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HBS Böckler Impuls

Mindestlohn: Ein Gewinn für die Volkswirtschaft

Ausgabe 12/2018

Der Mindestlohn nutzt nicht nur Geringverdienern, sondern auch der Gesamtwirtschaft. Er stärkt den Konsum und sorgt so für stabiles Wachstum.

Die Erfahrungen mit der gesetzlichen Lohnuntergrenze sind nach rund dreieinhalb Jahren gut: Die Löhne im Niedriglohnsektor sind deutlich gestiegen, vor der Einführung verbreitete Warnungen, der Mindestlohn werde massenhaft Beschäftigung kosten, haben sich nicht bewahrheitet. Wie sind die Aussichten für die Zukunft? Das untersucht ein Report, den Alexander Herzog-Stein, Patrick Nüß, Ulrike Stein und Rudolf Zwiener vom IMK gemeinsam mit Camille Logeay von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Technik erstellt haben. Er basiert auf einer breiter angelegten Studie des IMK im Auftrag der Mindestlohnkommission. Die Ökonomen haben für einen Zeitraum von zehn Jahren Szenarien mit und ohne Mindestlohn durchgerechnet und verglichen. So lässt sich noch genauer abschätzen, was der Mindestlohn bislang bewirkt hat – und welche weiteren gesamtwirtschaftlichen Effekte langfristig zu erwarten sind.

Der Analyse zufolge ist die Lohnuntergrenze ein Wachstumsverstärker. Das Bruttoinlandsprodukt fällt in dem Szenario mit Mindestlohn durchgehend 0,25 Prozent höher aus. Der Grund: Nicht nur die Löhne der unmittelbar betroffenen Beschäftigten steigen deutlich – im Schnitt um 18 Prozent. Es gibt auch „Spillover-Effekte“ auf die angrenzenden Gehaltsgruppen. Die gesamtwirtschaftliche Lohnsumme erhöht sich dadurch nach zwei Jahren um gut ein Prozent, nach zehn Jahren um 1,8 Prozent. Da die Konsumquote im unteren Bereich der Lohnverteilung, wo die Steigerungen anfallen, vergleichsweise hoch ist, legt der private Verbrauch um 0,5 bis 0,7 Prozent zu – was sich in einer höheren Wirtschaftsleistung niederschlägt.

Die Wachstumseffekte fallen auch deshalb so positiv aus, weil die Beschäftigung weitestgehend stabil bleibt. Der Studie zufolge dürften zwar Minijobs weggefallen sein. Sie wurden aber zu einem erheblichen Teil umgewandelt in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, sodass sich am Arbeitsvolumen insgesamt nichts geändert hat. Leichte Änderungen gibt es dagegen beim Preisniveau, das anfänglich 0,2 Prozent, nach zehn Jahren 0,5 Prozent höher liegt. Da das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank immer noch unterschritten wird, sei dieser Effekt aber zu begrüßen, so die Forscher. Auch der Fiskus profitiert: Die steigenden Steuereinnahmen lassen die Defizitquote sinken.

In einem weiteren Szenario haben die Wissenschaftler zusätzlich untersucht, was passiert, wenn der Staat die entstehenden Mehreinnahmen für höhere Ausgaben nutzt, wie es in der Realität seit 2015 der Fall war. Wächst der Staatsverbrauch um ein Prozent zusätzlich, fällt der Wachstums­effekt sogar doppelt so hoch aus. Auch die Beschäftigung liegt dann merklich über dem Szenario ohne Mindestlohn.

Laut Studie war der gesetzliche Mindestlohn notwendig zur Absicherung einer „makroökonomisch orientierten Lohnpolitik“. Eine solche Lohnpolitik schöpft den Verteilungsspielraum aus, der sich aus dem trendmäßigen Produktivitätswachstum und der Zielinflationsrate ergibt. Dass entsprechende Lohnsteigerungen in Deutschland lange nicht erreicht wurden, dürfte nach Einschätzung der Ökonomen mit dem Rückgang der Tarifbindung und der Arbeitsmarktpolitik im letzten Jahrzehnt zusammenhängen. Der Mindestlohn verhindert jetzt aber ein Ausfransen der Lohnverteilung nach unten und stabilisiert so das Tarifsystem. Wenn es auf dieser Basis gelingen sollte, eine makroökonomisch orientierte Lohnpolitik durchzusetzen, steigt der private Konsum innerhalb von zehn Jahren zusätzlich um 4,8 Prozent. Die Lohnquote würde gegenüber der Entwicklung in der Vergangenheit zulegen, das Staatsdefizit weiter sinken.

Das Fazit der Wissenschaftler: Der Mindestlohn sei ein Gewinn für die Volkswirtschaft. Vorteilhafte Auswirkungen seien bereits jetzt nachweisbar: „Er hat mit dazu beigetragen, dass Deutschland auf einen stabileren Wachstumskurs eingeschwenkt ist, der nicht nur auf Export-Erfolgen, sondern auch auf einem stabilen Wachstum der Binnennachfrage beruht.“

  • Der Mindestlohn nutzt nicht nur Geringverdienern, sondern auch der Gesamtwirtschaft. Zur Grafik

Alexander Herzog-Stein u.a.: Positive gesamtwirtschaftliche Effekte des gesetzlichen Mindestlohns – eine ökonometrische Untersuchung (pdf), IMK-Report Nr. 141, Juli 2018 

Hansjörg Herr u.a.: Makroökonomische Folgen des gesetzlichen Mindestlohns aus keynesianisch geprägter Perspektive (pdf), Studie im Auftrag der Mindestlohnkommission, Juni 2018  

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