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HBS Böckler Impuls

Flexibilisierung: Arbeitszeiten ohne Grenzen

Ausgabe 08/2007

Fünf mal acht Stunden, zum Abendbrot zuhause und am Wochenende frei - die so genannte Normalarbeitszeit wird zur Ausnahme. Schicht- und Wochenendarbeit, extrem lange und stark schwankende Arbeitszeiten breiten sich aus.

Nur für jeden achten Beschäftigten gilt noch die "Normalarbeitszeit": zwischen 35 und 42 Stunden, von montags bis freitags ohne Schichtdienst, Überstunden oder Gleitzeit. Von 1989 bis 2003 hat sich die Quote halbiert. Der größte Teil der Beschäftigten arbeitet heute unter den Bedingungen "moderater" oder "extremer" Arbeitszeitflexibilisierung. Das zeigt eine Analyse der Arbeitszeitforscher Hermann Groß, Hartmut Seifert und Georg Sieglen auf Basis einer repräsentativen Beschäftigtenbefragung.

Um aktuelle Trends der Arbeitszeitentwicklung identifizieren zu können, haben die Wissenschaftler vor allem extreme Formen der Arbeitszeitflexibilisierung untersucht. Teilzeit- und Zweischichtarbeit stufen sie als moderat ein. Als extrem definieren sie Zeiten, die

=> pro Woche 42 Stunden und mehr betragen,
=> um 20 Stunden oder mehr in der Woche schwanken
=> oder sich an mindestens fünf Wochentagen auf ein 24-Stunden-Schichtsystem verteilen.

Rund 40 Prozent der abhängig Beschäftigten arbeiteten 2003 in solchen Jobs. 29 Prozent hatten überlange Wochenarbeitszeiten, 15 Prozent extrem schwankende Arbeitszeiten und knapp 6 Prozent mussten sich mit Schicht- und Nachtarbeit arrangieren. Dabei gibt es Überschneidungen, etwa Zeiten, die sowohl sehr lang sind als auch stark schwanken.

Überdurchschnittlich häufig finden sich extrem flexible Arbeitszeitmodelle in Betrieben mit mehr als 100 Mitarbeitern. Die Analyse der statistischen Daten lässt aber auch detailliertere Aussagen darüber zu, welche Beschäftigtengruppen von welcher Form der Flexibilisierung betroffen sind:

Normalarbeitszeit. Ohne Wochenend-, Nacht- oder Schichtarbeit kommen am ehesten Arbeitnehmer in Klein- und Mittelbetrieben mit einem Monatsnettogehalt zwischen 1.000 und 2.000 Euro aus. Ihre Tätigkeiten sind oft stark standardisiert, sie arbeiten schon relativ lange in ihrem Betrieb.

Überlange Arbeitszeit. 42 Wochenstunden und mehr arbeiten oft alleinstehende, männliche Beschäftigte mit hohem betrieblichen Status und relativ hohem Gehalt. Anfangs- und Endzeiten der Arbeit steuern sie oft selbst. Sie sind meist erst seit kurzer Zeit in ihrem Betrieb. Überdurchschnittlich häufig ist dieses Muster in der Baubranche und in den distributiven Dienstleistungen wie Handel, Transport und Versicherungen anzutreffen.

Stark schwankende Arbeitszeit. Die Beschäftigten in dieser Gruppe ähneln in vielen Merkmalen denen mit überlangen Arbeitszeiten: Sie sind häufig männlich, verdienen überdurchschnittlich, bestimmen selbst über ihre Zeit, arbeiten häufig 45 Stunden in der Woche und mehr. Ein Unterschied ist allerdings: Oft sind diese Beschäftigten im mittleren Alter und leben in Paarhaushalten mit Kind. Für sie dürfte sich "Vereinbarkeit von Beruf und Familie kaum erzielen lassen", so die Forscher.

Extreme Schichtarbeit. Sie findet sich besonders häufig in großen Betrieben des verarbeitenden Gewerbes. Stark betroffen sind aber auch soziale Dienstleistungen wie etwa Gesundheits- und Pflegedienste. Im Gegensatz zu den Industriebetrieben, wo besonders Männer im Schichtbetrieb tätig sind, arbeiten hier vor allem Frauen. Insgesamt zeichnet sich die Gruppe der extremen Schichtarbeiter durch eine relativ lange Betriebszugehörigkeit aus. Ihr Einkommen ist wegen der Schichtzuschläge überdurchschnittlich. Auch extreme Schichtarbeiter haben relativ oft Kinder.

"Flexible Arbeitszeitmuster haben die Oberhand gewonnen", resümieren die Wissenschaftler. Einen entscheidenden Einfluss auf diese Entwicklung habe die Einführung von Arbeitszeitkonten gehabt. Parallel dazu sei eine Polarisierung der Arbeitszeiten zu beobachten: Während die Arbeitszeiten der Vollzeitbeschäftigten tendenziell länger werden, steigt die Zahl der Teilzeitbeschäftigen und Minijobber.

Als Konsequenz empfehlen die Experten eine "Neuausrichtung staatlicher und tariflicher Arbeitszeitpolitik". Dabei sei "eine Reformulierung der Normalarbeitszeit" notwendig, "die sich stärker an den praktizierten Formen der Arbeitszeitgestaltung orientiert, ohne dabei ihre traditionellen Schutzfunktionen aufzugeben". Einen Ansatzpunkt könnten   die Arbeitszeitkonten bilden: Nötig wären gesicherte Wahlmöglichkeiten für die Nutzung von Zeitguthaben und Vetorechte, die Beschäftigte vor beliebigen Zugriffen der Betriebe schützen, so die Wissenschaftler.

  • Normale Arbeitszeiten sind inzwischen eher die Ausnahme als die Regel. Zur Grafik

Hermann Groß, Hartmut Seifert, Georg Sieglen: Formen und Ausmaß verstärkter Arbeitszeitflexibilisierung, in: WSI-Mitteilungen 4/2007.

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