Unternehmensführung: Alle stehen auf der Bremse
Die EU und die Bundesregierung sind dabei, die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf Eis zu legen. Der DGB schlägt Alarm. Von Kay Meiners
Welches Unternehmen würde öffentlich sagen, es wäre nicht dabei? „Nachhaltigkeit“ ist ein Begriff, zu dem sich alle eifrig bekennen – besonders, wenn sie mit ein paar Hochglanzbroschüren davonkommen. Hinter den Kulissen arbeiten Lobbygruppen daran, eine härtere Regulierung und erweiterte Berichtspflichten zu verhindern. Sie warnen vor Bürokratiekosten, vor der angeblichen Komplexität der Standards, verweisen auf die angespannte Wettbewerbslage.
Aktuell scheint es, als hätten sie damit Erfolg. Regierungen treten auf die Bremse. „Das Thema Nachhaltigkeit hat an Strahlkraft verloren. Insbesondere die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung wird vielfach als Bürokratiemonster missverstanden“, sagt Alexandra Schädler, Referatsleiterin am Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) und Expertin für die Nachhaltigkeitsberichterstattung.
Zwar ist die zentrale EU-Richtlinie zum Thema, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), schon seit Januar 2023 in Kraft. Sie sollte ursprünglich große Unternehmen und bestimmte kapitalmarktorientierte KMU dazu verpflichten, über ihr Engagement für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – auf Englisch „Environmental, Social and Governance“ (ESG) – zu berichten.
Doch passierte einiges, was das Projekt nicht gerade befördert hat. Der erste deutsche Versuch, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, scheiterte am Bruch der Ampelkoalition. Und jetzt hat das Bundesjustizministerium unter Leitung von Stefanie Hubig im Juli einen neuen Referentenentwurf vorgelegt. Zugleich wird die EU-Richtlinie unter dem Vorwand der „Entbürokratisierung“ im Rahmen einer Omnibus-Initiative noch einmal überarbeitet.
Auch auf der EU-Ebene weist alles darauf hin, die Startzeitpunkte für die Nachhaltigkeitsberichterstattung nach hinten zu verschieben. Im April wurde dazu eine neue EU-Richtlinie, die sogenannte „Stop the Clock“-Richtlinie verabschiedet. Sie gibt Unternehmen mehr Zeit. Dazu ist, gerade in den USA, aber teilweise auch in Europa, ein wahrer Kulturkampf über das vermeintlich linke oder „woke“ Thema ESG entbrannt.
Unzureichender Gesetzentwurf
Den meisten Unternehmen dürfte die neue Langsamkeit hierzulande nur recht sein. Doch beim DGB stößt der Gesetzentwurf der neuen Bundesregierung auf massive Kritik. Vor allem, weil der Gesetzentwurf vorsieht, dass Unternehmen mit weniger als 1000 Beschäftigten für die Geschäftsjahre 2025 und 2026 nicht mehr berichtspflichtig sind. Die Folge, zumindest in der nahen Zukunft, wäre eine Reduzierung der berichtspflichtigen Unternehmen um ganze 80 Prozent. Der DGB sieht die Ziele der Nachhaltigkeitsrichtlinie im nationalen Gesetzentwurf nur teilweise umgesetzt. In einer öffentlichen Stellungnahme resümiert der Gewerkschaftsbund: „Eine sozialökologische Transformation der Wirtschaft kann nicht allein durch wenige Großunternehmen vorangetrieben werden.“ Der Anwenderkreis sei zu klein, argumentiert auch Nachhaltigkeitsexpertin Schädler.
Das Gezerre um die Frage, wann es denn endlich losgeht, wirkt fast so wie in dem Popsong „Nur kurz die Welt retten“ von Tim Bendzko, in dem es heißt: „Ich wär so gern dabei gewesen, doch ich hab viel zu viel zu tun.“ Dabei ist die Idee, dass Unternehmen Ressourcen schonen und sozialverträglich handeln, zutiefst ökonomisch. Aber in einer harten Wettbewerbssituation liegen die langfristigen Vorteile solcher Strategien nicht mehr auf der Hand. Nachhaltigkeit ist dann lästig.
Alexandra Schädler beschreibt einen schwierigen Spagat: „Natürlich muss die Wirtschaft laufen, damit die Ressourcen für die Transformation vorhanden sind.“ Doch sie lässt sich nicht beirren und setzt sich für eine solide Berichterstattung mit guten Standards ein: „Unsere Spielräume in Zukunft schrumpfen, wenn wir heute nicht handeln. Es treten dann Risiken ein, die enorm teuer werden und nicht mehr versicherbar sind.“ Jetzt von Nachhaltigkeitszielen abzurücken, fände sie fatal: „Geschäftsmodelle, die heute noch funktionieren, werden zukünftig nicht mehr funktionieren, wenn sich nichts ändert“, sagt sie.
Verschläft man die Chancen, sieht Schädler die zusätzliche Gefahr, dass andere Länder Deutschland oder die EU beim Thema Nachhaltigkeit überholen könnten. China etwa, das heute zwar noch als Umweltsünder gelte, aber Entscheidungen aufgrund seines politischen Systems schneller ausführe.
Unterdessen hat zwischen dem Gesetzgeber und den einzelnen Interessengruppen der Kampf um die Formulierungen im Gesetzentwurf begonnen. Der DGB kritisiert auch, Arbeitnehmervertreter würden nicht ausreichend adressiert. Sie müssten verpflichtend einbezogen werden, sobald die Nachhaltigkeitsberichte verfasst werden, heißt es. Die Beteiligung zu einem Zeitpunkt, zu dem alles fertig sei, lasse „kaum Raum für wirksame Einflussnahme“