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Grafik Betriebsratsgründung in der Krise Magazin Mitbestimmung

Betriebsratsgründung: Die Krise als Nagelprobe

Ausgabe 03/2022

Belegschaften gründen Betriebsräte meist, wenn es in der Firma ordentlich rumort. Der Sprung ins kalte Wasser macht sie stark für die Zeit danach. Von Andreas Schulte

Gehackte Konten, ein Rüffel der Finanzaufsicht und eine Belegschaft, die über Überstunden und schlechte Bezahlung klagt: Die Smartphonebank N26 befindet sich im Corona-Sommer 2020 in der Krise. Und dann das: Eine Gruppe von Beschäftigten will einen Betriebsrat gründen. Firmengründer Valentin Stalf ist außer sich. „Ein Betriebsrat steht gegen fast alle Werte, an die wir bei N26 glauben“, wettert er in einer Mail. Er will die Bildung des Gremiums verhindern und versucht sogar per einstweiliger Verfügung, die Versammlung zur Bestimmung des Wahlvorstands zu unterbinden. „Wer sich für Mitbestimmung engagierte, lebte damals in Angst vor Repressionen“, erzählt Sally, eine N26-Mitarbeiterin, die ihren wirklichen Namen nicht nennen will.

Mithilfe von Verdi und IG Metall gründet sich der Betriebsrat im November 2020. „Wir wussten immer, dass das Gesetz auf unserer Seite ist, deshalb haben wir nicht lockergelassen“, sagt Sally.

Ob bei Banken, Metallbetrieben oder im Handel: Die Betriebsratsgründung aus einer Krise­ heraus ist typisch. Fast zwei Drittel der Ini­tiativen starten in einer solchen Phase. Das belegt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie der Universität Erlangen-Nürnberg aus dem Jahr 2016. 35 der 54 untersuchten Unternehmen befanden sich zum Zeitpunkt der Betriebsratsgründung in einer mehrjährigen Krise. „Die Beschäftigten reagierten mit der Betriebsratsgründung auf ein langfristiges Leiden“, sagt Studienleiterin Ingrid Artus. Beim Rest gab ein plötzliches Ereignis den Anstoß, zum Beispiel ein bevorstehender Verkauf.

Aus Sicht der Soziologin bringt die Ausgangssituation, ein Konflikt, einen Vorteil. „Betriebsräte nehmen ein gutes Stück mentales Rüstzeug für die anschließende Amtszeit mit.“ So hat es auch Sally erlebt: „Der steinige Weg zur Wahl hat uns als Gremium gefestigt und für die ruhigeren Zeiten danach stark gemacht.“

Wichtig für die Kandidaten, die sich dem enormen Druck stellen, ist ein Team, das Rückhalt bietet. Das erlebt Peter König, Verdi-Sekretär im Bezirk Würzburg-Aschaffenburg, immer wieder. „Für Einzelkämpfer ist die Last zu groß“, sagt er. Im Handel hat er rund 100 Betriebsratsgründungen begleitet. Eine starke Rückendeckung aus der Belegschaft erhalte in dieser Branche nur, „wer sich klar gegen den Arbeitgeber positioniert“. Allein schon deshalb hält er die Unterstützung durch eine Gewerkschaft für unerlässlich. Sonst drohe die Wahl zu scheitern, noch bevor sie begonnen hat. „Leiten Arbeitnehmer die Wahl ein, riskieren sie eine Kündigung“, sagt er. Gewerkschaften sind in vielen Fällen berechtigt, die Wahl einzuleiten, und nehmen so die Beschäftigten aus der Schusslinie.

Bei N26 sprangen im Sommer 2020 die IG Metall und Verdi als Veranstalter der Wahlversammlung zur Bestimmung des Wahlvorstands ein. Dadurch lief die einstweilige Verfügung der Bank, die sich gegen die ursprüngliche Versammlung gerichtet hatte, ins Leere. „Ohne die Gewerkschaften hätten wir es nicht geschafft“, ist Betriebsrätin Sally überzeugt.

Heute habe die Unternehmensführung „ein entspannteres Verhältnis zur Mitbestimmung als vor zwei Jahren“. Mittlerweile ist der Betriebsrat das einzige Mitbestimmungsorgan bei N26. Ende April dieses Jahres löste die Berliner Bank ihr „Employee Representation Board“ wieder auf. Dieses arbeitgebernahe Gremium hatte sie im Sommer 2020 als alternative Arbeitnehmervertretung selbst installiert. Doch kaum jemand, so ist zu hören, hatte Interesse an der Mitarbeit im Pseudo-­Betriebsrat.

Die unbequeme Zeit der ersten Krise trägt dazu bei, dass Arbeitnehmervertreter ihr Amt mit Engagement ausfüllen. Diese Erfahrung macht auch André Arentz, Erster Bevollmächtigter der IG Metall im Kreis Olpe: „Ich habe es noch nie erlebt, dass sich jemand hat wählen lassen, nur um eine kurzfristige Krise unbeschadet zu überstehen und anschließend eine ruhige Kugel zu schieben.“ Wie Wissenschaftlerin Artus sieht auch er die Krise als geeigneten Startpunkt für eine erfolgreiche Amtszeit: „Die Wahl in der Krise stärkt das Durchsetzungsvermögen.“

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