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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Sozialhilfe meist nur Übergangslösung

Ausgabe 19/2009

Menschen in der staatlichen Grundsicherung geben sich meist alle Mühe, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wenn es ihnen nicht gelingt, dürfte das kaum an zu geringen "Arbeitsanreizen" liegen.

Kaum jemand richtet sich dauerhaft auf ein Leben mit der staatlichen Mindestunterstützung ein. Arbeitslosigkeit und Bezug von Fürsorgeleistungen sind in aller Regel nur Episoden und "nach wie vor keine dominierenden Lebenslaufmuster", so Ronald Gebauer, empirischer Sozialforscher an der Uni Jena. Die Attraktivität von Erwerbsarbeit sei "ungebrochen". Der Forscher hat auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) Lebensläufe von Menschen untersucht, die mindestens einmal im Leben Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II bezogen haben. Warum Erwerbsfähige in die Grundsicherung rutschen, lässt sich Gebauer zufolge besser durch individuelle Lebensumstände erklären als durch die viel diskutierte pauschale Annahme, es fehlten ökonomische Anreize zur Erwerbsarbeit - durch zu hohe Grundsicherung, zu geringe Hinzuverdienstmöglichkeiten, zu niedrige Strafen für die Ablehnung von angebotenen Jobs.

Gebauer hat anhand der Angaben westdeutscher Haushalte mit deutschem Haushaltsvorstand von 1983 bis 2006 typische Lebensverläufe mit Sozialleistungsphasen ermittelt: Ältere Männer: Sozialhilfephasen in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens. Typisch für die bis 1960 geborenen Männer, die irgendwann einmal Sozialhilfe bekamen, sind eine relativ kurze Ausbildungszeit und ein Vollzeit-Arbeitsleben. Etwa ab dem 40. Lebensjahr steigt die Zahl derer etwas an, die sich auf häusliche Tätigkeiten verlegen, nur noch halbtags arbeiten oder arbeitslos sind. In dieser Phase erhalten sie häufiger Sozialhilfe oder, seit den Hartz-Reformen, Arbeitslosengeld II. Eine Ursache könne neben Arbeitslosigkeit auch sein, dass sie aufgrund zu geringer Haushaltseinkommen ergänzende Sozialhilfe bezogen, so Gebauer. Offenbar werde ihre Arbeitskraft trotz eigenständiger Bemühungen wegen ihres Alters und geringer Qualifikationen von Arbeitgebern kaum nachgefragt.

Ältere Frauen: Teilzeitjob nach der Erziehungsphase reicht nicht bis zur Rente. Nach kurzer Ausbildungsphase kommt oft eine Vollzeittätigkeit. Darauf folgt eine Phase der Kindererziehung und anderer häuslicher Beschäftigungen - die im Lebenslauf insgesamt dominierenden Tätigkeiten. Im Anschluss gelingt zwar der Wiedereinstieg ins Arbeitsleben, meist jedoch in Teilzeit. Etwa ab dem 55. Lebensjahr sind viele von ihnen dauerhaft auf Sozialhilfe angewiesen. Dahinter können sich verschiedene Konstellationen verbergen, etwa Scheidung oder Ausfall des Erwerbseinkommens des Mannes durch Arbeitslosigkeit. Ein Wiedereinstieg ins Arbeitsleben werde "durch die Aversion von Arbeitgebern gegenüber älteren Arbeitnehmern und geringen Bildungsabschlüssen" ebenfalls schwierig, sagt der Forscher.

Gut ausgebildete Jüngere: Häufiger Wechsel zwischen Sozialhilfe, Arbeit und Ausbildung. Bei den Jüngeren, ab dem Geburtsjahr 1960, haben sich Biografien von Frauen und Männern angeglichen. Die Ausbildung dauerte länger, Teilzeitarbeit ist weiter verbreitet als bei den Älteren. Ausbildung, Berufstätigkeit und Sozialleistungsbezug wechseln sich oft ab oder überlappen sich. Das häufige Hin und Her lasse gerade "in den mittleren und späteren Lebensabschnitten auf ein hohes Aktivitätspotenzial schließen, das sich in dem Bemühen ausdrückt, nach Arbeitsverlust erneut auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen", so die Studie. Eine Teilgruppe fällt durch besonders lange Ausbildungszeiten auf - oft über das 25. Lebensjahr hinaus. Vollzeittätigkeiten spielen eine geringere Rolle als bei anderen Gruppen, Sozialhilfe in Kombination mit anderen Tätigkeiten kommt gerade in der Lebensmitte relativ häufig vor.

Berufsstart aus der Sozialhilfe. Das "quantitativ bedeutsamste Lebenslaufmuster", das Gebauer unter den jüngeren Jahrgängen fand, zeichnet sich durch vergleichsweise frühe Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung aus. Die meisten Angehörigen dieser Gruppe sind weiblich und haben nur relativ kurze Ausbildungszeiten vorzuweisen. Mit 17 Jahren bezogen zwölf Prozent Sozialhilfe - oft trotz Ausbildung oder Erwerbstätigkeit. Das sei "eine neue Dimension", schreibt Gebauer. Die weitere Entwicklung sei noch nicht abzusehen.

Die Betrachtung der Prototypen spricht dem Forscher zufolge gegen eine "massenhafte Störung der Arbeitsbereitschaft". Gerade bei Jüngeren sei zu beobachten, dass sie sich  sehr bemühen, der "Zone der Unsicherheit" zu entkommen. Sie ließen sich durch geringe Bezahlung sowie schlechte Vereinbarkeit von Beruf, Ausbildung und Kindererziehung nicht von ihrem Vorhaben abbringen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Das sei an den häufigen - wenn auch oft nicht dauerhaften - Ausstiegen aus dem Leistungsbezug abzulesen. Besonders unter Frauen nehme die Erwerbsorientierung weiter zu, auch in eher benachteiligten Schichten.  

  • Sozialhilfeempfänger, die dem Staat ein Leben lang auf der Tasche liegen, gibt es kaum. In aller Regel rutschen Menschen nur vorübergehend ins unterste soziale Netz und geben sich alle Mühe, sich wieder aufzurappeln. Zur Grafik

Ronald Gebauer: Fordern statt Fördern? - Nein! Wege aus der Arbeitslosigkeit und Armut erleichtern, in: WSI-Mitteilungen 10/2009

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