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Magazin Mitbestimmung

Mein Arbeitsplatz: Ein Portugiese in Kanada

Ausgabe 10/2013

Manuel Vieira, 48, angelernter Einzelhändler, zog im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern von São Miguel, der größten der zu Portugal gehörenden Azoren­inseln, nach Toronto. Die ganze Familie ist in Kanada geblieben. Heute ist er Käsehändler, verheiratet und hat vier Kinder.

Toronto, Kensington Avenue. „Ich bin Portugiese! Ich war ein kleines Kind, als meine Eltern auswanderten – doch Portugiese werde ich immer bleiben. Jeder hier im Laden hat europäische Wurzeln. Europäer sind gute Arbeiter – das weiß unser Boss, das weiß jeder in Kanada. Wer aus Europa hierherkommt, ist sich für nichts zu schade. Wir kommen, weil wir eine bessere Zukunft wollen. Und dafür muss man nun einmal klein beginnen. Mein Vater hat auf dem Bau gearbeitet; ich verkaufe schon Käse und stehe hinter einem Tresen! Und meine Kinder, die werden alle einmal studieren!

Dafür stehe ich hier, 40, häufig 50 Stunden in der Woche. Wenn ich drei Wochen Urlaub im Jahr habe, ist das viel. Der Job ist in Ordnung dafür, dass ich schnell und jung Geld verdienen wollte. Gerade einmal 17 war ich, als ich hier angefangen habe, und das war schon mein dritter Job. Was ich am Verkaufen mag, ist, dass ich mit Menschen in Kontakt bin. Kensington ist so etwas wie ein kleines multikulturelles Dorf, ganz in der Nähe von Chinatown und auch nicht weit von den hohen Bürogebäuden hier in Toronto. Hier geht es beschaulich zu, die Menschen sprechen miteinander, bleiben auf einen Plausch stehen. Sehen Sie, da bringt mir gerade ein Nachbar einen Kaffee, einfach so! Und das Geschäft boomt auch: Als ich begonnen habe, war der Laden nicht einmal halb so groß. Die Menschen hier in Kanada werden immer verrückter nach europäischem Zeug, nach Käse, nach Wein!

Und jetzt kommen immer mehr Portugiesen. Genau wie meine Eltern verlassen sie das Land, um der Krise in Südeuropa zu entkommen. Vor 20, 25 Jahren sah man Portugiesen zurück in die Heimat gehen, weil die Lage dort besser war als hier. Jetzt kommen ihre Kinder alle wieder nach Kanada. Ein bisschen verrückt ist das schon. Es ist nicht schwer, in dieses Land zu kommen, damals nicht, heute nicht. Wer bereit ist, zu arbeiten, der findet hier etwas. Und arbeiten, das kann man nicht oft genug sagen, das können wir. Gehen Sie nur mal auf eine Baustelle und zählen durch: Drei von vier Jungs, die dort anpacken, kommen garantiert aus Europa!“

Textdokumentation: Jeannette Goddar

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