zurück
Schlechte Vorbilder Böckler Impuls

Tarifbindung: Schlechte Vorbilder

Ausgabe 01/2024

Rund ein Fünftel der Konzerne im Dax zahlt nicht nach Tarif. Und selbst bei den tarifgebundenen Unternehmen gibt es oft Lücken bei Tochterfirmen.

Die Tarifbindung ist sogar bei den Schwergewichten der deutschen Wirtschaft lückenhaft. Das zeigt eine Studie des WSI am Beispiel der Dax-40-Unternehmen: Immerhin sieben beziehungsweise 17,5 Prozent von ihnen sind überhaupt nicht an einen Tarifvertrag gebunden, beim Rest gilt das teilweise für einzelne Standorte oder Tochterunternehmen. Einfach verfügbare Informationen dazu gibt es nur in Einzelfällen. Eine Berichtspflicht könnte für mehr Transparenz sorgen und zur Stärkung des Tarifsystems beitragen, erwarten die Forschenden des WSI.

Die derzeitige Informationspolitik der Dax-Konzerne zum Thema Tarifbindung bewerten Thorsten Schulten, Marlena Sophie Luth und Malte Lübker als insgesamt unbefriedigend. Nur wenige Unternehmen wie Bayer, Rheinmetall, Henkel, Sartorius oder BMW gäben dazu in ihren Geschäfts- oder Nachhaltigkeitsberichten zumindest einige Basisinformationen preis. Das Gros bleibe bei dem Thema bestenfalls vage, obwohl sich die meisten Firmen in ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung auf die Standards der „Global Reporting Initiative“ beziehen, die Angaben zur Geltung von Tarifverträgen vorsehen.

Newsletter abonnieren

Alle 14 Tage Böckler Impuls mit Analysen rund um die Themen Arbeit, Wirtschaft und Soziales im Postfach: HIER anmelden!

In ihre Analyse haben die WSI-Fachleute neben Unternehmenspublikationen auch Informationen von Gewerkschaften und Betriebsräten sowie Medienberichte einbezogen. Der Auswertung zufolge liegt die Tarifbindung im Dax zwar weit über dem Durchschnitt der Gesamtwirtschaft. Bei genauerem Hinsehen zeigten sich aber „mehr oder weniger große Lücken“: Auch in mehreren tarifgebundenen Konzernen gelten für manche Teil- oder Tochtergesellschaften keine Tarifverträge.

„Dies ist oft das Ergebnis einer bewussten Unternehmenspolitik, der zufolge zum Beispiel Produktionsunternehmen bestimmte Dienstleistungen in unternehmenseigene Servicegesellschaften ausgliedern, die dann entweder einem schlechteren oder gar keinem Tarifvertrag unterliegen“, schreiben die Forschenden. Oft seien diese Bereiche zwar eher klein, und betroffenen Beschäftigten und ihren Gewerkschaften gelinge es immer wieder, dann doch Verbesserungen durchzusetzen. Tendenzen zur Aufweichung der Tarifbindung seien aber selbst in lange etablierten, milliardenschweren Konzernen unübersehbar.

Überhaupt keine Tarifverträge haben laut der Studie SAP, die Deutsche Börse, der Chemikalienhändler Brenntag, die Holdinggesellschaft Porsche SE, das Biotechnologieunternehmen Qiagen, der Wohnungskonzern Vonovia und der Onlinehändler Zalando. Jenseits des Dax machen zudem internationale Konzerne wie Tesla oder Amazon Schlagzeilen damit, dass sie für ihre deutschen Niederlassungen den Abschluss von Tarifverträgen verweigern.

Das Tarifsystem nach mehr als zwei Jahrzehnten fortgesetzter Erosion wieder zu stärken, sei ein Ziel, das nicht nur die Gewerkschaften verfolgen, so die Fachleute. Auch die EU-Kommission fordere von vielen Mitgliedsländern, darunter Deutschland, mehr Anstrengungen. Die Bundesregierung muss nach der neuen EU-Mindestlohnrichtlinie einen nationalen Aktionsplan erarbeiten, um die Tarifbindung wieder zu stärken. In diesem Zusammenhang könnten die Dax-Konzerne aufgrund ihrer ökonomischen Bedeutung und der damit verbundenen öffentlichen Aufmerksamkeit eine besondere Rolle spielen. Als ersten Schritt empfehlen die Forschenden, als Teil der Berichtspflicht Transparenz über die Geltung von Tarifverträgen vorzuschreiben. Als Ansatzpunkt biete sich die neue EU-Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen an. Konkret könnten große Unternehmen verpflichtet werden, für sich und alle Tochtergesellschaften anzugeben, ob Tarifbindung besteht, welcher Tarifvertrag gegebenenfalls angewendet wird und wie viele Beschäftigte er abdeckt.

Transparenz ist der Studie zufolge auch eine wesentliche Voraussetzung für weitergehende Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung. Das gelte etwa für die Forderung, öffentliche Gelder im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe oder Wirtschaftsförderung nur an Unternehmen zu zahlen, die Tarifverträge einhalten. Und auch für Investoren, die ihr Geld nachhaltig anlegen wollen, seien entsprechende Informationen wertvoll.

Thorsten Schulten, Marlena Sophie Luth, Malte Lübker: Tarifbindung in den Dax-Konzernen. Analysen zur Tarifpolitik Nr. 100, Dezember 2023

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen