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HBS Böckler Impuls

Bildung: Bachelor: Kein Fortschritt für Arbeiterkinder

Ausgabe 17/2015

Die Einführung von Bachelor-Abschlüssen sollte dazu beitragen, die soziale Ungleichheit im Bildungssystem zu reduzieren. Das ist offenbar nicht gelungen.

Seit 1999 wird im Rahmen des Bologna-Prozesses die europäische Hochschullandschaft umgepflügt. Der Magister heißt mittlerweile Master, dazu hat sich der Bachelor gesellt. Die Umstellung auf ein zweistufiges Studium war auch mit sozialpolitischen Zielen verbunden: Die Aussicht, schon nach sechs Semestern einen Abschluss in der Tasche zu haben, sollte die Hochschulen für Menschen aus weniger begüterten Elternhäusern attraktiver machen. Martin Neugebauer von der Freien Universität Berlin kommt in einer empirischen Studie allerdings zu dem Ergebnis, dass die soziale Unwucht eher größer geworden ist.

Der Soziologe hat Daten des Studierendensurveys der Universität Konstanz aus den Jahren 1997 bis 2009 ausgewertet, die auf Angaben von 17.900 Befragten in 149 Studiengängen beruhen. Methodisch hat er bei seiner Analyse von den Eigenheiten des Reformprozesses an den deutschen Hochschulen profitiert. Da die Umstellung uneinheitlich vonstattenging und immer noch nicht abgeschlossen ist, konnte Neugebauer nicht nur den Anteil der Studierenden aus bildungsbenachteiligten Familien vor und nach der Einführung von Bachelor-Abschlüssen vergleichen, sondern zudem die nach wie vor existierenden traditionellen Studiengänge als Kontrollgruppe verwenden.

Bei seinen Berechnungen hat der Wissenschaftler zusätzlich Studiengebühren und die Zugehörigkeit von Hochschulen zum Kreis der „Exzellenz-Universitäten“ berücksichtigt, da beides auf Arbeiterkinder besonders abschreckend wirken könnte. Die Einführung von Bachelor-Abschlüssen hat den Ergebnissen zufolge keinen messbaren Einfluss auf den Anteil der Studierenden mit Eltern ohne akademischen Abschluss. Auch wenn man Fachhochschulen und Universitäten getrennt analysiert oder nur wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge betrachtet, ergibt sich kein signifikanter Effekt.

Dass die erhofften sozialen Korrekturen ausgeblieben sind, führt Neugebauer zum einen auf die unklaren Arbeitsmarktaussichten von Bachelor-Absolventen zurück. Vielen Studien­interessierten sei nicht klar, ob ein Bachelorabschluss berufliche Sicherheit und finanzielle Unabhängigkeit garantiert. Dabei seien gerade diese Faktoren für Menschen aus weniger begüterten Familien besonders wichtig. Solange der Bachelor keine überzeugende Perspektive bietet und der Master genauso lange dauert wie die traditionellen Abschlüsse, wird sich an der Studierneigung dieser Gruppe nach Einschätzung des Forschers wenig ändern – zumal es mit der dualen Berufsausbildung hierzulande eine attraktive Alternative gibt. Auch dass die neuen im Vergleich zu den alten Studiengängen als stressiger gelten, könnte eine Rolle spielen: Wer darauf angewiesen ist, neben dem Studium Geld zu verdienen, dürfte permanenten Zeitdruck als besonders fatal empfinden.

Für höchst problematisch hält Neugebauer seinen Befund auch deshalb, weil der Master ersten Untersuchungen zufolge eine neue soziale Hürde darstellt: Im Vergleich zum Nachwuchs von Akademikern neigen Studierende aus bildungsbenachteiligten Familien eher dazu, sich mit dem Bachelor zu begnügen. Zusammengenommen hieße das: Arbeiterkinder studieren nicht häufiger, diejenigen, die sich dafür entscheiden, beenden ihr Studium aber früher. Damit hätten die Reformen die soziale Ungleichheit unter dem Strich sogar verschärft.

  • Menschen aus Arbeiterfamilien sind an deutschen Hochschulen nach wie vor unterrepräsentiert. Zur Grafik

Martin Neugebauer: The Introduction of Bachelor Degrees and the Under-representation of Students from Low Social Origin in Higher Education in Germany: A Pseudo-Panel Approach, in: European Sociological Review 5/2015

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