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In Norddeutschland Zuhaus: Auf langen Spaziergängen findet Claudia Heilig für jedes Problem eine Lösung. Stipendien

Altstipendiatin: Die Verhandlerin

Ausgabe 12/2015

Claudia Heilig sorgt dafür, dass Krankenkassen möglichst günstige Konditionen bei Pharmaherstellern bekommen. Über Rabattverträge spart ihre Kasse 300 Millionen Euro im Jahr.

Von Susanna Kailitz

Nicht viele Unfälle stellen sich im Nachhinein als Glücksfall heraus. Der Unfall, der Claudia Heilig zustieß, war es aber am Ende doch. Er hat ihr Leben auf eine Weise verändert, über die die heute 41-Jährige froh ist. Vor 16 Jahren aber erlitt sie zunächst einen Schock, als ihr Arzt bekannte, er habe bei dem Versuch, ein Überbein am Finger zu operieren, einen Nerv irreparabel beschädigt. „Damals habe ich als Pharmakantin gearbeitet. Wenn man kleinste Mengen abwiegen will, braucht man ein gutes Gefühl in den Fingern. Das war mit der kaputten Hand auf einmal nicht mehr möglich.“ Claudia Heilig musste sich nach Alternativen umschauen. Und obwohl sie sich nach der Schule nie und nimmer hätte vorstellen können, weiter über den Büchern zu sitzen, entschied sie sich für ein Studium. 

„Alle waren erst einmal platt, vor allem meine Mutter. Mein ältester Bruder hatte Abitur, wollte aber nicht studieren. Und ausgerechnet ich, die früher keinerlei akademische Ambitionen gehabt und die Schulzeit mit der mittleren Reife abgeschlossen hatte, wollte das über eine Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg nun wagen.“

Heilig ließ sich nicht beirren. 2004 beendete sie als Diplom-Betriebswirtin und Diplom-Sozialökonomin ihr Studium. Im Jahr 2009 legte sie im Fach Human- und Gesundheitswissenschaften ihre Doktorprüfung ab. Ein ziemlich weiter Weg sei das gewesen, sagt sie. Dass sie ihn gemeistert hat, mache sie unglaublich stolz. Funktioniert habe das nur wegen der Hans-Böckler-Stiftung. „Ich verdanke ihr viel mehr als nur Geld“, sagt Heilig. „Zeitweise war sie so etwas wie eine Familie.“ 

In Heiligs Studiengang gab es viele Stipendiaten: „Wir haben als Böcklers gelernt, als Böcklers gefeiert und als Böcklers gelebt.“ Sogar im Verfahren gegen den Arzt, der ihre Hand verpfuscht hat, kam Hilfe aus Düsseldorf: „Die Stiftung hat mir sogar Geld vorgestreckt, damit ich das durchziehen konnte. So etwas vergisst man nicht.“ Damals war die Unsicherheit groß, wie es mit ihrem Leben weitergehen sollte. Heute ist sie froh über die Wendung, die ihr Leben an diesem OP-Tag genommen hat. Denn sie hat ihre Berufung gefunden: Für die DAK-Gesundheit, die drittgrößte deutsche Krankenkasse mit mehr als sechs Millionen Versicherten, verhandelt sie mit Pharmaunternehmen Rabattverträge. Das klingt nach viel staubigem Vertragskleinklein, ist für Heilig aber mehr als nur ein Job. „Das ist ganz viel Überzeugung. Mir geht es darum, den großen Unternehmen so viel wie möglich Geld abzuringen.“ 

Dass Pharmaunternehmen, die viel Geld in Forschung und Entwicklung stecken, auch gut verdienen wollen, findet sie zwar normal, sie sagt aber auch: „Wenn ich sehe, dass allein die DAK-Gesundheit über ihre Rabattverträge im Jahr etwa 300 Millionen Euro rausholen kann und die Unternehmen immer noch Milliardengewinne machen, dann finde ich, dass wir auch ein bisschen für Gerechtigkeit sorgen.“ Wie wichtig dieser Job auch für ihren Arbeitgeber ist, beweisen schon allein die Sicherheitsvorkehrungen, die Heilig in ihrem Hamburger Büro, in das sie täglich aus der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Tornesch pendelt, beachten muss: Jeden Abend müssen ihre Unterlagen eingeschlossen werden – die Details zu den Rabattverträgen sind die Heiligtümer der Krankenkassen.

Doch Claudia Heilig profitiert nicht nur von ihrer fachlichen Expertise, der Kenntnis über Inhaltsstoffe, Studien und Testergebnisse. Um gut verhandeln zu können, setzt sie auch auf die informelle Ebene. Es hilft, dass ihre gesamte Familie irgendwie mit dem Gesundheitswesen verbunden ist. So wird auch beim familiären Grillen über gesundheitspolitische Themen gesprochen. „Um gute Verträge rauszuholen, muss man auch wissen, wie die Strukturen der Pharmaunternehmen sind und welche Tochterfirmen auf welche Weise zusammenhängen.“

Gleichzeitig profitiert Heilig von guten Kontakten in die IG BCE, für die sie Seminare gibt. Sie ist froh über das Netzwerk, das sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hat. Und wenn der Akku mal leer ist? Dann kennt Claudia Heilig nur eine Richtung: Norden. Ihr Wohlfühlort ist die Insel Föhr. Dorthin fährt sie zum gemeinsamen Urlaub mit der Familie und immer dann, wenn sie nachdenken muss. „Schon wenn ich in Dagebüll die Fähre betrete, habe ich das Gefühl, ich kann den ganzen Rucksack mit Sorgen ablegen.“ Bislang hat es noch kein Problem gegeben, für das sich auf kilometerlangen Strandspaziergängen keine Lösung gefunden hätte.

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