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HBS Böckler Impuls

Demografie: Länger im Job - wie helfen Tarifverträge?

Ausgabe 17/2005

Unternehmen werden sich in den kommenden Jahren auf eine alternde Belegschaft stützen müssen. Um Ältere langfristig zu integrieren, braucht betriebliche Personalpolitik einen passenden tariflichen Rahmen. Eine Analyse altersbezogener Regelungen in 24 Tarifbereichen zeigt jedoch Lücken gerade im Kernbereich der Qualifizierung.

Mindern Schutzbestimmungen für Ältere deren Beschäftigungschancen, wie Kritiker behaupten? Die tariflichen Rahmenregelungen geben darauf keine Hinweise, zeigt eine Analyse des WSI-Tarifarchivs. Doch wenn Beschäftigte angesichts einer alternden Bevölkerung und leerer Rentenkassen länger im Arbeitsleben stehen sollen, brauchen sie altersgerechte Arbeitsbedingungen. Darauf sind die Tarifverträge bisher wenig eingestellt. Insgesamt fehle noch ein tarifpolitisches Konzept im Hinblick auf eine dauerhafte Integration älterer Beschäftigter in den Arbeitsmarkt, so das WSI.

Kündigungsschutz: Hier machen die meisten Tarifverträge harte Vorgaben. Ältere Beschäftigte sind besonders geschützt, die Kündigungsfristen deutlich länger. Aber: Die Regelungen sind an Lebensalter und Betriebszugehörigkeit geknüpft. Sie konzentrieren sich daher auf die Stammbelegschaften. Die 55-Jährige, die seit einem Jahr im Betrieb arbeitet, kann viel schneller gekündigt werden als ihr gleichaltriger Kollege mit 20 Jahren Betriebszugehörigkeit. Für ältere Arbeitslose wirkt der Kündigungsschutz so nicht als Einstellungshindernis. Gleichzeitig sind die Tarifverträge hier offenbar noch wenig auf moderne Berufsbiografien mit wechselnden Arbeitsstellen und Erwerbsunterbrechungen eingestellt.

Einkommen: Die Analyse widerlegt das verbreitete Klischee von der "Sitzprämie". Die Tarifgehälter sind kaum ans Lebensalter der Beschäftigten gekoppelt. Die einzige große Ausnahme - der öffentliche Dienst - wird mit dem neuen Tarifvertrag davon Abschied nehmen. Die Dauer der Berufserfahrung sollte allerdings in jedem Konzept betrieblicher Entgeltpolitik berücksichtig werden, so das WSI-Tarifarchiv.
Weit verbreitet ist die Verdienstsicherung. Sie schützt ältere Beschäftigte vor Einkommenseinbußen - oder mildert diese ab. Bei der Deutschen Bahn dürfen Arbeitnehmer ab 55 Jahren und zehn Jahren Betriebszugehörigkeit "beim Nachlassen der Kräfte infolge langjähriger Arbeit oder wegen Alterserscheinungen" nicht in eine niedrigere Entgeltgruppe zurückgestuft werden. Generell orientiert sich die Verdienstsicherung ähnlich wie beim Kündigungsschutz an der Kombination von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit.

Arbeitszeiten: Einen Anspruch auf kürzere Wochenarbeitszeiten, zusätzliche freie Tage oder mehr Urlaub gibt es nur in wenigen Bereichen für ältere - und besonders belastete - Beschäftigte. Nahezu geschlossen setzen die Tarifverträge stattdessen auf eine kürzere Lebensarbeitszeit über die Altersteilzeit. Sie wird zumeist als "Blockmodell" genutzt und ermöglicht damit einen vorzeitigen Ausstieg. Zu einem allmählichen Ausschleichen aus dem Berufsleben und einem sanften Übergang in die Rente tragen die Tarifverträge kaum bei. Es fehlen flexible Regelungen über den gesamten Verlauf des Erwerbslebens, diagnostiziert das Tarifarchiv. In eine solche Richtung weisen tarifliche Rahmenbedingungen zu Langzeitkonten, die allerdings erst langsam zunehmen.

Arbeitsorganisation, Leistung: Jahrzehntelange Belastung hinterlässt oft ihre Spuren in der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten. Die meisten Tarifverträge formulieren jedoch nur eine allgemeine Leistungsnorm. Die Mitarbeiter sollen ihre jeweilige Tätigkeit dauerhaft ohne Gesundheitsschäden ausführen können. Arbeitsmedizinische Untersuchungen und das Angebot eines Arbeitsplatzwechsels finden sich nur vereinzelt. Konzepte, die Beschäftigten auch im Alter eine "gute Arbeit" ermöglichen, fehlen. Statt dessen setzen einzelne Tarifbereiche mit hohen Sicherheitsanforderungen wie die Deutsche Flugsicherung auf den vorzeitigen Ruhestand.

Qualifizierung: Eine "fast komplette tarifpolitische Leerstelle" zeigen die Tarifregelungen ausgerechnet im zukunftsentscheidenden Kernbereich Qualifizierung für Ältere. Zwar gibt es inzwischen zahlreiche Tarifbestimmungen zur beruflichen Weiterbildung. Doch auf die speziellen Bedürfnisse von älteren Beschäftigten gehen sie fast durchgehend nicht ein. Dabei spielt das lebenslange Lernen in Zukunft eine zentrale Rolle für die Verweildauer auf dem Arbeitsmarkt.

  • Unternehmen werden sich in den kommenden Jahren auf eine alternde Belegschaft stützen müssen. Um Ältere langfristig zu integrieren, braucht betriebliche Personalpolitik einen passenden tariflichen Rahmen. Eine Analyse altersbezogener Regelungen in 24 Tarifbereichen zeigt jedoch Lücken gerade im Kernbereich der Qualifizierung. Zur Grafik

Reinhard Bispinck: Altersbezogene Regelungen in Tarifverträgen,
in: WSI-Mitteilungen 10/2005.

Bispinck, Reinhard / WSI-Tarifarchiv (Hrsg.): Tarifliche Senioritätsregelungen - Eine Analyse von tariflichen Regelungen in ausgewählten Tarifbereichen. Mehr Infos zum Buch.

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