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Magazin Mitbestimmung

: dazu ein Bericht über die Arbeitnehmerbeteiligungs-Verhandlungen bei der französischen SCOR SE 'Wir hatten keine Vorbilder'

Ausgabe 07+08/2008

Bei den Arbeitnehmerbeteiligungs-Verhandlungen in der ersten französischen SE blieben die betrieblichen Arbeitnehmer unter sich. 

Von Mario Müller, Journalist in Frankfurt/Main/Foto: Wolfgang Roloff 

Scor sei ein "spannender Fall" gewesen, meint Jörg Reinbrecht, aber der französische Versicherungskonzern hat auch "unsere Schwächen aufgezeigt, die  internationale Koordination ist uns nicht gelungen", räumt Reinbrecht auf der Böckler-EGI-Tagung zur SE-Arbeitnehmerbeteiligung Anfang Juni 2008 in Frankfurt freimütig ein. Den Mangel an Koordination haben sich die internationale Dienstleistungsgewerkschaft UNI, die französische CFDT und ver.di, wo Reinbrecht im Fachbereich Finanzdienstleistungen auch für die internationale Arbeit zuständig ist, zuzuschreiben.  

Die Musik spielte in der Scor-Zentrale in Paris.
Patrice Salles, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von Scor SE und Mitglied der Gewerkschaft CFDT,  ist mit dem Ablauf ebenfalls unzufrieden. Weder kam die CFDT in die Gänge noch kamen Informationen von jenem Rechtsanwalt, der den Betriebsrat der Kölner Scor-Konzerntochter in punkto SE-Arbeitnehmerbeteiligung beriet. Auch sein Scor-Kollege Christophe Lefèvre von der Angestellten-Gewerkschaft CFE-CGC hätte es lieber gesehen, "wenn die europäischen Gewerkschaftsorganisationen eingebunden worden wären".

Dabei hatten sich die französischen Belegschaftsvertreter vom Kontakt mit Köln einiges versprochen. Der Kauf des einst zum Gerling-Konzern gehörenden Rückversicherers Revios mit seinen knapp 300 Beschäftigten könnte, so hofften sie, auch zu einer Übernahme von Beteiligungsrechten à l'allemande bei Scor führen. "Wir wollten Mitbestimmung nach deutschem Modell",  sagt Salles.

Das war mit der Geschäftsführung allerdings nicht zu machen. Scor-Chef Denis Kessler, einst Vizechef des französischen Unternehmerverbands Medef, gilt als "harter Hund", der versucht, die ohnehin mageren Mitspracherechte französischer Beschäftigter möglichst gering zu halten. Als der Konzern vor einigen Jahren in finanzielle Schwierigkeiten geriet, verordnete Kessler ein rigides Sparprogramm, dem trotz heftiger Proteste der Belegschaft auch einer der beiden Arbeitnehmer-Sitze im Verwaltungsrat - in Frankreich zugleich Vorstands-  und Aufsichtsratsfunktionen übernimmt - zum Opfer fiel.

Gut, dass Salles und Lefèvre, die unterschiedlichen Milieus angehören an einem Strang zogen. Denn entsprechend "schwierig" gestalteten sich die Verhandlungen über die SE-Arbeitnehmervertretung. Die Geschäftsführung hatte die Umwandlung in erster Linie betrieben, um Übernahmen, Umstrukturierungen sowie den Kapitalverkehr zwischen den verschiedenen europäischen Konzern-Gesellschaften zu erleichtern. Außerdem ging es ihr darum, allein der französischen Versicherungsaufsicht zu unterliegen.

Gegen das, so Salles, "bestens vorbereitete" Management  hatten die Belegschaftsvertreter von Anfang an schlechte Karten. "Wir standen unter Druck und mußten um Informationen, etwa über andere Konzernteile, kämpfen", erzählt der Gewerkschafter. Hinzu kamen Verständigungsprobleme: Obwohl im Besonderen Verhandlungsgremium (BVG) Arbeitnehmer aus sieben Nationen, darunter zwei Deutsche, vertreten waren, wurden als Sprachen nur Französisch und Englisch zugelassen. "Wir hatten keine Vorbilder, keine Rechtsprechung, keine Erfahrungen mit der Gründung einer SE oder dem BVG", beschreibt Lefèvre die Situation. Zum Glück hätte man aber auf die Hilfe eines externen Experten zurückgreifen können.

"Unsere Stärke war, dass wir unseren ausländischen Kollegen auf der Arbeitnehmerseite  immer wieder das Wort erteilten,  berichtet Salles über die Arbeit im BVG, den er gemeinsam mit Lefévre leitete. Das Abkommen sieht vor, dass der 20-köpfige SE-Betriebsrat von der Geschäftsleitung über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens informiert und zu Entscheidungen, die die Interessen der Arbeitnehmer in mehreren EU-Ländern berühren, konsultiert wird. Salles hätte sich zwar "verbindlichere und präziserer" Regeln gewünscht, spricht aber gleichwohl von einer "guten, ausgewogenen Vereinbarung", zumal das Management nur das in der EU-Richtlinie vorgesehene Mindestmaß angestrebt habe. Wichtig sei auch, dass Belegschaftsvertreter ein Rederecht gegenüber Journalisten  hätten: "Das erzeugt Angst und Schrecken beim Management."  

Schwachpunkt bleibt allerdings die Vertretung im Verwaltungsrat. Nur der von den Beschäftigten weltweit gewählte Arbeitnehmer ist im Managementgremium stimmberechtigt, das zweite, vom Betriebsrat nominierte Mitglied dagegen nicht. Schwierigkeiten gibt es zudem mit dem Informationsfluss. Wenn es um konfliktträchtige Themen geht, erhalten die Arbeitnehmer im Verwaltungsrat die Unterlagen häufig erst während der Sitzung, könnten sich also nicht  vorbereiten, sagt Salles.

Die Lehren aus dem spannenden Fall zieht Norbert Kluge, SE-Koordinator vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut ETUI-REHS: "Die SE zwingt uns zu intensiver Zusammenarbeit. Das ist kein unverbindliches Gewerkschaftertreffen, am Ende des Tages sind Verträge zu unterschreiben."

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