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Europa: Schulden abbauen, aber sinnvoll

Ausgabe 01/2023

Die EU-Fiskalregeln müssen dringend reformiert werden. Das sieht inzwischen auch die EU-Kommission so. Sie will mehr Wachstum und Investitionen ermöglichen.

Ein starres Festhalten an einmal beschlossenen Sparplänen soll es in der EU nicht mehr geben. Stattdessen sollen neue Fiskalregeln gelten, die Wachstum und notwendige Investitionen ermöglichen. Das sieht ein Entwurf vor, den die Europäische Kommission nach zweijährigen Beratungen vorgelegt hat. „Die Vorschläge der Kommission sind ein großer Schritt in die richtige Richtung“, erklären Experten des IMK. Der Fokus verlagere sich vom kurzfristigen Erreichen fiskalischer Zielmarken hin zu einer wachstumsfreundlicheren Ausrichtung. An manchen Stellen bleibe die Kommission aber noch hinter den Möglichkeiten zurück. 

Die bestehenden Fiskalregeln standen aus verschiedenen Gründen in der Kritik: Sie verlangten von hoch­verschuldeten Ländern drastischen Schuldenabbau in kurzer Zeit, legten komplizierte und letztlich unrealistische Zielgrößen zugrunde und vernachlässigten öffentliche Investitionen. Unter dem Strich halfen sie nicht, Krisen zu überwinden, sondern verschärften sie sogar. Der nun vorgelegte Vorschlag der Kommission setzt andere Schwerpunkte: Unflexible strukturelle Defizitziele sollen durch eine einfache Ausgabenregel ersetzt werden. Diese koppelt die Staatsausgaben – außer für Zinsen und zyklische Posten wie Arbeitslosenunterstützung – an das mittelfristige Wirtschaftswachstum. Investitionen in die soziale und ökologische Transformation der Wirtschaft sollen dabei besonders berücksichtigt werden. Staaten sollen mehr Eigenverantwortung und mehr Zeit beim Schuldenabbau erhalten – standardmäßig vier Jahre. Legen die Regierungen plausible Reform- und Investitionspläne vor, die das Wachstum steigern können, sollen weitere drei Jahre hinzukommen. Der ehemals wichtige Referenzwert, wonach die Staatsverschuldung dauerhaft höchstens 60 Prozent des Brutto­inlandsprodukts (BIP) betragen darf, soll zwar weiter gelten. Es soll aber keinen konkreten Zeitrahmen mehr zur Rückkehr auf diesen Wert geben – er verliert damit an Bedeutung. Die Regel hingegen, nach der das Defizit drei Prozent des BIP nicht überschreiten darf, soll künftig wieder strikter eingehalten und Verstöße sollen sanktioniert werden.

Eine Ausgabenregel sei transparent und ermögliche eine antizyklische Fiskalpolitik, so die IMK-Ökonomen. Sie begrüßen außerdem, dass öffentliche Investitionen erleichtert werden sollen. In welchem Ausmaß kreditfinanzierte öffentliche Investitionen möglich sein werden, sei allerdings bislang unklar. Berechnungen des IMK zeigen, dass die Auswirkungen sehr unterschiedlich sein können, je nachdem, wie die neuen Regeln konkret gestaltet werden: Je strenger sie ausfallen, desto schneller lassen sich Schulden abbauen, gleichzeitig fällt das Wachstum geringer aus. „Die Details der Ausgabenregel sind also ausschlaggebend für nachhaltige und erfolgreiche Konsolidierungsschritte bei gleichzeitig wachsendem Wohlstand“, heißt es in der Analyse. 

Bis Ende 2023 sind die europäischen Schuldenregeln aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt noch ausgesetzt, um den EU-Ländern finanziellen Spielraum zur Bekämpfung der aktuellen Krisen zu geben. Ab 2024 sollen die Regeln wieder gelten – möglichst in reformierter Form. Zu den Vorschlägen der EU-Kommission müssen nun der Europäische Rat und das Europäische Parlament Position beziehen.

Hendrik Becker, Christoph Paetz, Andrew Watt, Sebastian Watzka: Reform der EU-Fiskalregeln: Kommissionsvorschlag erster Schritt in die richtige Richtung, IMK-Kommentar Nr. 10, Dezember 2022

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