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Bei der Firma Finzelberg in Andernach piept‘s, wenn sich Beschäftigte zu nah kommen. Betriebsratsvorsitzender Wolfgang Hell (l.) und Viktor Henning vor der Trocknungsanlage. Die Abstandskarte in Hells Hand gibt Signal, wenn 1,5 Meter Abstand unterschritten werden. Magazin Mitbestimmung

Betriebsrätepreis: Ein Piepser gegen die Pandemie

Ausgabe 05/2021

Keine Infektion im Betrieb, mehr Freizeit und eine Mitarbeiterprämie. Dank akribischer Betriebsratsarbeit ist das Pharmaunternehmen Finzelberg nahezu unbeschadet durch die Krise gekommen. Von Andreas Schulte

Bei Finzelbergs in Andernach piept’s wohl!“ Dieser empörte Ausruf ist keineswegs das Fazit in einer nachbarschaftlichen Fehde. Es ist das Ergebnis erfolgreicher Betriebsratsarbeit. Denn die Finzelbergs sind keine Familie, Finzelberg ist ein mittelständischer Hersteller von Pflanzenextrakten. Und der Piepser steht nicht für einen kleinen Spleen, sondern ertönt, sobald die Beschäftigten die Corona-Mindestabstandsregeln nicht einhalten.

Das piepsende Alarmsystem ist neben einer ausgeklügelten Wegeführung und einem neuen Schichtmodell nur eine Maßnahme aus dem Bündel „Betriebsratsarbeit in Zeiten der Pandemie“, mit dem das Gremium für den deutschen Betriebsräte-Preis 2021 nominiert ist. „Als Pharmaunternehmen haben wir Themen der Mitarbeitergesundheit mit der Muttermilch eingesogen. Deshalb konnten wir bei Corona in vielen Dingen deutlich früher handeln als andere Unternehmen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Hell.

Gleich zu Beginn der Pandemie bildete Finzelberg eine Covid-19-Gruppe mit Beschäftigten aus Geschäftsleitung, Personalabteilung und dem Betriebsrat. Das Gremium entwickelte ein sogenanntes Zonenkonzept, das die persönlichen Kontakte im Unternehmen auf ein Minimum reduzierte. Erster Schritt: Homeoffice, wo möglich. Bereits im Frühjahr 2019 hatte Hell eine Betriebsvereinbarung über das Recht auf mobiles Arbeiten unterzeichnet. „Für uns war es daher kein Problem, knapp 100 Kolleginnen und Kollegen ins Homeoffice zu schicken“, sagt der Betriebsratsvorsitzende.

Bald erhielten die Mitarbeiter wöchentlich kostenlose Coronatests. Die Beschäftigten im Betrieb bekamen Zonen und Wege zugewiesen, die sie nicht verlassen durften. „Ich war praktisch in meinem Büro weggesperrt“, scherzt Hell. Die Kantine durfte er ab Juni wieder betreten. Denn dort regelten Zeitpläne den Besuch so, dass nie mehr als zwölf Mitarbeiter zugleich zu Tisch saßen. Ein Luftfilter beugt mittlerweile einer stickigen Luft vor. Gegenüberzusitzen ist verboten.

Ebenso wurde der Besuch der zweiten Betriebsstätte in Sinzig untersagt. Dort befindet sich das Labor von Finzelberg. Den unvermeidlichen Transport von Proben zwischen den Betriebsstätten übernahm mit Beginn der Pandemie nur noch ein Kollege. Die jeweiligen Standorte betreten durfte er nicht.

Weniger Arbeit, gleiches Geld

Der piepsende Chip namens Polypro kam freilich nur auf dem Werksgelände zum Einsatz. Eine Betriebsvereinbarung verpflichtete alle Mitarbeiter, das Gerät am Handgelenk oder um den Hals zu tragen. Nähert sich ein Mitarbeiter einem Kollegen auf einen Abstand von weniger als anderthalb Metern, schlägt das Gerät so lange Alarm, bis der Mindestabstand wieder stimmt. Jeder Kontakt von mehr als fünf Minuten Dauer wird anonym an einen Server gesendet. Wer sich hinter den Kennungen der Chips verbirgt, weiß nur der Datenschützer bei Finzelberg. Der Server zeichnet alle Begegnungen bei Finzelberg auf, um sie bei Bedarf zurückzuverfolgen. „Eine Infektion im Betrieb konnten wir durch unsere Maßnahmen ausschließen“, sagt Hell. Doch so manchem Kollegen dürfte Polypro durch seine Alarmierungen auf die Nerven gegangen sein, räumt er ein. Trostpflaster: Wegen der Unannehmlichkeiten durch die Pandemie zahlte der Arbeitgeber eine Coronaprämie von 250 Euro

Zu Beginn dieses Jahres setzte der Betriebsrat zudem nach langen Verhandlungen im Coronajahr 2020 ein neues Schichtmodell durch. „Früher war es häufig so, dass unsere Leute in der Produktion erst drei Tage vor ihrer Schicht erfuhren, wie sie eingesetzt werden“, sagt Hell. Das ist jetzt anders. Durch die Verrechnung der Pausenzeit mit der Arbeitszeit handelte der Betriebsrat eine höhere Schichtzulage und Jahresleistung aus. „Die Kollegen arbeiten nun neun Schichten pro Jahr weniger“, sagt Hell. Als Faustpfand musste die Arbeitnehmerseite für die bezahlten Pausen allerdings Umkleide- und Wegezeiten hergeben. „Der Gehaltsverlust bei weniger Arbeit ist aber gleich null“, sagt der Arbeitnehmervertreter.


Weitere Informationen:

Auf unserer Übersichtsseite zum Betriebsrätetag

Der Deutsche Betriebsrätepreis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxisbeispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. Er wird auf dem Deutschen Betriebsrätetag in Bonn verliehen, der in diesem Jahr vom 9. bis 11. November stattfindet.
www.betriebsraetetag.de

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