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Sebastian Guttmann und Meike Bär, Gesamtpersonalräte im Schulamt in Frankfurt am Main, haben eine Vereinbarung zum Arbeits- und Gesundheitsschutz erreicht. Magazin Mitbestimmung

Arbeitsschutz: Dem Wildwuchs ein Ende

Ausgabe 06/2020

An Frankfurter Schulen arbeiteten Viele am Rande ihrer nervlichen Belastung. Eine Betriebsvereinbarung zum besseren Schutz der Beschäftigten wurde für den Personalräte-Preis nominiert. Von Jasmina Katharina Welter

Meike Bär müsste sich vermutlich einen ganzen Nachmittag Zeit nehmen, um sämtliche Probleme an den 170 Frankfurter Schulen im Detail aufzulisten: marode Gebäude, Lehrermangel in wichtigen Fächern, beengte Räumlichkeiten, hoher Krankenstand, Quereinsteiger, die noch nicht voll einsetzbar sind, Chaos durch ständig wechselnde politische Vorgaben und seit dem Frühjahr auch noch Corona. „Wir bekommen fast täglich E-Mails mit Schilderungen der katastrophalen Zustände“, erzählt die Gesamtpersonalrätin beim Schulamt der Mainmetropole. „Viele Lehrer sind am Rande ihrer nervlichen Belastung.“

Beim Gesamtpersonalrat laufen die Berichte über die Probleme aus den einzelnen Schulen zusammen. Bei 8000 Mitarbeitern an den Frankfurter Schulen kommt da einiges auf den Tisch. Und es bleibt nicht bei E-Mails. In den letzten Jahren gab es fast 70 offizielle Gefährdungsanzeigen – so der behördliche Ausdruck für die schriftliche Information eines belasteten Beschäftigten an seinen Vorgesetzten. Eine Gefährdungsanzeige – das ist schon Warnstufe Gelb.

Bei einer genaueren Analyse der Gefährdungsanzeigen stießen die Personalräte auf einen regelrechten Wildwuchs. Arbeits- und Gesundheitsschutz – und damit auch die Überlastung von Mitarbeitern – wurden bislang nämlich nicht, wie es eigentlich sein sollte, regelmäßig evaluiert. Die entsprechenden Begehungen der Schulen – mit Interviews und Fragerunden – fanden in der Vergangenheit zwischen „alle fünf Jahre“ (kam selten vor) und „nie“ (kam oft vor) statt. Ähnliches gilt auch für die psychologische Gefährdungsbeurteilung durch den Betriebsärztlichen Dienst. Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet mittlerweile jeden Arbeitgeber, die seelische Belastung in seinem Unternehmen evaluieren zu lassen – per Fragebogen, Beobachtungsinterviews oder Workshops. In den meisten Schulen hatte dieser „psychologische Belastungs-TÜV“ noch nie Station gemacht.

In manchen Fällen war zeitliche Überlastung der Grund, mitunter auch mangelnde Information. Viele Schulleiter wissen nicht, dass sie sich an den Arbeitsschutzausschuss, in dem unter anderem Schulträger und Betriebsärztlicher Dienst vertreten sind, wenden können. „Als Förderschullehrer werde ich an unterschiedlichen Schulen eingesetzt, an denen in Sachen Arbeits- und Gesundheitsschutz eklatante Unterschiede bestehen“, erzählt Sebastian Guttmann, Lehrer und Vertreter im Gesamtpersonalrat. „Es kann doch nicht sein, dass bei dem gleichen Arbeitgeber derart unterschiedliche Standards herrschen.“

Die Missstände riefen den Gesamtpersonalrat auf den Plan. Das Gremium sammelte sämtliche relevanten Informationen, richtete eine Arbeitsgruppe ein, diskutierte die Ergebnisse mit der Amtsleitung und einem Juristen und präsentierte schließlich einen Masterplan für den Gesundheits- und Arbeitsschutz in Form einer Betriebsvereinbarung, die dem Schutz der Beschäftigten vor körperlicher und seelischer Überlastung deutlich größeres Gewicht einräumt als bisher. Der entscheidende Fortschritt gegenüber dem bisherigen Vorgehen: Gefährdungsanalysen mit direkter Befragung der Beschäftigten sollen künftig an allen Schulen regelmäßig im Abstand von höchstens fünf Jahren vorgenommen werden – bei akuten Gefährdungen auch umgehend. Außerdem soll die psychische Belastung stets mit erhoben werden.

Im Januar dieses Jahres trat die Dienstvereinbarung für alle Frankfurter Schulen in Kraft. In einigen Fällen seien Personalräte, gestärkt durch die neue Dienstvereinbarung, schon auf ihre Schulleiter zugegangen und hätten Gefährdungsbeurteilungen eingefordert, berichten Meike Bär und Sebastian Guttmann. „Schon jetzt zeigt sich, dass die Dienstvereinbarung verlässlich und überprüfbar zum Schutz aller Beschäftigten beiträgt“, findet Meike Bär. Ein Urteil, dem sich auch die Vorauswahl-Jury des Deutschen Personalräte-Preises anschloss. Das Gremium nahm den Frankfurter Gesamtpersonalrat mit seinem Reformprojekt in den Kreis der für den diesjährigen Preis Nominierten auf.

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