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Der Blick über die Schulter Magazin Mitbestimmung

Arbeitsrecht: Der Blick über die Schulter

Ausgabe 05/2020

Eine elektronische Überwachung von Beschäftigten im Homeoffice ist nur in eng definierten Fällen erlaubt. Von Wolfgang Däubler, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bremen

In Zeiten von Corona, wo Hunderttausende über Wochen und Monate im Homeoffice arbeiten, wächst bei vielen Vorgesetzten das Bedürfnis, ihre Mitarbeiter zu kontrollieren. Machen sie sich im Homeoffice vielleicht einen faulen Lenz? Die Hersteller von Überwachungssoftware verzeichnen derzeit hohe Zuwachsraten. Aber dürfen Arbeitgeber den Beschäftigten überhaupt derart hinterherspionieren?

Die Rechtsprechung sagt dazu Folgendes: Hält die Software lediglich fest, ob der Mitarbeiter mit dem EDV-System des Betriebs verbunden ist, bestehen keine Bedenken. Anders sieht es aus, wenn die Software das Verhalten im Detail erfasst, also beispielsweise Tastatureingaben aufzeichnet und auswertet oder regelmäßig Screenshots anfertigt. Dies ist allenfalls erlaubt, wenn ein durch Tatsachen begründeter Verdacht besteht, dass jemand seiner Arbeitsverpflichtung nicht ausreichend nachkommt. Wäre der Arbeitnehmer etwa dabei beobachtet worden, wie er während der Arbeitszeit einkaufen geht, bestünde eine solche Verdachtssituation. Ohne einen derartigen Verdacht hingegen wäre eine solche Maßnahme klar rechtswidrig: Die Totalüberwachung macht den Arbeitnehmer genau wie am Arbeitsplatz zum reinen Beobachtungsobjekt – und dies verstößt gegen die Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Sogar die elektronische Erfassung einzelner Arbeitsschritte – um beispielsweise die Leistung von Beschäftigten vergleichen zu können – ist unzulässig. Das hat das Bundesarbeitsgericht vor einigen Jahren im Fall des Versicherers HUK Coburg entschieden. Das Unternehmen hatte eine Reihe von Parametern der Arbeit erfasst, etwa die Dauer von Telefonaten mit Kunden oder die pro Quartal abgeschlossenen Schadensfälle. Eine solche „Belastungsstatistik“, die „dauerhaft die Erfassung, Speicherung und Auswertung einzelner Arbeitsschritte und damit des wesentlichen Arbeitsverhaltens der Arbeitnehmer (...) während ihrer gesamten Arbeitszeit vorsieht“, so das Bundesarbeitsgericht, stelle „einen schwerwiegenden Eingriff“ in das Persönlichkeitsrecht dar. Er wurde für unzulässig erklärt.

Das hat zahlreiche Konsequenzen. Der Arbeitgeber darf etwa eine Gehaltserhöhung oder eine Beförderung nicht verweigern, wenn er sich dabei auf Erkenntnisse über mangelnde Arbeitsleistungen stützt, die er durch widerrechtliche Überwachung des Arbeitnehmers gewonnen hat. Informationen, die unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlangt wurden, dürfen dem betroffenen Arbeitnehmer auch in einem eventuellen Kündigungsschutzprozess nicht entgegengehalten werden. Nach Artikel 82 der Datenschutzgrundverordnung könnte der Beschäftigte in solchen Fällen sogar Schadensersatz verlangen. Dies empfiehlt sich allerdings nur dann, wenn der Arbeitnehmer ohnehin beabsichtigt, den Betrieb in Kürze zu verlassen.

Wenn ein Arbeitnehmer den Verdacht hat, dass er im Homeoffice elektronisch überwacht wird, oder wenn es sogar eindeutige Belege dafür gibt, dass der Chef ihm unerlaubt über die Schulter schaut, sollte er sich sofort an den Betriebsrat wenden. Für den Beschäftigten hat dies den Vorteil, dass er sich gegenüber seinem Arbeitgeber nicht persönlich exponieren muss. Gibt es keinen Betriebsrat oder bleibt dieser untätig, so kann sich der Arbeitnehmer – auch anonym – an die Aufsichtsbehörde für den Datenschutz wenden. Den Namen des Betriebs muss er allerdings nennen. Außerdem muss der Arbeitnehmer ernst zu nehmende Indizien für eine unerlaubte Überwachung darlegen können. Die Behörde ist dann verpflichtet, der Angelegenheit nachzugehen, und wird dies in aller Regel auch tun.

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