGK noch nicht gilt – etwa in kommunalen Unternehmen –, sollten die Arbeitnehmervertreter versuchen, die Standards des Kodex als Orientierung einzubringen. 

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