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Mehr Geld und mehr Zeit für Beschäftigte Böckler Impuls

Tarifverhandlungen: Mehr Geld und mehr Zeit für Beschäftigte

Ausgabe 03/2020

Die Gewerkschaften haben im vergangenen Jahr kräftige Tariferhöhungen durchgesetzt. Gegenstand vieler Verhandlungen war auch das Thema Arbeitszeit.

 

Die Tariflöhne sind 2019 im Schnitt um 2,9 Prozent gestiegen – so stark wie selten in den vergangenen beiden Jahrzehnten. Lediglich in den Jahren 2014 und 2018 hat es höhere Abschlüsse gegeben. Das zeigt der Tarifpolitische Jahresbericht des WSI. „Der seit einigen Jahren zu beobachtende Trend zu einer expansiveren Lohnentwicklung hat sich fortgesetzt“, erklärt Thorsten Schulten vom WSI. Nachdem die Löhne in den 2000er-Jahren nur geringfügig gestiegen seien, hätten sie in den vergangenen Jahren den Rückstand teilweise aufgeholt. Real legten die Tarifvergütungen 2019 im Schnitt um 1,5 Prozent zu und damit etwas mehr als im Vorjahr, in dem die Verbraucherpreise stärker gestiegen waren. 

 

 

Zuschläge für Metaller und Pflegekräfte

 

 

Ein besonders starkes Lohnplus verzeichnete 2019 die Metall- und Elektroindustrie mit nominal 4,1 Prozent. Ins Gewicht fällt hierbei vor allem das im Tarifabschluss von 2018 vereinbarte „tarifvertragliche Zusatzentgelt“ in Höhe von 27,5 Prozent eines Monatsentgelt, das 2019 erstmals ausbezahlt wurde. Hohe Zuwächse gab es auch in der Eisen- und Stahlindustrie mit 3,9 Prozent und beim öffentlichen Dienst der Länder mit 3,6 Prozent. In anderen Branchen haben die unteren Lohngruppen oder bestimmte Berufsgruppen überdurchschnittlich hohe Zuschläge bekommen. So erhielten etwa Pflegekräfte im öffentlichen Dienst der Länder eine Mindesterhöhung von 120 Euro pro Monat. Noch stärker profitierten Pflegekräfte der Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm: Je nach Erfahrungsstufe sah ihr gemeinsamer Tarifabschluss eine Lohnerhöhung zwischen 16 und 37 Prozent vor.

 

 

Zeit ist das neue Geld

 

 

Wie schon in den Jahren zuvor rückte das Thema Arbeitszeit stärker in den Fokus. Dabei ging es in erster Linie um mehr Selbstbestimmung. Besonders beliebt waren individuelle Wahlmöglichkeiten, bei denen die Arbeitnehmer selbst entscheiden können, ob sie mehr Geld oder mehr Freizeit wollen. „Die große Unterstützung und Akzeptanz bei den Beschäftigten hat dazu geführt, dass die Gewerkschaften in immer mehr Tarifbranchen entsprechende Forderungen erhoben haben“, so Schulten. Vorreiter sei die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG gewesen. Sie hatte bereits im Dezember 2016 bei der Deutschen Bahn einen Tarifvertrag vereinbart, nach dem die Beschäftigten zwischen einer Lohnerhöhung, einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit oder mehr Jahresurlaub wählen konnten. Im jüngsten Tarifabschluss bei der Bahn wurde dieses Modell noch einmal erweitert: Ab 2021 können sich die Beschäftigten zwischen 5,6 Prozent mehr Entgelt, zwei Stunden weniger Arbeit pro Woche oder zwölf zusätzlichen freien Tagen entscheiden. Auch in der Eisen- und Stahlindustrie vereinbarten Gewerkschaft und Arbeitgeber ein Modell mit Wahlmöglichkeiten. Im November wurde in der chemischen Industrie das bislang umfassendste Tarifpaket geschnürt, wonach die individuellen Wahloptionen zukünftig neben Entgelt- und Arbeitszeitkomponenten auch noch eine Vielzahl anderer tarifvertraglicher Leistungen umfassen können.

 

 

Arbeitgeber wollen sich seltener binden

 

 

Insgesamt haben die DGB-Gewerkschaften 2019 für 8,4 Millionen Beschäftigte neue Tarifabschlüsse ausgehandelt. Weitere 12,8 Millionen Beschäftigte profitierten im vergangenen Jahr von Tarifverträgen, die in früheren Jahren vereinbart worden waren. Bei den im Jahr 2019 neu abgeschlossenen Verträgen lag die durchschnittliche Laufzeit bei 25,4 Monaten. Ein Problem ist und bleibt die rückläufige Tarifbindung: Weil sich weniger Arbeitgeber an Tarife gebunden fühlen, bleiben vielen Beschäftigten die Vorteile vorenthalten. Nach Daten des IAB-Betriebspanels arbeiteten im Jahr 2018 in Deutschland insgesamt nur noch 54 Prozent aller Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben, davon 46 Prozent in Unternehmen mit Branchentarifverträgen und 8 Prozent in Unternehmen mit Haus- und Firmentarifverträgen. Bei den Betrieben liegt die Tarifbindung sogar nur noch bei 27 Prozent, was damit zusammenhängt, dass kleinere Betriebe deutlich seltener tarifgebunden sind als größere Unternehmen. Zwar gibt es unter den Unternehmen ohne Tarifvertrag eine relativ große Anzahl, die erklären, sich freiwillig an bestehenden Tarifverträgen zu orientieren. „Orientierung kann jedoch sehr Unterschiedliches bedeuten und geht in den meisten Fällen mit einer deutlichen Abweichung von Tarifstandards einher“, so Schulten. Die Arbeitsbedingungen in nicht-tarifgebunden Unternehmen seien in der Regel schlechter als in Unternehmen mit Tarifvertrag. Im Durchschnitt müssten Beschäftigte ohne Tarifvertrag länger arbeiten, erhielten jedoch weniger Geld. 

 

 

Unsichere Konjunktur wirft Schatten voraus

 

 

Die Tarifrunde 2020 werde durch „unsicherere ökonomische Rahmenbedingungen geprägt sein“, erklärt der WSI-Wissenschaftler. Dies gelte insbesondere für die Metall- und Elektroindustrie, deren Tarifverhandlungen im Frühjahr beginnen. Schon heute hätten zahlreiche Unternehmen der Branche einen Beschäftigungsabbau angekündigt. Dementsprechend werde die Frage der Arbeitsplatzsicherung in der kommenden Tarifrunde oben auf der Tagesordnung stehen. In anderen Bereichen herrsche dagegen weiterhin großer Arbeitskräftemangel, was den Spielraum für erhebliche Lohnerhöhungen vergrößere. Das gilt nach Analyse des Experten  im Sozial- und Gesundheitswesen, aber auch in klassischen Niedriglohnbranchen wie der Landwirtschaft, dem Bäcker- und Friseurhandwerk oder dem Hotel- und Gaststättengewerbe.

 

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