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Daniel Hlava ist wissenschaftlicher Referent für Sozialrecht und europäisches Arbeitsrecht am Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Magazin Mitbestimmung

: "Die Wahlen zur Selbstverwaltung müssen attraktiver werden."

Ausgabe 04/2021

Daniel Hlava zur sozialen Selbstverwaltung. Er ist Wissenschaftlicher Referent für Sozialrecht und europäisches Arbeitsrecht am Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung.

Während alle Aufmerksamkeit auf den nahen Bundestagswahlen liegt, sind die ersten Vorbereitungen für eine weitere Wahl weitgehend unbemerkt geblieben. Der Sozialpolitiker Peter Weiß (CDU) und seine Stellvertreterin Daniela Kolbe (SPD) wurden im Juni damit beauftragt, die nächsten Sozialwahlen im Jahr 2023 vorzubereiten – im Oktober dieses Jahres werden voraussichtlich die Termine bekannt gegeben. Zudem wurden erstmals seit 45 Jahren die gesetzlichen Vorschriften für diese Wahlen reformiert, wobei das Ergebnis hinter den Erwartungen zurückblieb.

Das Interesse an den Sozialwahlen ist vergleichsweise gering, die Wahlbeteiligung lag zuletzt bei nur rund 30 Prozent. Warum ist das so? Immerhin übt die Versichertengemeinschaft ihr Recht auf Selbstverwaltung aus. Was es damit auf sich hat, ist vielen aber ebenso wenig bekannt wie die Programme der Listen. Es drängt sich die Frage auf, wa­rum man überhaupt wählen sollte. Sind nicht die Sozialleistungen allesamt im Sozialgesetzbuch abschließend geregelt? Und spielt es wirklich eine Rolle, wer ehrenamtlich in den Verwaltungsorganen der Sozialversicherung sitzt?

Kurzum: Ja, es ist nicht egal. Denn in den Leitungsorganen wird Politik gemacht. Die Spielräume sind zwar begrenzt, aber doch größer, als vielen bewusst ist. So können Krankenkassen zusätzliche Leistungen in ihren Satzungen vorsehen, wie die Kostenerstattung für professionelle Zahnreinigung, alternative Arzneimittel oder zusätzliche Vorsorge- und Reha-Maßnahmen. Daneben bestehen verschiedene Möglichkeiten, auf die Ausgestaltung gesetzlicher Leistungen Einfluss zu nehmen und deren Qualität zu sichern.

Ehrenamtliche sind nicht nur in den Leitungsorganen der Sozialversicherungsträger vertreten, sondern auch in den Widerspruchsausschüssen, wo sie über die Gewährung von Sozialleistungen in individuellen Fällen mitentscheiden. Mitbestimmt werden kann auch über die Verwaltungsorganisation sowie bei der Wahl und der Kontrolle des Vorstandes oder der Geschäftsführung und der Verabschiedung des Haushalts.

Nicht nur die Gewerkschaften sind berechtigt, Wählerlisten aufzustellen, sondern auch andere Arbeitnehmervereinigungen, wenn sie gewisse Kriterien erfüllen. Es ist teilweise fraglich, ob diese Anforderungen tatsächlich immer erreicht werden. Die Listen tragen oft die Bezeichnung des jeweiligen Versicherungsträgers in ihrem Namen. Für die Wähler war es in der Vergangenheit daher nicht einfach, zu erkennen, wer für was steht.

Nach zähem Ringen hat der Gesetzgeber nun die Vorschriften rund um die Sozialwahlen reformiert. Unter anderem wird das Unterschriftenquorum für neu kandidierende Listen gesenkt, und es wird eine Geschlechterquote in den Selbstverwaltungsgremien eingeführt. Als großen Wurf lässt sich die Reform jedoch nicht bezeichnen. Um die Attraktivität der Sozialwahl zu steigern, ist mehr vonnöten, etwa die Stärkung der Urwahl gegenüber der ohne Wahlhandlung oftmals durchgeführten Friedenswahl.

Deutlicher sind die Fortschritte bei der Rechtsstellung der Personen, die sich ehrenamtlich in der Selbstverwaltung engagieren. Bisher war nicht eindeutig geregelt, ob sich die Selbstverwalter für die Teilnahme an den Sitzungen und deren Vorbereitung von ihrem Arbeitgeber freistellen lassen können. Auch war unklar, ob und welche Fortbildungen sie besuchen oder welche personelle oder sachliche Unterstützung sie beanspruchen konnten. Mit Ausnahme von ein paar Erstattungsregelungen war dies zuvor lediglich aus der allgemeinen Vorgabe abzuleiten, dass Selbstverwalter durch ihr Ehrenamt nicht benachteiligt werden dürfen.

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Detaillierte Texte des Autors zu den Änderungen gibt es hier.

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