Inflation: Zeit für weitere Zinssenkung
Aktuell droht wenig Gefahr durch eine höhere Inflation. Es ist höchste Zeit, dass die EZB ihre Geldpolitik weiter lockert.
Die Europäische Zentralbank (EZB) handelt nach Ansicht des IMK zu zögerlich. Eine weitere Leitzinssenkung wäre notwendig und angesichts der moderaten Preisentwicklung im Euroraum vertretbar, erklärt Silke Tober, IMK-Expertin für Geldpolitik, im aktuellen Inflationsmonitor. Die Inflation in Deutschland und im Euroraum werde im weiteren Jahresverlauf um das EZB-Inflationsziel von 2,0 Prozent schwanken und 2026 sogar darunter liegen. Gleichzeitig belasteten US-Zölle, hohe Energiepreise und die starke Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar die Wirtschaft. Dadurch steige das Risiko, dass die Inflation mittelfristig sogar zu niedrig ausfällt – das könnte Nachfrage und Investitionen hemmen und somit eine Abwärtsspirale auslösen.
„Es war ein Fehler, dass die EZB den Leitzins auf ihrer September-Sitzung nicht gesenkt hat“, schreibt Tober. „Gerade in der aktuell kritischen Phase, bevor die staatlichen Investitionen in Deutschland an Breite gewinnen, hätte die EZB einen Beitrag zur Stärkung der Investitionstätigkeit leisten müssen.“ Die Zentralbank sollte jetzt zügig eine weitere Zinssenkung in Aussicht stellen.
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Im September lag die Inflationsrate nach einer ersten Schätzung bei 2,4 Prozent und damit etwas über dem Inflationsziel der EZB. Im August, dem aktuellsten Monat, für den detaillierte Zahlen vorliegen, waren es 2,2 Prozent. Der Anstieg um 0,2 Prozentpunkte gegenüber Juli beruhte vor allem auf höheren Preisen für Lebensmittel. Zudem bremsten sinkende Energiepreise die Inflation nicht so stark wie im Juli.
Dabei betrifft die Inflation nicht alle Haushalte gleich stark: Von neun verschiedenen Haushaltstypen, die sich nach Einkommen und Personenzahl unterscheiden, hatten im August trotz des Anstiegs sieben eine haushaltsspezifische Teuerung unterhalb des Zielwerts der EZB. Lediglich zwei einkommensstarke Haushaltstypen wiesen einen Wert nahe am oder geringfügig über dem Inflationsziel auf. Konkret reichte die Spannweite im August von 1,7 bis 2,1 Prozent, der Unterschied lag also bei 0,4 Prozentpunkten. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Inflationswelle im Herbst 2022 betrug die Spanne 3,1 Prozentpunkte.
Während Haushalte mit niedrigen Einkommen, insbesondere Familien, während des akuten Teuerungsschubs der Jahre 2022 und 2023 eine deutlich höhere Inflation schultern mussten als Haushalte mit mehr Einkommen, war ihre Inflationsrate im August 2025 wie in den Vormonaten unterdurchschnittlich: Der Warenkorb von Paaren mit Kindern und niedrigen Einkommen sowie von Alleinlebenden mit niedrigen Einkommen verteuerte sich jeweils um 1,7 Prozent. Eine identische Inflationsrate hatten Alleinerziehende mit mittleren Einkommen. Alleinlebende mit mittleren Einkommen folgten mit 1,8 Prozent.
Im August waren Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen sowie Familien mit hohen Einkommen die einzigen Haushaltstypen, die Preissteigerungen geringfügig oberhalb des EZB-Ziels beziehungsweise genau auf der Marke von 2,0 Prozent hinnehmen mussten. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die niedrigeren Energiepreise bei diesen konsumstarken Haushalten weniger stark ins Gewicht fallen als bei Haushalten mit geringeren Einkommen. Zudem fragen sie stärker Dienstleistungen nach, die sich derzeit noch merklich verteuern, wie beispielsweise Versicherungen und soziale Dienstleistungen.
Bei den anderen untersuchten Haushaltstypen – Paarfamilien und Paare ohne Kinder mit mittleren Einkommen sowie Alleinlebende mit hohen Einkommen – lag die Inflationsrate im August bei jeweils 1,9 Prozent.
Lebensmittelpreise seit 2019 deutlich gestiegen
Die längerfristige Betrachtung zeigt, wie stark Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen von der Teuerung nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine betroffen waren. Güter des Grundbedarfs wie Nahrungsmittel und Energie machen einen größeren Anteil ihrer Ausgaben aus als bei Haushalten mit hohen Einkommen. Diese wirkten lange als die stärksten Preistreiber: So lagen die Preise für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke im August 2025 um 39 Prozent höher als im August 2019, also vor Pandemie und Ukrainekrieg. Damit war die Teuerung für diese unverzichtbaren Basisprodukte mehr als dreimal so stark wie die kumulierte Inflationsrate von 12,6 Prozent, die die EZB als Ziel anstrebt. Energie war trotz der Preisrückgänge der letzten Zeit rund 36 Prozent teurer als sechs Jahre zuvor.
Silke Tober: IMK Inflationsmonitor: Inflation steigt im August auf 2,2 %, Energiepreise dämpfen deutlich weniger, IMK Policy Brief Nr. 198, September 2025