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HBS Böckler Impuls

Lohnpolitik: Wachstum aus eigener Kraft

Ausgabe 16/2009

Die geringen Lohnzuwächse der vergangenen Jahre haben Deutschland zwar den Titel "Exportweltmeister" eingebracht. Eine stärkere Binnenwirtschaft hätte jedoch mehr Wachstum und Beschäftigung ermöglicht, zeigt eine Untersuchung des IMK.

Den deutschen Arbeitsmarkt kennzeichnen seit vielen Jahren niedrige Lohnzuwächse bei teilweise sogar sinkenden Reallöhnen. Angeblich ein notwendiges Opfer, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu wahren in einer globalisierten Wirtschaft. Doch stimmt das wirklich? Was wäre passiert, wenn die Löhne im vergangenen Jahrzehnt stärker gestiegen wären? Forscher des IMK haben diesen Fall mit ihrem makroökonometrischen Modell durchgerechnet.

Ihr Fazit: Insgesamt wäre ein höheres Lohnwachstum für Deutschland besser. Die Exporte nehmen dann zwar weniger zu, und damit auch das durch sie hervorgerufene Wachstum. Die stärkere Binnenwirtschaft gleicht das aber mehr als aus: Wachstum und Beschäftigung entwickeln sich etwas besser. Und Deutschlands Einkommensverteilung wäre bei weitem nicht so ungleich, wie sie heute ist.

Startpunkt der Modellsimulation bildet der Beginn der Europäischen Währungsunion 1999. Davor hatten vergleichsweise niedrige Lohnzuwächse nach einiger Zeit immer wieder zu nominalen Aufwertungen der D-Mark geführt, die die anfänglichen Wettbewerbsvorteile wieder zunichte machten und teilweise sogar überkompensierten. Mit Beginn der Währungsunion ist dieser Mechanismus außer Kraft gesetzt: Niedrige Lohnzuwächse erhöhen dauerhaft die Wettbewerbsfähigkeit.

Als Maßstab für die alternative Lohnsetzung wählten die Wissenschaftler den mittelfristigen Produktivitätsanstieg (bis zur Wirtschaftskrise rund ein Prozent pro Jahr) und die Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank von knapp zwei Prozent. Die Annahme: Mit gesamtwirtschaftlichen Lohnerhöhungen in der Größenordnung von rund drei Prozent würde Deutschland innerhalb der Währungsunion nicht an preislicher Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Im Modell sieht die Entwicklung dann so aus:

Die Löhne steigen ab 1999 um jährlich rund drei Prozent. Damit liegt das Lohnniveau pro Kopf Ende 2007 real um gut elf Prozent höher. Der private Verbrauch erhält in diesen neun Jahren einen zusätzlichen Schub von inflationsbereinigt gut drei Prozent. Die Folge: Das Niveau des Bruttoinlandsprodukts liegt nach neun Jahren real um gut ein Prozent höher, was einen Beschäftigungsanstieg von knapp einem Prozent bedeutet.

Auch der Staat profitiert - mit positiven Wirkungen für die gesamte Wirtschaft. Denn ein Lohnanstieg bedeutet höhere Staatseinnahmen. Diese bieten mehr Spielraum für ­öffentliche Investitionen. Im Lohnerhöhungsszenario können sie pro Jahr real um etwa zwei Prozent zunehmen.

Am massivsten wirken sich die kräftigen Lohnzuwächse jedoch auf die Verteilung aus: Löhne und die Transfers insgesamt liegen nach neun Jahren im Szenario um rund 18 Prozent höher, die Bruttogewinne um 11 Prozent niedriger als nach der tatsächlichen Entwicklung der letzten Jahre. Dabei wären die Gewinne auch bei der stärkeren Lohnentwicklung gestiegen, nur eben nicht so rasant. In der Modellrechnung wachsen Löhne und Gewinne fast im Gleichschritt, die Lohnquote geht nur noch geringfügig zurück.

"Die einseitige Strategie der Verteidigung des Titels des Exportweltmeisters auf Kosten einer gerechteren Einkommens- und Wohlstandsverteilung hat sich nicht gelohnt", fassen die Forscher die Ergebnisse ihrer Untersuchung zusammen. Andere europäische Länder, die zwischen binnen- und außenwirtschaftlicher Entwicklung einen balancierten Weg wählten, können eine bessere Wachstums-, Beschäftigungs- und Verteilungsbilanz vorweisen. Außerdem hat dadurch die deutsche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den wichtigsten Handelspartnern immer weiter zugenommen. Dies und der dadurch zwangsläufig wachsende Außenhandelsüberschuss gefährden die Stabilität der Europäischen Währungsunion. Gleichzeitig ist Deutschland durch die Vernachlässigung der Binnennachfrage besonders anfällig für außenwirtschaftliche Krisen geworden.

  • Auch bei einer stärkeren Lohnentwicklung wären die Gewinne gestiegen, nur eben nicht so rasant. In der Modellrechnung wachsen Löhne und Gewinne fast im Gleichschritt, die Lohnquote geht nur noch geringfügig zurück. Zur Grafik

Heike Joebges, Andreas Schmalzbauer, Rudolf Zwiener: Der Preis für den Exportweltmeister: Niedrige Löhne und geringes Wirtschaftswachstum (pdf), IMK Study Nr. 4/2009

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