zurück
 Zwölf Euro Mindestlohn sind unproblematisch Böckler Impuls

Inflation: Zwölf Euro Mindestlohn sind unproblematisch

Ausgabe 03/2022

Die geplante Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns ab Oktober dürfte die Inflation kaum verstärken, auch nennenswerte Auswirkungen auf die Beschäftigung sind nicht zu erwarten.

Mehr als sieben Millionen Beschäftigte dürfen mit mehr Geld rechnen: Sie werden direkt von der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde profitieren, auf die sich die Ampelparteien im Koalitionsvertrag geeinigt haben. Ein Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums sieht die Umsetzung für den 1. Oktober 2022 vor. Das angemessene Niveau für Lohnuntergrenzen, das unter anderem die EU-Kommission bei 60 Prozent des mittleren Lohns verortet, wird damit fast erreicht sein. Die Bundesbank glaubt indes, Wasser in den Wein gießen zu müssen: Sie warnt vor mehr Inflation durch den höheren Mindestlohn. 

Inwieweit diese Befürchtungen berechtigt sind, hat ein Forscherteam von IMK und WSI analysiert. Das Ergebnis: Es ist allenfalls mit geringen Auswirkungen auf die Verbraucherpreise zu rechnen. Durch die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro dürfte die Teuerung zur Jahresmitte 2023 kurzfristig um etwa 0,25 Prozentpunkte höher liegen, als es ohne Anhebung der Fall wäre. Der Effekt auf die Inflation würde schnell wieder abflauen, nach zwei Jahren läge sie genauso hoch wie ohne Mindestlohnanhebung. Zum Vergleich: Durch die zeitweilige Absenkung der Mehrwertsteuer hat die Inflation 2020 um gut einen Prozentpunkt abgenommen, nach der Wiederanhebung auf das alte Niveau 2021 um gut einen Prozentpunkt zugelegt. „Da die Simulationsergebnisse zugleich auch keine relevanten negativen Beschäftigungseffekte erwarten lassen, aber die reale Einkommenssituation von Millionen Mindestlohnbeschäftigten verbessert wird, ist diese Anhebung nicht nur aus einem sozialpolitischen, sondern auch aus einem makroökonomischen Blickwinkel zu begrüßen“, schreiben die Autoren.

Aus theoretischer Sicht könnte ein höherer Mindestlohn in mehrfacher Hinsicht das Preisniveau beeinflussen, erklären die Ökonomen. Zum einen sei davon auszugehen, dass das Einkommensplus bei den Mindestlohnbeschäftigten die Konsumnachfrage ankurbelt. Zum anderen könnten Betriebe gestiegene Lohnkosten für Preiserhöhungen zum Anlass nehmen. Langfristig müssten auch Auswirkungen auf die Produktivität und das Arbeitsangebot in Rechnung gestellt werden, die wiederum inflationsdämpfend wirken.

Um die Effekte abzuschätzen, haben die Forscher Simulationsrechnungen mit dem international etablierten NiGEM-Modell durchgeführt, das von verschiedenen Zen­tralbanken und internationalen Organisationen genutzt wird. Als Zeitpunkt der Mindestlohnanhebung auf zwölf Euro haben sie den 1. Oktober 2022 unterstellt. Um die Größenordnung des Lohnimpulses durch diese Anhebung beziffern und in das Modell einspeisen zu können, wurden die neuesten verfügbaren Lohndaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahr 2019 bis zum vierten Quartal 2022 auf Basis der vergangenen Entwicklung fortgeschrieben. Auch die ausstehende Erhöhung des Mindestlohns auf 10,45 Euro zum 1. Juli wurde berücksichtigt.

Aus den Berechnungen ergibt sich ein gesamtwirtschaftliches Lohnplus von 0,6 Prozent durch die Erhöhung des Mindestlohns von 10,45 Euro auf 12 Euro. Die kurzfristigen Beschäftigungs- und Wachstumseffekte „sind gering und fallen in der Gesamtbetrachtung der Maßnahme kaum ins Gewicht“, stellen die Wissenschaftler fest. Zudem dürften sich die positiven Produktivitätseffekte, die nicht in die Simulation eingeflossen sind, mittel- und langfristig dämpfend auf das Preisniveau auswirken. Tom Krebs und Moritz Drechsel-Grau von der Universität Mannheim hatten kürzlich in einem anderen Modell gezeigt, dass die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro langfristig Produktivität und Bruttoinlandsprodukts erhöht, weil sich die Beschäftigung im Niedriglohnbereich zu produktiveren Unternehmen verschiebt. 

Auch sogenannte „Spillover-Effekte“, also steigende Löhne bei jenen, die derzeit schon knapp über zwölf Euro verdienen, würden laut IMK und WSI wenig an dem Ergebnis ändern: Wenn man annimmt, dass diese Effekte noch einmal halb so groß ausfallen wie die direkten Effekte, ergibt sich eine um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte erhöhte Inflation. „Selbst diese Größenordnung wäre aufgrund des temporären Charakters noch als moderat anzusehen und bedarf keiner geldpolitischen Reaktion“, urteilen die Ökonomen. Die Angst vor einer durch die Mindestlohnanhebung ausgelösten Lohn-Preis-Spirale erscheine unbegründet.

Sebastian Dullien, Alexander Herzog-Stein, Malte Lübker, Toralf Pusch, Thomas Theobald: Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro beeinflusst Inflation kaum, IMK Policy Brief Nr. 116, Januar 2022

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen