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HBS Böckler Impuls

Löhne: Spielraum für höheren Mindestlohn

Ausgabe 04/2018

Mit dem Mindestlohn ist ein Anfang gemacht. Aber um davon leben zu können, müsste die Untergrenze in Deutschland angehoben werden.

Der Mindestlohn hat vielen Beschäftigten in Deutschland höhere Löhne beschert. Das reicht aber noch nicht: Um ein existenzsicherndes Niveau zu gewährleisten, müsste die Untergrenze deutlich höher liegen. Bei solch einem Schritt könnte sich Deutschland am Beispiel anderer europäischer Länder orientieren, die an diesem Punkt weiter sind. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle WSI-Mindestlohnbericht. „Der deutsche Mindestlohn ist auch im europäischen Vergleich weiterhin ein Niedriglohn“, erklären Thorsten Schulten und Malte Lübker, die Autoren des Berichts. 

Aktuell ist der deutsche Mindestlohn mit 8,84 Euro pro Stunde niedriger als in den meisten westeuropäischen Nachbarländern. Noch offensichtlicher wird der Rückstand, wenn man den Mindestlohn ins Verhältnis zum Lohngefüge setzt. Dazu dient ein Vergleich mit dem Medianlohn. So wird der Verdienst bezeichnet, der genau in der Mitte der Verteilung liegt, bei dem also die eine Hälfte der Erwerbstätigen mehr und die andere Hälfte weniger verdient. Hierzulande entsprach 2016 der Mindestlohn knapp 47 Prozent des Medianlohns. Selbst Länder wie Portugal und Polen kommen auf höhere Werte. Weit vorne im europäischen Vergleich liegt Frankreich, wo die Untergrenze 60,5 Prozent des Medians beträgt. 

Nach Ansicht von Armutsforschern sollte ein Lohn, der zum Leben reicht, mindestens 60 Prozent des nationalen Medianlohns ausmachen. Auch der Europäische Gewerkschaftsbund fordert „Living Wages“ in dieser Höhe. Wie wichtig Mindestlöhne für den sozialen Zusammenhalt in Europa sind, habe der französische Präsident Emmanuel Macron kürzlich in seiner europapolitischen Grundsatzrede herausgestellt, so Schulten und Lübker. Dabei griff er auch die Idee einer gemeinsamen europäischen Mindestlohnpolitik auf, die im Kern darauf abzielt, überall in Europa ein angemessenes Mindestlohnniveau durchzusetzen. Auch im jüngst ausgehandelten Koalitionsvertrag findet sich eine ähnliche Zielsetzung wieder.

In den meisten europäischen Ländern sind die Mindestlöhne den WSI-Daten zufolge Anfang 2018 kräftig gestiegen. „Die Entwicklung der Mindestlöhne bildet damit eine wichtige Stütze für die allgemeine Lohnentwicklung in Europa“, schreiben die Forscher. Auch wenn der reale Anstieg durch höhere Preissteigerungsraten etwas gedämpft worden sei. Nominal stiegen die Mindestlöhne innerhalb der EU im Mittel um 4,4 Prozent, real um 2,8 Prozent.

Am stärksten war der nominale Zuwachs in Rumänien mit 52 Prozent. Dass die Steigerungsraten in Osteuropa hoch ausfallen, ist nicht verwunderlich, schließlich haben die osteuropäischen Staaten am meisten aufzuholen. Aber auch für Spanien, Italien und Irland verzeichneten die WSI-Forscher wieder ein Plus, dies war auf dem Höhepunkt der Eurokrise lange nicht der Fall. Der Mindestlohn in Griechenland blieb wie schon in den vergangenen Jahren eingefroren – im Jahr 2012 hatte die Troika eine Kürzung erzwungen, seitdem gab es keine Erhöhung mehr.

Neben Griechenland und Luxemburg ist Deutschland das einzige europäische Mindestlohn-Land, in dem die Untergrenze verglichen mit dem Vorjahr nicht angehoben wurde. Eine Anpassung findet hierzulande nur alle zwei Jahre statt. Mitte 2018 wird die Mindestlohnkommission dazu eine Empfehlung aussprechen, die sich im Rahmen einer Gesamtabwägung auch  an der Entwicklung der Tariflöhne orientiert. „Bereits heute ist dabei absehbar, dass der deutsche Mindestlohn bei einem bloßen Nachvollzug der Tarifentwicklung nach wie vor deutlich unterhalb des Niveaus anderer westeuropäischer Staaten bleiben wird“, so die Forscher. Sie betonen außerdem, dass nicht nur die direkt Betroffenen von einer Anhebung des Mindestlohns profitieren: „Wenn Mindestlöhne relativ hoch gesetzt werden, nutzen sie nicht nur den Mindestlohnempfängern, sondern können im Zusammenspiel mit dem Tarifvertragssystem auch zu einer Anhebung der über dem Mindestlohn angesiedelten Löhne führen – und damit zu einer Lohnkompression in der unteren Hälfte der Lohnverteilung insgesamt.“

Für ihre Analyse haben die Wissenschaftler die Mindestlohndatenbank des WSI ausgewertet. Diese enthält Daten für 37 Länder seit dem Jahr 2000, darunter alle 22 der 28 EU-Mitgliedsländer, in denen es gesetzliche Mindestlöhne gibt.

  • Ein Lohn, der zum Leben reicht, sollte mindestens 60 Prozent des nationalen Medianlohns ausmachen. Zur Grafik

Malte Lübker, Thorsten Schulten: WSI-Mindestlohnbericht 2018: Preisentwicklung dämpft reale Lohnzuwächse (pdf), WSI-Report Nr. 39, Februar 2018

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