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Betriebsrat Daniele Fiumara (links) und NGG-Geschäftsführer Volker Daiss vor dem Unternehmenssitz von Appolinaris Magazin Mitbestimmung

Getränkeindustrie: Die Königin soll leben

Ausgabe 06/2020

Das Mineralwasser Apollinaris war einst eine Weltmarke – jetzt stirbt es im Coca-Cola-Konzern einen Tod auf Raten. Die NGG kämpft um jeden Job. Warum kauft ein Konzern ein Unternehmen, mit dem er nichts anfangen kann? Von Kay Meiners

Die Apollinaris-Quelle in Bad Neuenahr ist für einen Weltkonzern eine Petitesse. Für Guido Orthen, den Bürgermeister, ist Apollinaris ungleich mehr: ein Imageträger, dessen Werbeslogan („The Queen of Table Waters“) dem Ortsnamen Glanz verleiht, ein Wirtschaftsfaktor. Für Daniele Fiumara, den hiesigen Betriebsrat, und seine 320 Kollegen ist Apollinaris Lohn und Brot. Ihr Herz und ihr Einkommen hängen daran. Doch nun will der Eigentümer, der US-Konzern Coca-Cola, die Marke aus den Supermarktregalen verbannen. 84  Jobs sollen wegfallen. Produkte wie „Big Apple“,­ eine Apfelsaftschorle, oder „Presta“, eine Limonade mit Orangen-Maracuja-Aroma, sollen ganz verschwinden, das Mineralwasser soll nur noch in der Gastronomie angeboten werden. Auch nicht gerade eine sichere Bank in Corona-Zeiten. 

Der Konzern fremdelte mit der Marke

Dabei gehört die Marke Apollinaris zur Stadt wie Daimler zu Sindelfingen. Jeder hier kennt die Geschichte von Georg Kreuzberg, dem Winzer, auf dessen Weinberg am Rhein die Rebstöcke nicht gedeihen wollten, obwohl er alles richtig machte. Das Rätsel der Unfruchtbarkeit löste sich, als man bei Bodenuntersuchungen im Jahr 1852 auf kohlensäurehaltiges Wasser stieß. Zu hohe CO₂-Werte im Boden hemmten das Traubenwachstum und begründeten den Aufstieg der bald weltbekannten Wassermarke, die nach Apollinaris von Ravenna, dem Schutzheiligen der Weinbauern, benannt wurde. Vom einstigen Weltruhm ist wenig übrig. Mit der Marke konnte der US-Konzern, der sie 2006 kaufte, nie viel anfangen. Schon 2013 stellte er den internationalen Vertrieb ein. Jetzt folgt der nächste Einschnitt, über den Bürgermeister Orthen unkte, er sei „hoffentlich nicht der vorletzte“ – gemeint war: vor der Schließung. Daniele Fiumara, der Betriebsratsvorsitzende in Bad Neuenahr, ein Mann mit einer ruhigen, höflichen Stimme, sagt: „Apollinaris wurde jahrelang vernachlässigt, der Konzern hat die Marke kaum beworben.“ Fiumara kann sich an Situationen erinnern, wo kein Leergut mehr da war, um Flaschen mit Wasser zu füllen. Sowas tut weh. 

Schon länger zeichnete sich ab, dass Coca-Cola stärker auf die Wassermarke Vio setzt, die in der Lüneburger Heide abgefüllt wird. Eine Pressesprecherin erklärt, die Marke Vio sei breiter aufgestellt und spreche mit Biolimonaden und Direktsaftschorlen „tendenziell jüngere Verwender an“. Coca-Cola Deutschland ist mit 7500 Mitarbeitern der größte Getränkehersteller Deutschlands. Jetzt heißt es David gegen Goliath, eine der wertvollsten Marken der Welt gegen die einstige Weltmarke, der die Geschichte wie ein Mühlstein um den Hals hängt. Die Wirtschaftspresse bejubelte den „überfälligen Schritt der Marktbereinigung“. Das Geschäft mit dem Mineralwasser ist schwieriger geworden, seit die Leute ihr Wasser beim Discounter kaufen oder aus der Leitung trinken. „Der Arbeitgeber sagt, wir sind nicht mehr profitabel“, sagt Fiumara traurig.

Coca-Cola nimmt 200 Marken vom Markt

Doch hinter den Plänen in Bad Neuenahr steckt mehr: eine globale Restrukturierung. Im Oktober kündigte Coca-Cola an, weltweit rund 200 Marken vom Markt zu nehmen, die Hälfte des Portfolios. Konzernchef James Quincey erklärt, dass diese Marken nur rund zwei Prozent des Umsatzes erwirtschaften, die andere Hälfte die restlichen 98 Prozent. Das ist ein Befund, bei dem Unternehmensberater wahrscheinlich zu einer Restrukturierung raten. Für die Gewerkschaft NGG sind die Pläne eine Sauerei. 

„Coca-Cola Deutschland schreibt nach wie vor schwarze Zahlen“, erklärt der NGG-Südwest-Landesvorsitzende Uwe Hildebrandt. „Trotz Gewinnen Standorte zu schließen“, sagt er, „sei reine Profitgier.“ Volker Daiss, Geschäftsführer der NGG-Region Mittelrhein, erklärt: „Mitten in der Corona-Pandemie langjährig Beschäftigte ohne wirtschaftliche Not auf die Straße zu setzen, ist rücksichtslos.“ 

Für die Betriebsräte kam die Hiobsbotschaft, dass Apollinaris geschrumpft werden soll, mit einer Stunde Vorlauf gegenüber den Beschäftigten. „Die betroffenen Betriebsräte erfuhren um 13 Uhr von den Plänen des Konzerns“, erzählt Fiumara, „um 13.30 Uhr gab es eine Telefonkonferenz mit dem Gesamtbetriebsrat, um 14 Uhr wurden die Beschäftigten an den Standorten zusammengerufen.“ Egal ob in der Abfüllung, in der Instandhaltung, in der Logistik – überall herrscht seitdem Unruhe. „Dass es Apollinaris so hart trifft, hat uns aus den Socken gehauen.“ 


Andere Standorte trifft es noch härter. Das Coca-Cola-Abfüllwerk in Liederbach bei Frankfurt mit 261 Beschäftigten soll ganz schließen. „Überaus frech“ nennt Gewerkschafter Hildebrandt es, die Beschäftigten kurz nach einem erfolgreichen Tarifabschluss derart vor den Kopf zu stoßen. „Die Beschäftigten haben das nicht verdient.“ Gemessen an dem, was einige DAX-Konzerne durchmachen, geht es in Bad Neuen­ahr um nicht sehr viele Arbeitsplätze. Aber die NGG ist entschlossen, sich gegen den Niedergang zu stemmen. Der eben erst verlängerte Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung, der Abfindungen und sozialverträgliche Lösungen ermöglicht, ist nur die letzte Bastion. 

Gegenüber dem Magazin Mitbestimmung erklärt Coca-Cola: „Es ist unser Ziel, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden – durch alternative Stellen an anderen Standorten des Unternehmens oder durch einvernehmliche Lösungen.“ Hildebrandt sagt: „Wir werden mit den Betriebsräten und den Beschäftigten um jeden einzelnen Arbeitsplatz kämpfen.“

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