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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmigration: Dem Wohlstandsgefälle entgegen

Ausgabe 01/2007

Formal besteht noch keine vollständige Freizügigkeit für Arbeitnehmer in Europa. Doch viele rechtliche Wege führen Arbeitsmigranten in die alten EU-Länder - in der Regel zeitlich befristet.

Seit der Osterweiterung der EU nimmt die Lohnkonkurrenz durch Arbeitskräfte aus den Beitrittsländern zu. Die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU gilt zwar erst ab 2011 - beziehungsweise für die ganz neuen Mitglieder Rumänien und Bulgarien erst ab 2014. Denn die meisten alten EU-Länder nutzen die Möglichkeit, eine vollständige Grenzöffnung für Migranten um bis zu sieben Jahre nach der Erweiterung zu verschieben. Dennoch können Arbeitskräfte aus den Beitrittsländern bereits heute in den alten EU-Staaten tätig werden, zumindest für einen begrenzten Zeitraum. Die Arbeitsrechtsexpertin Mijke Houwerzijl von der Universität Nijmegen hat die verschiedenen Möglichkeiten analysiert:

Arbeitserlaubnis. Ein Bürger aus den osteuropäischen Beitrittsländern kann sich in einem der alten Mitgliedstaaten eine Stelle suchen. Antreten kann er sie allerdings nur, wenn er eine Arbeitserlaubnis beantragt - und diese von den Behörden erhält. So nahmen in Deutschland im Jahr 2004 etwa eine halbe Million polnische Arbeitnehmer diese Hürde. Sie bekamen eine - meist befristete - Arbeitserlaubnis.

Großbritannien, Schweden und Irland haben bereits den freien Zugang gewährt und auf die Übergangsregelung verzichtet - mit ganz unterschiedlichen Folgen. So kamen nach Großbritannien, wo Fachkräftemangel herrschte, 175.000 Arbeitskräfte aus Osteuropa. Allerdings wurden Fälle von Ausbeutung, schlechten Arbeitsbedingungen und Missbrauch durch Anwerber gemeldet. Als Ursache vermutet die Rechtsexpertin die relativ schwache Regulierung des nationalen Arbeitsmarkts. Nach Schweden zog es hingegen kaum Arbeitsmigranten aus den Beitrittsstaaten. Houwerzijl führt das auf eine begrenzte Nachfrage und einen stark regulierten Arbeitsmarkt zurück. Dieser stütze sich größtenteils auf Tarifverträge, die von starken Gewerkschaften umgesetzt und überwacht werden. Das erschwert Billigarbeit.

Niederlassungsfreiheit. Selbstständige Unternehmer können ihren Firmensitz innerhalb der EU frei wählen. Sie brauchen keine Aufenthaltsgenehmigung und sind nicht an das Arbeitsrecht gebunden. Der Europäische Gerichtshof hat einen weiten Begriff von selbstständiger Tätigkeit. Er definiert sie als nicht weisungsgebundene, eigenverantwortliche Arbeit gegen "vollständige und direkte" Bezahlung. Houwerzijl schreibt: Abhängig von der jeweiligen nationalen Gesetzeslage "kann sich jeder mehr oder weniger leicht als selbstständiger Unternehmer ans Werk begeben". In den Niederlanden ließen sich 2004 zwölfmal so viele Selbstständige aus den Beitrittsländern nieder wie im Vorjahr. Auch Deutschland und Österreich verzeichneten steigende Zahlen registrierter Selbstständiger aus Osteuropa - was zum Teil als Versuch gesehen werde könne, die Übergangsregelungen zu umgehen.

Dienstleistungsfreiheit. Selbstständige, die ihre Firma in einem Beitrittsland anmelden, können EU-weit in Aktion treten. Solange die frisch verabschiedete EU-Dienstleistungsrichtlinie nicht umgesetzt ist, gelten die Gesetze am Arbeitsort. Steuern und Abgaben entgehen den alten EU-Mitgliedern aber schon jetzt, wenn auch zeitlich befristet: Selbstständige aus einem neuen EU-Staat, die nur vorübergehend in einem alten EU-Staat arbeiten, dürfen für maximal ein halbes Jahr in ihrem Heimatland und nicht am Arbeitsort Steuern zahlen - oft die für sie günstigere Variante. Sozialversicherungsbeiträge sind bis zu zwei Jahre im Heimatland fällig. In Deutschland und Österreich gilt die Dienstleistungsfreiheit nur eingeschränkt, hierzulande unter anderem im Bau- und im Reinigungsgewerbe.

Entsendung. Unternehmen aus Beitrittsländern können Arbeitskräfte in andere EU-Staaten entsenden. Für solche Arbeitnehmer gilt das Arbeitsrecht des Ziellandes: Arbeitszeit-, Pausen- und Urlaubsregelungen und - falls vorhanden - Mindestlöhne. Dennoch haben Unternehmen aus Beitrittsländern oft Kostenvorteile, weil Sozialversicherungsbeiträge weiterhin im Heimatland anfallen.

Gerade in "arbeitsintensiven Sektoren mit viel gering qualifizierter Arbeit" halten sich nicht alle Arbeitgeber an die Gesetze, schreibt die Juristin. Neben vollständig illegaler Arbeit seien vor allem "halb-legale Konstruktionen" üblich. Oft bekommen Arbeitnehmer den für eine 40-Stunden-Woche vorgesehen Mindestlohn, arbeiten tatsächlich aber 60 Stunden und mehr. Eine andere verbreitete Methode: Formell wird der reguläre Lohn gezahlt, aber gleich wieder um Kosten für Arbeitskleidung und Ausrüstung gekürzt.

Der Trend geht in Richtung eines segmentierten Arbeitsmarkts, auf dem anspruchsvolle Tätigkeiten von in- und einfache von ausländischen Arbeitskräften erledigt werden, so Houwerzijl. Gering qualifizierte Inländer haben das Nachsehen. Betroffene Branchen sind Garten- und Landschaftsbau, Fleisch verarbeitende Industrie, Hotellerie und Einzelhandel. Unter der Konkurrenz leidet auch das Lohnniveau, wie eine Studie aus den USA zeigt. Danach habe billige Arbeit von - häufig illegalen - Migranten die lokalen Einkommen innerhalb von 20 Jahren um vier Prozent reduziert, die Einkommen gering Qualifizierter sogar um über sieben Prozent.

Damit gering Qualifizierte nicht in eine negative Lohnspirale oder Langzeitarbeitslosigkeit rutschen, ist mehr Qualifikation nötig, fordert die Juristin. Gleichzeitig bräuchten die temporären Migranten mehr Schutz: Gesetze und Tarifverträge müssten besser umgesetzt werden.

  • Saisonarbeiter kommen in der Regel aus Osteuropa, der größte Teil aus Polen. Zur Grafik

Mijke Houwerzijl: Arbeitskräftemobilität in der EU nach der Osterweiterung, in: WSI-Mitteilungen 10/2006.

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