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HBS Böckler Impuls

Liberalisierung: Billig fliegen hat seinen Preis

Ausgabe 17/2013

Die Arbeitsbedingungen für viele Beschäftigte an Flughäfen haben sich verschlechtert, seit eine EU-Richtlinie 1996 mehr Wettbewerb einforderte. Ein neuer Anlauf der EU-Kommission dürfte zu noch mehr prekärer Beschäftigung führen.

Passagiere abfertigen, Flugzeuge be- und entladen, tanken, reinigen – das alles taten einst Mitarbeiter der Flughafenbetreiber. In regulären, tariflich abgesicherten Arbeitsverhältnissen. In den 1990er-Jahren verordnete die EU den Flughäfen, diese so genannten Bodenabfertigungsdienste für den Wettbewerb zu öffnen. Dahinter stand nicht zuletzt der Wunsch der Airlines, niedrigere Flughafengebühren zu zahlen, wie Professor Martin Harsche und Thomas Braun in einer Studie für die Kooperationsstelle Hochschule und Gewerkschaften Frankfurt-Rhein-Main im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung feststellen. Die Luftfahrt-Experten haben untersucht, wie sich die Arbeitsbedingungen der aktuell rund 20.000 Beschäftigten in der Branche seit der Liberalisierung verändert haben. Dazu befragten die Wissenschaftler Arbeitnehmervertreter und Manager von Dienstleistungsfirmen, Flughäfen und Fluggesellschaften sowie Experten aus Politik und Verbänden. So ergibt sich zwar keine repräsentative Statistik, aber ein eindeutiges Bild:

Das Lohnniveau ist deutlich gesunken, nachdem die Fluggesellschaften Preissenkungen um fast ein Drittel durchsetzen konnten. Die Gewerkschaft ver.di schätzt, dass der Reallohnverlust seit der Liberalisierung bei circa 25 Prozent liegt. Vor allem neu Eingestellte müssen sich mit weniger zufriedengeben. So liegen die Gehälter einer neu gegründeten Tochtergesellschaft in einem Fall 17 Prozent unter dem Verdienst der Kollegen mit Altverträgen. Nach Einschätzung der Forscher ist dies ein typisches Muster.

Die Zahl der Beschäftigten hat der Analyse zufolge zwar deutlich zugenommen. Allerdings hat sie nicht mit der Zunahme der Arbeit Schritt gehalten. So sei der Personalbestand der Bodendienste an einem Flughafen um knapp 20 Prozent gewachsen – bei verdoppeltem Passagieraufkommen.

Atypische Beschäftigungsformen haben sich zudem weit ausgebreitet. Offenbar setze sich, so die Wissenschaftler, „immer stärker das Modell durch, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Beruf zunächst als Leiharbeitskräfte beginnen, sie dann nach einigen Monaten einen befristeten Vertrag erhalten und dieser schließlich in einen unbefristeten Arbeitsvertrag umgewandelt wird“. Viele neue Stellen sind zudem nur Teilzeitjobs. Die Arbeitszeiten wurden meist stark flexibilisiert – und wo das nicht reicht, um die Spitzenzeiten zu bewältigen, kommen Leiharbeiter zum Einsatz.

Die jüngste, vom EU-Parlament im April 2013 gebilligte Initiative soll den Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern weiter verstärken; unter anderem sollen sich an großen Flughäfen mit über fünf Millionen Passagieren oder 100.000 Tonnen Fracht pro Jahr wenigstens drei Firmen Konkurrenz machen. Harsche und Braun fürchten, damit werde der bereits bestehende Trend verstärkt: „Die Zahl der qualitativ hochwertigen Arbeitsplätze mit sozialer Absicherung und tariflicher Entlohnung im Bereich der Bodenverkehrsdienstleistungen an europäischen Flughäfen wird sinken.“ Die EU-Kommission folge damit dem Prinzip Wettbewerb durch Lohndumping.

Martin Harsche, Thomas Braun: Marktöffnung der Bodenverkehrsdienste in Europa – Auswirkungen auf Arbeit und Beschäftigung, Hrsg: Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften Frankfurt-Rhein-Main, Juli 2013

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