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Warum hängen europäische Behörden wie Junkies an Microsoft? Magazin Mitbestimmung

Von GUNNAR HINCK: Das Dilemma mit Microsoft

Ausgabe 03/2018

Wissen Warum hängen die europäischen Behörden wie Junkies an Microsoft? Der Fernsehfilm des von der Böckler-Stiftung geförderten Recherchenetzwerks „Investigate Europe“ gibt spannende Antworten.

Von GUNNAR HINCK

Die Idee zum Film kam Harald Schumann vor zwei Jahren. Schumann, Investigativ-Journalist der Berliner Zeitung „Tagesspiegel“ und Mitglied des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Recherchenetzwerks „Investigate Europe“, nahm an einer IT-Schulung teil. Ein Computer-Experte machte ihn auf ein gravierendes Sicherheitsrisiko aufmerksam. Der Experte wunderte sich, warum die Computersysteme in den Behörden wegen der Abhängigkeit vom Branchenriesen Microsoft nicht schon längst flächendeckend gehackt worden seien.

Wenig später sollte es genau so kommen: Das Schadprogramm „WannaCry“ befiel im Mai 2017 weltweit Hunderttausende Rechner von Unternehmen und Behörden, darunter die der Deutschen Bahn und des staatlichen Gesundheitsdienstes Großbritanniens, dem National Health Service (NHS). Die Rechner wurden von außen blockiert, die Betroffenen sollten über die Internetwährung Bitcoin ein „Lösegeld“ zahlen, um den Verlust ihrer Daten zu vermeiden. Die Urheber von „WannaCry“ nutzten eine fatale Sicherheitslücke im Betriebssystem Microsoft.

Autor Harald Schumann und Regisseur Arpad Bondy gehen in ihrem Film der Frage nach, warum es so weit kommen konnte – und warum Europa zu einer „Software-Kolonie“ – so der Untertitel – vom amerikanischen Fast-Monopolisten Microsoft wurde. Schumann macht sich in dem Film, der nach der Erstausstrahlung am 19. Februar in der ARD am 8. April im RBB-Fernsehen und in der Mediathek zu sehen ist, mit Hilfe seiner Kollegen von „Investigate Europe“ auf die Suche nach Antworten.

Auf der Suche nach Gründen für die Abhängigkeit

Die europäischen Behörden und Institutionen haben sich mit den Jahren in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben. Je komplexer die Programme sind und je länger das Arbeiten mit Microsoft-Software andauert, desto schwieriger ist der Ausstieg. Experten sprechen vom „Locked-in-Effekt“. Verträge laufen lange, Kunden haben viel in Updates investiert, die Administratoren sind auf Microsoft eingestellt. Deswegen nennen die Macher den Film „das Microsoft-Dilemma“ – es hat zunächst Nachteile, sich von Microsoft zu verabschieden.

Schumann macht zwei zentrale Probleme aus: Anders als freie Software wie das Betriebssystem Linux oder Büroanwendungen wie LibreOffice hält der Branchenriese den Quellcode – also den Programmiertext – geheim. Sicherheitsrisiken lassen sich von den IT-Experten im Haus nicht erkennen. Zum anderen ist der Quellcode, soviel man weiß, unnötig kompliziert und lang, was Hackern mehr Angriffsfläche bietet – so geschah es durch das Schadprogramm „WannaCry“.

„Wir sind in der absurden Situation, dass wir als Bürger unsere privatesten Daten Behörden überlassen, die keine Kontrolle über die Programme haben, die diese Daten verwalten“, sagte Schumann bei der Vorab-Vorführung des Films in Berlin. Im Film spricht der ehemalige IT-Verantwortliche der Bundesregierung, Martin Schallbruch, von einer „abnehmenden Steuerungsfähigkeit“ der Nutzer von Microsoft-Software. Behörden wissen immer weniger, wo die Daten gespeichert sind und was Microsoft mit ihnen anstellt.

Aber warum hängen die Behörden wie Junkies an Microsoft? Ein Loslösen vom Softwareriesen wäre nach anfänglichen Anstrengungen machbar und viel billiger, weil lizenzfreie Software umsonst zu haben ist. Nur der Service kostet. Harald Schumann und sein Team zeigen am Beispiel des französischen Bildungsministeriums, wie Microsoft seinen Einfluss systematisch ausweitet und Abhängigkeiten schafft. Durch eine „Partnerschaft“ mit dem Ministerium – der Konzern spendiert für Schulen Computer – festigte Microsoft seine Geschäftsbeziehungen mit der französischen Regierung. Wobei Microsoft-Mitarbeiter sogar offizielle E-Mail-Adressen des Ministeriums bekamen.

Die Europäische Union umschifft die eigenen Wettbewerbsrichtlinien offenbar, indem sie Ausschreibungen für millionenschwere Software-Pakete so zuschneidet, dass alternative Anbieter keine Chance haben. Schumann spricht von einem Verstoß gegen das EU-Vergaberecht, die zuständige Generaldirektorin beruft sich im Film darauf, dass formal Wettbewerb herrscht – nur dass eben Microsoft als einziger Anbieter das Paket liefern könne, was die EU wolle.

Korruption kann und will der Film nicht beweisen. Entscheidender ist wohl das Denken, das bei vielen leitenden Beamten vorherrscht. So nennt Peter Batt, der derzeitige IT-Beauftragte der Bundesregierung, Microsoft „Industriestandard“ und die freie Software „experimentell“ – obwohl selbst konservative Institutionen wie die italienische Armee sich inzwischen für freie Software entschieden haben.

Was tun? Jan Philipp Albrecht, grüner Abgeordneter im EU-Parlament, fordert, dass offene und nicht geheime Programme künftig Standard in den Ausschreibungsrichtlinien sein müssen. Seine bittere Bilanz bei der Vorstellung des Films in Berlin: „Mit dem Geld, das wir für die Microsoft-Lizenzen ausgeben, hätten wir viele europäische IT-Unternehmen unterstützen können.“

Aufmacherfoto: ARD/rbb

 

WEITERE INFORMATIONEN

Die Dokumentation „Das Microsoft-Dilemma“ von Árpád Bondy und Harald Schumann wird am 8. April im dritten Programm des Rundfunks Berlin-Brandenburg gezeigt und ist bis Ende Mai in der ARD-Mediathek abrufbar.

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