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Magazin Mitbestimmung

: 'Als Aufsichtsrat sehe ich das Unternehmen anders'

Ausgabe 09/2004

Viele Arbeitnehmervertreter sind besser informiert als die Kapitalseite, wenn es um Betrieb und Branche geht. Gleichwohl ist damit nicht automatisch das tiefe Misstrauen der Kapitalseite ausgeräumt, das Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat begegnet.

Von Helene Conrady
Die Autorin ist Journalistin im Düsseldorfer Journalistenbüro words unlimited.

"Was ist der Unterschied zwischen einer Hundehütte und einem Aufsichtsrat? Der Aufsichtsrat ist für die Katz." Dieser legendäre Spruch wird Hermann-Josef Abs zugeschrieben, der von 1957 bis 1967 Sprecher der Deutschen Bank war und selbst zeitweise in 30 Aufsichtsräten saß. Seinetwegen wurde 1965 mit der "Lex Abs" das Aktiengesetz geändert und die Zahl der Aufsichtsratsmandate auf zehn begrenzt. Ob Aufsichtsräte in den 50er und 60er Jahren tatsächlich so überflüssig waren, sei dahingestellt. Fakt ist, dass Aufsichtsräte heute deutlich professioneller geworden sind: "Die Berufsaufsichtsräte sind auf dem Vormarsch", stellt die Deutsche Schutzvereinigung Wertpapier (DSW) in einer Studie 2003 anerkennend fest.

Bissige Kritik an Aufsichtsrats-Qualifikation

Gleichwohl schwingt sich eine sechsköpfige Professoren-Runde, die sich Berliner Corporate Governance Netzwerk nennt und von denen nur wenige je einen Aufsichtsrat von innen gesehen haben, derzeit zur Fundamentalkritik an der Kompetenz deutscher Aufsichtsräte auf. Die Arbeit in vielen dieser Gremien sei "geradezu satirereif", behauptet der Wirtschaftsrechtler Franz Jürgen Säcker "insbesondere Arbeitnehmervertreter, die von der Werkbank oder aus der Buchhaltung kommen, sind überfordert." Und folgert: "Die Mitbestimmung über den Aufsichtsrat war ein Irrweg." Als Beleg fällt ihm nicht viel mehr ein, als dass "die Arbeitnehmer keinem wild gewordenen Vorstand in den Arm gefallen sind, sondern fast alle Torheiten, wie den Kauf von Triumph Adler durch VW, von Fokker und Mitsubishi durch Daimler, von Rover durch BMW, mitgetragen haben."
Sind Arbeitnehmer im Aufsichtsrat wirklich überfordert? Sind sie tatsächlich weniger qualifiziert als die Kapitalseite? Die Re-gierungskommission unter Leitung des Aktienrechtlers Theodor Baums, die im Jahr 2001 einen Bericht zur Corporate Governance vorgelegt hat, teilt diese Ansicht nicht. In der Praxis, so heißt es auf Seite 319 des Berichts, werde "die erforderliche Qualifikation der Arbeitnehmervertreter durch entsprechende Schulungen sichergestellt", soweit sie nicht bereits vorhanden sind.
Diese nüchterne Feststellung wird von Fachleuten als ausdrückliche Anerkennung gewertet, wie Sebastian Sick, Jurist im Referat Wirtschaftsrecht der Hans-Böckler-Stiftung hervorhebt. Im Übrigen, so Sick weiter, "bringen die Arbeitnehmer Insiderwissen von betrieblichen Prozessen und Problemen in den Aufsichtsrat ein, über die externe Mitglieder meist nicht verfügen." Gerade damit sei ein "guter Kenntnismix" für das gesamte Gremium gegeben. Wer also über Kompetenzen - oder deren Mangel - räsoniert, sollte zunächst definieren, welche Kompetenzen er meint.
Denn vielleicht meint er etwas anderes: den fehlenden Stallgeruch, die andere (Körper-)Sprache, die anderen Umgangsformen. Wer gewohnt ist, mittels eigenem Flugzeug oder gewissen Rotary-Club-Mitgliedschaften seinen Status in der gesellschaftlichen Rangordnung zu signalisieren, der fand sich schon immer deplatziert neben Menschen, deren berufliche Laufbahn an der Werkbank begann und die möglicherweise ihren Anzug oder ihr Kostüm bei Karstadt erstanden haben. Und so begrüßt diese alte, neue Elite, wie tabulos man heute wieder äußern könne, dass Arbeitnehmern "die wirkliche intellektuelle Dignität" für ein Amt in den Aufsichtsgremien der Großunternehmen fehle, so etwa Professor Wolfgang Zöllner auf einem Workshop der Berliner Corporate-Governance-Runde.

Das Misstrauen der Kapitalseite
 
Dieses "tiefe Misstrauen der Kapitalseite" haben zum Beispiel bei Novartis die Arbeitnehmervertreter anfangs "ganz stark gespürt", berichtet Gabriele Eisinger, die im Sommer 2003 als eine von sechs Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat der Novartis AG einzog. Die wichtigste Waffe der Personalfachkauffrau und Betriebsratsvorsitzenden im Novartis-Werk Sandoz Pharmaceuticals war Diplomatie. "Und das ist eine Wesensart, die hat man oder eben nicht", sagt die 39-jährige Schwäbin. Gabriele Eisinger besitzt sie und ist außerdem kompromissfähig. "Ich habe mir den Respekt der Gegenseite errungen", sagt sie, "weil ich gezeigt habe, dass es mir um sachliche Zusammenarbeit ging."
Das Misstrauen gegenüber den Arbeitnehmervertretern hat nachgelassen; doch Vorbehalte gibt es in dem von Schweizern geführten und kontrollierten Unternehmen nach wie vor. Aber auch die Arbeitnehmer sind vorsichtig - nicht ohne Grund, wie die Betriebsrätin betont: "Ich habe in den vierzehn Jahren im Betrieb in Gerlingen einiges an Missmanagement erlebt; ich weiß, dass die Kapitalseite am längeren Hebel sitzt."
Soziale Kompetenzen - das beweisen Gabriele Eisingers Erfahrungen - sind also für eine erfolgreiche Tätigkeit im Aufsichtsrat enorm wichtig. Und auch wenn diplomatisches Geschick möglicherweise nicht erlernbar ist, so kann man doch Verhandlungsführung und rhetorische Fähigkeiten trainieren.
"‚Ich möchte in der Lage sein, schlaue Fragen zu stellen‘, hat mal ein Teilnehmer in einem meiner Seminare gesagt", erinnert sich Reiner Rang, Trainer aus Köln, der im Auftrag von ver.di und der IG BCE Aufsichtsräten genau diese Fähigkeit vermitteln möchte. "Oft nutzen Vorstände und Vertreter der Kapitalseite Ausdrücke, die eine bestimmte Denkweise unterstellen. Es ist wichtig, diese Begriffe genau zu hinterfragen", so Rang. Was meint der Vorstand, wenn er von ROI - Return on investment - spricht? Wie definiert er das genau? "Gerade englische Begriffe sind nicht immer sehr präzise", behauptet der Trainer, "jeder versteht möglicherweise etwas anderes darunter." Außerdem, je trendiger der Begriff, desto eher ist er dazu geeignet, etwas zu verschleiern als wirklich Fakten zu benennen.

Insiderphrasen und Fremdwörter

"Sätze voller Phrasen und Fremdwörter" irritieren auch die Novartis-Aufsichtsrätin Gabriele Eisinger. "Die Kapitalseite merkt das oft gar nicht mehr, wenn sie ins Denglisch fällt", glaubt sie. Davon kann auch Monika Brandl, seit 2002 Mitglied im Aufsichtsrat der Telekom ein Lied singen: "Ich frage oft: Kann man das auch auf Deutsch sagen?" berichtet die Geschäftsführerin des Konzernbetriebsrats. Gerade in einem techniklastigen Unternehmen wie der Telekom sind nicht nur Kürzel wie LAN, oder WAN gang und gäbe. Mit einem lässigen "WiFi" (für wireless fidelity, also eine Art "drahtloses Glück"), einem "add on" (Zusatzmöglichkeiten) oder ein paar "nice to haves" (weitere Zusatzmöglichkeiten) wollen die Nutzer nicht nur ihr Fachwissen dokumentieren, sondern auch signalisieren, dass sie zu einem exklusiven Kreis von Insidern gehören. Um mitreden zu können, hat Monika Brandl daher ihre Sprachkenntnisse aufgefrischt und paukt auch im Alltag fleißig Englisch. "Konsequente Weiterbildung ist absolutes Muss in diesem Job", sagt die gelernte Bankangestellte, die in den 80er Jahren zur Deutschen Post wechselte und dort eine - erfolgreiche - Karriere im mittleren Dienst begann. "Betriebswirtschaft, Bilanzen, was ist eine GuV (Gewinn- und Verlustrechnung), das alles sollte schon etwas geläufig sein. Zumindest sollte die Bereitschaft bestehen, sich das Ganze anzueignen", sagt Brandl.
Mit ihrer Einschätzung steht sie nicht allein. Das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern hat beispielsweise 2002 einen Leit-faden für Mitglieder in den Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen veröffentlicht, in dem nicht nur Fachkenntnisse von allen Aufsichtsratsmitgliedern verlangt werden, sondern auch entsprechende Fortbildungen empfohlen werden. Kontrolliert werde dies im Rahmen der kommunalen Aufsicht.
Auch die IG Metall erinnert ihre Kandidaten für ein Aufsichtsratsmandat nachdrücklich an die Verpflichtung zur Weiterbildung: Seit neuestem müssen die künftigen Aufsichtsräte mit ihrer Unterschrift unter die "Richtlinien zur Aufnahme in den Wahlvorschlag der IG Metall" diese Weiterbildungsverpflichtung anerkennen. "Wer hierfür keine Zeit hat, hat aus unserer Sicht auch keine Zeit für eine verantwortungsvolle Aufsichtsratstätigkeit", betont der IG-Metall-Vize-Vorsitzende Berthold Huber. "Für selbstverständlich" hält auch DGB-Vorstandsmitglied Dietmar Hexel "eine Selbstverpflichtung jedes Aufsichtsrats zur Weiterbildung", nicht nur weil jeder dem Aktienrecht genügen muss. Außerdem diskutiert der DGB zusammen mit Vertretern der Gewerkschaften, ob "Qualitätsstandards oder auch ein Zertifikat hilfreich sein könnten", so Hexel (siehe auch das Interview Seite 56).
"Viele Arbeitnehmer sind besser informiert als die Kapitalseite, wenn es um Branchenkenntnisse oder um politische Zusammenhänge geht, meint Trainer Rang, ein ehemaliger Wasserbauwerker, der auf dem zweiten Bildungsweg sein Volkswirtschaftsstudium absolviert hat. "Was sie sich wirklich aneignen müssen, sind Kenntnisse, um strategische Entscheidungen beurteilen zu können."

Fülle von Qualifizierungsangeboten

Nicht nur die IG Metall bietet ihren Mitgliedern eine Fülle von Angeboten, um sich für die Tätigkeit im Aufsichtsrat fit zu machen; auch ver.di, die IG BCE, die IG Bau sowie die NGG tun dies. Hinzu kommen private Anbieter, wie beispielsweise das Institut zur Weiterbildung von Betriebsräten (IfB) in Murnau, das Poko in Münster oder das BePeFo in Colmbach. Zum Angebot gehören mehrtägige Grund- und Aufbauseminare, in denen es um allgemeine Fragen wie rechtliche Grundlagen, Fragen der Haftung, innere Ordnung der Gremien geht. Außerdem gibt es Seminare zu speziellen Themen wie strategische Unternehmenssteuerung, Corporate Governance und Jahresabschluss oder Veranstaltungen zu branchenspezifischen Themen. Die großen Gewerkschaften bieten ihren Aufsichtsratsvertretern außerdem regelmäßige Klausurtagungen an, in denen sich die Arbeitnehmervertreter einer Branche zum Erfahrungsaustausch treffen können. "Ausgesprochen wertvoll" findet Monika Brandl von der Telekom diese Treffen.
Insgesamt ist das gewerkschaftliche Angebot breit gefächert; das hat auch eine Evaluierung der Aufsichtsratsweiterbildung ergeben, die von der Hans-Böckler-Stiftung unternommen wurde. Außerdem nutzen die meisten Aufsichtsratsmitglieder die Publikationen der Stiftung, wie auch die Fach- und Wirtschaftspresse als weitere Bausteine für die eigene Weiterbildung.
Was ist die wichtigste Aufgabe eines Aufsichtsrats-Mitglieds? "Den Jahresabschluss lesen und verstehen", sagen viele. Für Monika Brandl, die schon durch ihre Ausbildung fit in Sachen Betriebswirtschaft und Finanzen ist, war das Zahlenwerk der Telekom kein Problem. Anders dagegen bei Uwe Löb, Schichtführer im Leverkusener Werk der Dynamit Nobel GmbH Explosiv und in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied seit 2003 auch im Aufsichtsrat des Unternehmens. Der 41-Jährige erinnert sich noch mit Grausen an seine erste Aufsichtsratssitzung: "eine mittlere Katastrophe". Die Zahlen, die dort diskutiert wurden, kannte er weder - noch verstand er sie. Seither hat er - mit finanzieller Unterstützung seines Arbeitgebers - alle einschlägigen Seminare der IG BCE besucht, weitere Fortbildungen sind bereits gebucht. "Ich hätte nie gedacht, dass die Interpretation von Zahlen so viel Spaß machen kann", sagt der gelernte Chemikant, "außerdem habe ich jetzt als Mitglied des Aufsichtsrates eine ganz andere Sichtweise auf das Unternehmen. Ich verstehe manche Vorstandsentscheidung viel besser."
Kann er heute einen Jahresabschluss lesen und verstehen? "Ja, aber nicht bis ins letzte Detail", behauptet Löb. "Einen Jahresabschluss wirklich verstehen? Das kann keiner. Das können nur ausgewiesene Fachleute", hält Gabriele Eisinger dagegen. Sie vertraut daher lieber auf ihre Kollegen aus der Abteilung Bilanzanalyse im Hauptvorstand der Gewerkschaft. "Wir haben ihnen nach Genehmigung durch den Vorstand den Jahresabschluss der Novartis zur Analyse geschickt und haben eine hervorragende Ausarbeitung - versehen mit Anmerkungen und Fragen - zurückbekommen. Davon waren sogar die Vertreter der Kapitalseite im Aufsichtsrat beeindruckt", berichtet Eisinger.

»Das tiefe Misstrauen der Kapitalseite haben wir anfangs ganz stark gespürt.«

Gabriele Eisinger, Aufsichtsrätin der Novartis AG

»Konsequente Weiterbildung ist absolutes Muss in diesem Job.«

Monika Brandl, Aufsichtsrätin der Telekom AG 

»Seitdem ich Aufsichtsrat bin, verstehe ich manche Vorstandsentscheidung besser.«

Uwe Löb, Aufsichtsrat der Dynamit Nobel GmbH

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