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HBS Böckler Impuls

Gesundheitsreform: Zusatzbeitrag mit Nebenwirkungen

Ausgabe 12/2008

Krankenkassen können bald einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag erheben. Der belastet Versicherte mit geringem Einkommen deutlich stärker als besser Verdienende. Zwar mildert die vorgesehene Überforderungsklausel die Ungleichheit. Sie wird aber den Wettbewerb unter den Kassen verzerren.

In wenigen Monaten soll er kommen. Doch bislang ist der Gesundheitsfonds für die Versicherten und selbst für viele Fachleute eine Black Box. Derzeit debattieren Wissenschaftler, Kassenvertreter und Politiker vor allem darüber, wie hoch wohl der einheitliche Beitragssatz zum Fonds ausfallen wird. Klar ist, dass dieser Beitrag, den Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen, zunächst bei allen Kassen die durchschnittlichen Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten komplett decken soll. Und dass er erst wieder erhöht werden darf, wenn bei den Krankenkassen eine durchschnittliche finanzielle "Deckungslücke" von mehr als fünf Prozent entsteht. Zusatzausgaben, die beispielsweise durch Preissteigerungen für Medikamente entstehen, soll eine Kasse künftig bis zu dieser Grenze finanzieren, indem sie bei ihren Versicherten Zusatzbeiträge erhebt. Diese können einkommensabhängig oder unabhängig vom Einkommen sein. Dabei kappt eine Überforderungsklausel den individuellen Zusatzbeitrag bei einem Prozent des beitragspflichtigen Einkommens eines Versicherten.

Beispielrechnungen zeigen Mehrbelastung

Gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung haben die Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem, Stefan Greß, Anke Walendzik und Maral Manouguian berechnet, wie sich Pauschalbeiträge bei Versicherten mit unterschiedlichem Einkommen auswirken. Auf der Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels ordneten die Forscher dazu die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung zehn gleich großen Einkommensgruppen zu, so genannten Dezilen. Die beitragspflichtigen monatlichen Einkommen reichen von durchschnittlich 572 Euro im ersten Dezil bis zu 3.555 Euro im zehnten Dezil. Die Wissenschaftler rechneten verschiedene Varianten durch - je nachdem, wie groß die Deckungslücke ist, die die Kassen über die Zusatzbeiträge schließen müssen. Dabei zeigen sich zwei Trends:

Versicherte mit geringerem Einkommen werden bei einkommensunabhängigen Zusatzbeiträgen prozentual deutlich stärker belastet als solche mit höheren Bezügen. Und: Je mehr Geld eine Kasse über den Zusatzbeitrag einziehen muss, desto schneller wächst die Zahl der Versicherten, die unter die Überforderungsklausel fallen. Folge: Die übrigen Versicherten zahlen mehr, um diese Ausfälle auszugleichen. So läge der Zusatzbeitrag einer durchschnittlichen Kasse, die fünf Prozent ihrer Finanzlücke decken muss, bei rund 14 Euro. 2 Euro davon sind nötig, um Überforderungs-Ausfälle auszugleichen. In einer Simulationsrechnung haben die Forscher ermittelt, wie die Versicherten durch die Einführung des Zusatzbeitrags bei gleichzeitiger Absenkung des Beitrags an den Gesundheitsfonds be- bzw. entlastet werden. Bei einem Finanzierungsanteil von fünf Prozent würden in diesem Szenario die drei am besten verdienenden Einkommensdezile finanziell entlastet - der Beitrag sinkt maximal um etwa 2,2 Prozent. Die Versicherten in den fünf unteren Dezilen müssten hingegen im Schnitt 2,3 Prozent mehr zahlen.

In diesem Zusammenhang weist das Team um die Professoren Wasem und Greß auf ein zentrales Problem hin: "Die derzeit vorgesehene Variante der Überforderungsklausel bürdet die Kosten des Einkommensausgleichs ausschließlich den Versicherten der jeweiligen Krankenkasse auf", weil besser verdienende Mitglieder dieser Kasse die Zusatzbeiträge von finanziell überforderten Versicherten teilweise mit übernehmen müssen.

Kassen mit vielen geringer verdienenden Mitgliedern gerieten dadurch von vornherein ins Hintertreffen. Durch höhere Zusatzbeiträge würden sie ihre finanziell stärkeren Mitglieder verprellen. Die Wissenschaftler empfehlen daher, den Kassen die durch die Überforderungsklausel verursachten Einnahmeausfälle aus dem Gesundheitsfonds zu erstatten. Somit würden die Versicherten aller Krankenkassen gemeinsam für die Forderungsausfälle aufkommen; Wettbewerbsverzerrungen könnten vermieden werden.

  • Die Beispielrechnungen zeigen: Versicherte mit geringerem Einkommen werden bei einkommensunabhängigen Zusatzbeiträgen prozentual deutlich stärker belastet als solche mit höheren Bezügen. Zur Grafik

Maral Manouguian, Stefan Greß, Anke Walendzik, Jürgen Wasem: Finanzielle Auswirkungen des Zusatzbeitrags auf die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (pdf), Diskussionsbeitrag Nr. 166 aus dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, Mai 2008; Stefan Greß, Maral Manouguian, Anke Walendzik, Jürgen Wasem: Gesundheitsfonds und Finanzierungsreform im GKV-WSG, in: Gesundheit und Gesellschaft Wissenschaft, Ausgabe 2/2008

mehr Infos auf der Projektseite "Bürgerversicherung und Gesundheitspauschale"

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