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Magazin Mitbestimmung

: dazu exklusiv online ein Interview mit Raymond Torres, Chef des ILO-Instituts für Arbeitsmarktforschung

Ausgabe 07+08/2009

Das Gespräch führte MICHAELA NAMUTH, Journalistin in Rom. Foto: Michaela Namuth

Herr Torres, bei der ILO-Konferenz im Juni haben sich erstmalig 182 Länder auf einen Katalog von Beschäftigungsmaßnahmen, den Global Job Pact, geeinigt. Warum gerade jetzt?
Durch die Krise werden 200 Millionen Arbeitsplätze verlorengehen. Die Beschäftigungskrise wird länger dauern als die Wirtschaftskrise. Deshalb beginnen die Länder umzudenken. Vor der Krise lehnten viele den Eingriff des Staates in die Wirtschaft ab. Heute ist dies unumgänglich, um die reale Wirtschaft und nicht ein System der Spekulationen zu fördern. Besonders die Entwicklungsländer müssen unterstützt werden. Sie tragen im Gegensatz zu den hoch entwickelten Ländern keine Verantwortung für die Krise.

Die ILO kann Vorschläge machen, hat aber kaum Sanktionsmöglichkeiten gegen die Mitgliedsstaaten.
Natürlich kann die Konferenz keine verbindlichen Richtlinien festlegen. Wir bieten den Ländern mit den Ergebnissen unserer Arbeitsmarktforschung Ressourcen an, und sie können den Katalog der Politikoptionen an ihre spezifische Situation anpassen. Wir wollen Erfahrungen teilen und herausfinden, welche Maßnahmen funktionieren und welche nicht. Die ILO wurde von der G20-Gruppe beauftragt, die Krisenstrategien der Länder zu analysieren und zu bewerten. Das bedeutet einen konkreten Einfluss auf Entscheidungen, die unsere Zukunft bestimmen.

Wo sehen Sie die Gewerkschaften weltweit in der Verantwortung?
Die Gewerkschaften und auch die Arbeitgeber haben ein gemeinsames Interesse an einem stabilen Wirtschaftssystem. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um dieses Interesse mit Nachdruck gegenüber den Institutionen geltend zu machen und so die Wege aus der Krise mitzugestalten. Die ILO ist eine tripartite Organisation, das ist ihre Stärke. Die Sozialparteien haben den Beschäftigungspakt mitvereinbart und sind aber auch gleichzeitig reale Akteure, die im Unternehmen oder auf anderen Ebenen an Entscheidungsprozessen beteiligt sind.

Hat Deutschland mit der Mitbestimmung einen guten Weg gefunden, um auch mit dieser Krise umzugehen?
Die deutsche Mitbestimmung erweist sich in der Krise als effzient. Dank der spezifischen Beteiligungsstrukturen konnte in der Automobilindustrie ein Kurzarbeitmodell ausgehandelt werden, das derzeit eine Beschäftigungskatastrophe verhindert.

Kann das ein Vorbild für andere Länder sein?
Die frage ist, ob dieses System auch langfristig funktioniert. Die Globalisierung verursacht eine zunehmende Fragmentierung des Produktionsprozesses und das Mitbestimmungssystem funktioniert vor allem in großen Unternehmen. Andererseits wird eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer bei Unternehmensentscheidungen in Zukunft ein wichtiges Thema sein. Wenn das Finanzsystem wieder stabiler wird, können die Unternehmen wieder langfristig planen. Dazu benötigen sie auf jeden Fall die Beteiligung der Arbeitnehmer, wie sie das deutsche und auch andere Modelle vorsehen.

Sie gehen davon aus, dass das globale Finanzsystem wieder stabiler wird?
Darüber entscheidet vor allem das nächste G20-Treffen. Deshalb wäre es wichtig, dass wir als ILO dabei sind. Wir haben von allen, die uns finanzieren, den Auftrag, an unsere Ziele zu erinnern: die nachhaltige und somit kalkulierbare Entwicklung der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes, des Sozialschutzes und des Lebensstandards der Bevölkerung. Sowohl die Menschen als auch die Unternehmen brauchen eine stabile Perspektive und keine Finanzspekulationen. Diese Stabilität anzumahnen ist die Aufgabe der ILO.

 

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