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Neue Untersuchung: Arbeitszeit: Tarifverträge bieten Unternehmen bereits sehr hohe Flexibilität

28.11.2016

Bei der Arbeitszeit ermöglichen Tarifverträge viel Flexibilität. Die Interessen der Beschäftigten könnten zum Teil noch stärker verankert werden. Das zeigt eine neue Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung .

Der Wunsch nach flexibleren Arbeitszeiten ist weit verbreitet – allerdings verstehen Arbeitgeber darunter in der Regel etwas anderes als Beschäftigte: Viele Unternehmen würden ihr Personal bei Bedarf gern länger arbeiten lassen, ohne auf Vorgaben wie den Achtstundentag oder Mindestruhezeiten Rücksicht nehmen zu müssen. Aus Arbeitnehmersicht wäre es dagegen wünschenswert, die Arbeitszeit besser an die eigenen Bedürfnisse anpassen zu können.

Tarifverträge stellen einen Versuch dar, diese unterschiedlichen Interessen in Einklang zu bringen. Dr. Reinhard Bispinck, der Leiter des WSI-Tarifarchivs, hat untersucht, wie das in der Praxis aussieht. Dafür hat er die aktuellen Regelungen in 23 ausgewählten Tarifgebieten ausgewertet, die einen Querschnitt der deutschen Tariflandschaft darstellen. Der Analyse zufolge können sich die Betriebe über mangelnde Spielräume nicht beklagen. Bei den Arbeitnehmerrechten gibt es zwar Fortschritte, in vielen Branchen besteht aber noch eine Menge Gestaltungsbedarf. „Die Auswertung zeigt, dass pauschale Forderungen nach noch mehr Flexibilisierung und einer Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes nicht nur unnötig sind. Sie würden die Probleme von Beschäftigten, die Arbeit und Familienleben unter einen Hut bringen müssen, weiter verschärfen“, sagt Bispinck. „Gesetzliche Regelungen haben eine Ankerfunktion, die auch die Tarifpolitik beeinflusst.“

Als Standard ist in den meisten Tarifverträgen eine Wochenarbeitszeit festgelegt, die im Westen im Schnitt 37,5 Stunden beträgt. Dabei reicht das Spektrum von 34 Stunden bei der Deutschen Telekom bis hin zu 40 Stunden im Bauhauptgewerbe. In den neuen Bundesländern sehen die Tarifverträge durchschnittlich 38,7 Stunden vor.

Abweichungen von der Wochenarbeitszeit sind oft auch dauerhaft möglich. In einer Reihe von Branchen darf die reguläre Arbeitszeit im Rahmen bestimmter Korridore variieren – in der Chemieindustrie beispielsweise zwischen 35 und 40 Stunden pro Woche. In verschiedenen Branchen sind darüber hinaus zeitlich begrenzt Arbeitstage von bis zu 10 Stunden und Wochenarbeitszeiten von 50 Stunden möglich. Befristete Verkürzungen sind häufig als beschäftigungssichernde Maßnahme vorgesehen. Ansonsten lassen die meisten Tarifverträge eine gewisse „Grundflexibilität“ durch temporäre Schwankungen zu, wobei die Ausgleichszeiträume bis zu zwölf Monate betragen. Im Großen und Ganzen gebe es „sehr große betriebliche Gestaltungsmöglichkeiten bei Lage und Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit“, so Bispinck.

Ähnliches gilt für Überstunden: Hier gibt es in der Druckindustrie und dem bayerischen Hotel- und Gaststättengewerbe überhaupt keine tarifliche Einschränkung, ansonsten „mehr oder weniger weit gefasste Grenzen“. Ein obligatorischer Freizeitausgleich ist in lediglich zwei Branchen vorgeschrieben – und auch dort nur, soweit die betrieblichen Belange dies zulassen. Auch Wochenendarbeit ist der Auswertung zufolge nur in wenigen Bereichen tariflich wirksam eingegrenzt.

Weit verbreitet seien mittlerweile Arbeitszeitkonten, schreibt der WSI-Experte. Langzeitkonten, die längere Auszeiten beispielsweise für Weiterbildung, Pflege oder eine Freistellung vor der Rente ermöglichen sollen, gibt es in sechs der 23 untersuchten Tarifgebiete.

Ein tariflich fixiertes Recht auf Teilzeit hätten die Gewerkschaften nur in Einzelfällen und auch dort nicht zwingend durchgesetzt, so der Autor. Auch Ansprüche auf einen Wechsel in Vollzeit stehen in der Regel unter dem Vorbehalt, dass die betrieblichen Verhältnisse dies zulassen. Als wichtige Errungenschaft seien aus Arbeitnehmersicht tarifliche Klauseln zu betrachten, die eine Mindestarbeitszeit pro Tag vorschreiben. Sie sollen verhindern, dass Teilzeitbeschäftigte für nur ein oder zwei Stunden in den Betrieb müssen.

Fortschritte hat Bispinck auch bei den Regelungen zu Freistellungen ausgemacht. In der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg und Nordbaden besteht beispielsweise ein Anspruch auf bis zu fünf Jahre Auszeit für die persönliche Qualifizierung. Freistellungen für die Pflege von Kindern oder Ehepartnern sind mittlerweile in diversen Tarifverträgen geregelt. Demografietarifverträge, die das Spektrum der klassischen Altersteilzeittarifverträge deutlich erweitern, stellen der Analyse zufolge nach wie vor eine Seltenheit dar.

Alles in allem sei das Flexibilitätspotenzial der tariflichen Arbeitszeitbestimmungen aus betrieblicher Sicht sehr hoch, resümiert Bispinck. Dagegen könne von einer flächendeckenden und wirksamen tariflichen Regulierung von Arbeitszeitoptionen, die den Interessen der Beschäftigten Rechnung tragen, keine Rede sein – auch wenn es den Gewerkschaften an einigen Stellen gelungen sei, Arbeitnehmerrechte tariflich stärker zu verankern.

Weitere Informationen:

Reinhard Bispinck, WSI-Tarifarchiv: Arbeitszeit – Was bietet der tarifvertragliche Instrumentenkoffer? Eine Analyse von 23 Branchen und Tarifbereichen, Elemente qualitativer Tarifpolitik Nr. 82, November 2016

Kontakt:

Dr. Reinhard Bispinck
Leiter WSI-Tarifarchiv

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

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