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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW „Wir leben von der Hand in den Mund“

Ausgabe 12/2011

Die Forschungs-Betriebsräte Fritz Beckmann und Hans Lawitzke finden, dass Unternehmensforschung, die von Steuergeldern finanziert wird, an Bedingungen „guter Arbeit“ geknüpft werden müsste.

Mit Fritz Beckmann, KBR-Vorsitzender bei Philips in Hamburg, und Hans Lawitzke, Betriebsrat für den FuE-Bereich bei Ford in Köln, sprach der Journalist Jörn Breiholz/Foto: Peter Frischmuth

Sie haben sich – als Mitglieder im Arbeitskreis Forschung und Entwicklung der IG Metall – vor zwei Jahren besorgt darüber geäußert, dass die unternehmensnahe Forschung allzu sehr dem betriebswirtschaftlichen Denken untergeordnet wird. Wie hat sich die Situation seitdem entwickelt?
Hans Lawitzke: Bei uns im Ford-Konzern ist der Irrsinn der reinen Kostenkontrolle besser geworden, seitdem es mit dem Konzern wieder aufwärtsgeht. Dagegen nimmt die Taylorisierung der Entwicklungsarbeit zu. Damit meine ich die für die Fließbandproduktion typische, hochgradige Arbeitsteilung und Standardisierung der Arbeitsabläufe. Dies findet man heute auch bei Ingenieuren. Und weil die Prozesse EDV-gestützt sind und ein Entwicklungsprojekt komplett auf dem Rechner entsteht, kann man arbeitsteilig von allen Orten dieser Welt zuarbeiten.

Bei Ford ist nur noch jeder zweite Forscher und Entwickler auch tatsächlich beim Konzern beschäftigt. In welchem Status arbeitet denn die andere Hälfte?
Lawitzke: Bei uns hat es in der Forschung in den letzten Jahren einen irren Wildwuchs an Leiharbeit gegeben. Für uns haben Leute aus Brasilien mit Touristenvisum gearbeitet, die formell Freelancer waren und einen Beratervertrag mit Ford England hatten – über eine belgische Firma. Es ist inzwischen normal, dass Entwicklungsaufträge als Werkverträge vergeben werden. Da gewinnt beispielsweise eine Engineering-Firma einen Karosserie-Auftrag, den aber deren Mitarbeier nicht bei sich im Büro abarbeiten können. Dann sitzen sie de facto bei uns in Köln im Gebäude und sind voll integriert in die Teams. Das ist Leiharbeit in der reinsten Form.
Fritz Beckmann: Bei uns wird versucht, die Arbeitnehmerüberlassung runterzufahren und stattdessen alles über Werkverträge zu machen. Das ist in allen Bereichen in vollem Gange. Für den Philips-Konzern ist Leiharbeit offenbar unattraktiver geworden. Grund ist die Forderung nach Equal Pay, und dass den christlichen Gewerkschaften vom Bundesarbeitsgericht die Tariffähigkeit aberkannt wurde. Das hat zu Umgehungsversuchen geführt.

Man leiht sich also jetzt die Arbeitnehmer im Werkvertrag-Paket?
Beckmann: Genau. Das Unternehmen wähnt sich damit auf der rechtlich sicheren Seite. Man hat die ganze rechtliche Problematik mit Entleiherlaubnis und zeitlicher Befristung nicht und kann über Jahre hinweg solche Werkverträge fahren.

Funktioniert die Taylorisierung, wie Hans Lawitzke sie in der FuE bei Ford beobachtet, auch in der Medizintechnik bei Philips?
Beckmann: Eher nicht. Wir haben hier sehr spezielle Anforderungen, die sich nicht in Modelle gießen und überall auf der Welt am Bildschirm nachstellen lassen. Aber unsere chronischen Probleme sind nicht gelöst. Weil der Mittelbau zusammengekürzt worden ist, müssen die Forscher immer mehr Verwaltungsarbeit machen statt wirklich forschen zu können. Und die Hierarchie wird verstärkt. So können wir seit ein paar Monaten nicht mehr selbst entscheiden, auf welchen internationalen Konferenzen wir unsere Forschungsergebnisse vorstellen. Bei Interkontinentalreisen muss das erst die oberste Ebene in Holland genehmigen.

Fritz Beckmann, als Betriebsrat und Aufsichtsratsvize von Philips Deutschland sind Sie im Unternehmen gut verankert. Inwieweit kann Mitbestimmung Einfluss nehmen?
Beckmann: Wir bewegen in unserem Konzern auf der Betriebsratsebene einiges, nicht aber auf der Aufsichtsratsebene, weil der Konzern zentral gesteuert wird und wir nur eine Auslandstochter sind. Ein Beispiel: Als die Philips-Konzernzentrale in Holland das Forschungszentrum in Aachen schließen wollte, haben wir davor gewarnt, dass es einen Know-how-Abfluss hin zur Konkurrenz geben wird, weil die Leute nicht umziehen werden. Sie haben die Forschung trotzdem geschlossen. Passiert ist, was wir prophezeit hatten. Nun fehlen uns diese Kollegen und ihr Know-how.

Philips beschäftigt in China und Indien in der Medizintechnik inzwischen Hunderte Ingenieure.
Beckmann: In Shanghai wird ein Forschungslabor für Medizinanwendungen aufgebaut, nicht zur Freude meines Chefs. Natürlich guckt man auch bei Philips darauf, die Märkte marktspezifisch zu bedienen. Man hat gelernt, dass es nicht funktioniert, ein Modell überall zu verkaufen. Philips hat in der Medizintechnik über viele Jahre High-Tech und damit High-Cost gemacht und merkt, dass der Markt in diesem Segment endlich ist. Man braucht für die Abnehmer in den Wachstumsregionen in Brasilien, Russland, Indien und China günstigere Produkte.

Kann man das einfach beschließen: Wir bauen günstigere Medizingeräte in Asien für den asiatischen Markt?
Beckmann: Medizinische Bildbearbeitung lernt man nicht innerhalb von einem Bildungsurlaub, dafür braucht man teilweise Jahre. Weil der Know-how-Transfer nicht einfach ist, sind meine deutschen Kollegen häufig in Shanghai und helfen dort auf die Sprünge. Das läuft aber nicht rund, im Gegenteil. Unsere Halle für die Produktion ist immer noch leer, und man hört, dass um die Ecke eine weitere Halle aufgebaut ist, die uns aber nicht gehört.

Also Technologiediebstahl?
Beckmann: Zumindest muss man das vermuten.
Lawitzke: Das kennen wir auch. Ein chinesischer Entwicklungspartner hat Ingenieuren unserer dortigen Getriebe-Tochter eine Komplettzeichnung von VW-Getrieben gezeigt und sie gefragt, ob wir die nachbauen können. Da ist die chinesische Regierung einfach cleverer als unsere. Die machen Industriepolitik mit allen Mitteln. Die erlauben uns als Ford-Haus nur unter der Bedingung, einen Standort aufzubauen, wenn wir mit ihnen ein Joint Venture eingehen. Nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Entwicklung. Die wollen ganz klar an das Know-how ran.

Der Arbeitskreis FuE, in dem Sie Mitglied sind, wirft der Bundesregierung vor, keine Industriepolitik zu machen, die diesen Namen verdient. Soll auch sie Technologiediebstahl befördern?
Lawitzke: Bestimmt nicht. Zumal wir als Nation von Technologieführerschaft leben und nicht von Hinterherkopiererei. Der Fehler der Bundesregierung ist, zu hoffen, der Markt regelt es. Er tut es aber nicht. Als Arbeitskreis FuE fordern wir, zu überlegen: Was sind die industriellen Felder? Wo sind Fortschritte nötig? Wo steht Strukturwandel bevor? Um dann daraus Ableitungen zu machen für industrielle Infrastrukturpolitik und Forschungspolitik. Das muss Teil des normalen Politikbetriebs werden. Parteien und Parlamente sollten darüber reden und entscheiden, was wo angestoßen und gefördert werden muss.

Der Markt hat dem Industriestandort Deutschland einen kräftigen Boom beschert. Es scheint ja nicht so schlecht zu laufen.
Beckmann: Wir leben von der Hand in den Mund. Dabei wollen wir doch die Arbeitsplätze in Deutschland längerfristig auf diesem Niveau halten. Das ist der Kern unseres Wohlstandes. Derzeit scheint es zu funktionieren. Wir haben aber Sorge, dass das nicht von Dauer ist. Lange nicht alles, was man heute entwickelt und forscht, trägt morgen Früchte. Zum Beispiel Batterien: Hätten wir deren Produktion und Entwicklung in Deutschland behalten, hätten wir heute leistungsfähige Batterien, die wir im Zeitalter der erneuerbaren Energien dringend brauchen. Stattdessen haben wir die deutsche Batterieindustrie eingehen lassen.
Lawitzke: Die Automobilindustrie, von der in Deutschland ein gutes Drittel unserer industriellen Arbeitsplätze abhängt, steht vor einem riesigen Strukturwandel. Wir müssen weg vom Verbrennungsmotor und der erdölgetriebenen Verkehrstechnik. Das ist abstrakt erkannt. Aber wie kommt man dahin? Da werden quantitativ unterausgestattete Modellprojekte lanciert, dazu ein bisschen Marketing, aber wenig Substanzielles gemacht. Hunderttausende Menschen in diesem Land forschen an Hochschulen, in Stiftungen oder Unternehmen. Aber die Kultur zu diskutieren, was und warum geforscht wird, ist völlig unterentwickelt.

Sie kritisieren, dass öffentliche Forschungsgelder an die Unternehmen fließen, ohne dass sie an irgendwelche Bedingungen geknüpft werden. Warum ist das so?
Lawitzke: Weil es nicht gewollt ist. Deswegen gibt es die Kritik an den Mitnahmeeffekten. Andererseits fürchten die Unternehmen nichts mehr, als wenn sie sich mittelfristig binden müssen. Und sie wollen sich aus Wettbewerbsgründen nicht in die Karten schauen lassen. Aber die gesellschaftliche Frage bleibt, ob wir privatwirtschaftliche Forschung weiterhin so finanzieren wollen.

An welche Bedingungen könnte man industrielle Forschungsgelder Ihrer Ansicht nach knüpfen?
Beckmann: An unserem Philips-Standort im holländischen Eindhoven sind alle Forscher und Entwickler in einem nationalen Forschungsprogramm beschäftigt. Die Gelder werden aber gestrichen, sobald die Mitarbeiter – und das gilt für jeden Einzelnen – nicht mehr bei Philips beschäftigt sind. Es geht also, Forschungsgelder mit Arbeitsplatzgarantien zu verknüpfen. Nur wird das in der Bundesrepublik nicht gemacht. Hierzulande wird wenig mehr als die Projektlaufzeit definiert.

Könnte man so auch Leiharbeit und Werkvertragsarbeit eindämmen?
Lawitzke: Das wird nicht ausreichen. Die grundsätzliche Lösung kann nur über weitere gesetzliche Beschränkungen von Leiharbeit und von allen Formen flexibilisierter Arbeit geschehen. Erst dann würde eine solche Steuerung über Fördergesetze auch Sinn machen.
Beckmann: Bei der Leiharbeit ist mit den neuesten Änderungen wenigstens ein Schritt in die richtige Richtung gemacht worden. Jetzt muss noch der Schrödersche Sündenfall der Abschaffung des Synchronisierungverbotes rückgängig gemacht und ein echtes Equal Pay zwingend vorgeschrieben werden. Dann wird die Leiharbeit als Ersatz für Dauerarbeitsplätze unattraktiv. Und die Flexibilität bliebe trotzdem erhalten.

Und bei den Werkverträgen?
Beckmann: Da steht heute manchmal nur noch „Bereitstellung von Arbeitskräften“ drin, aber es gibt keine Beschreibung des zu leistenden Werks mehr. Das ist nichts anderes als Tarifflucht und vertuschte Leiharbeit und muss dringend vom Gesetzgeber geregelt werden. Auch die „Zurverfügungstellung von üblichen Arbeitsmitteln durch den Auftraggeber“ sollte nicht mehr zulässig sein. Dann würde der Werkvertrag wieder auf das zurückgeführt, was er sein soll.

ZU DEN PERSONEN 

Fritz Beckmann, 61, prangert die Zentralisierung beim Elektronikkonzern
Philips an: „Mit unseren Anliegen dringen wir als Forscher und Entwickler nicht mehr bis zur Konzernspitze in Holland durch. Von daher geht viel dezentrales Wissen verloren.“ Der Elektroingenieur ist Betriebsrat im Medizinforschungslabor von Philips in Hamburg, Konzernbetriebsratsvorsitzender sowie Vize-Aufsichtsratsvorsitzender bei Philips Deutschland. Die Medizintechnik ist das lukrativste Standbein von Philips, einem der weltweit größten Elektronikkonzerne, in den Sparten Lichttechnik sowie Unterhaltungselektronik und Haushaltsgeräte sieht es weniger rosig aus. Vorstandsvorsitzender Franz van Houten hat dem Konzern jüngst ein weltweites Sparprogramm über 800 Millionen Euro verordnet und will wieder mehr auf die regionalen Kompetenzen des Unternehmens setzen. Betriebsrat Beckmann wird den Vorstand beim Wort nehmen. 

Hans Lawitzke, 48, hinterfragt die Finanzierung von Unternehmensforschung. „Es kann nicht angehen, dass Konzerne wie Siemens mehr Forschungsgelder erhalten als sie Steuern zahlen, aber gleichzeitig die Gesellschaft nicht mitbestimmen kann, wie diese Gelder verwendet werden.“ Der Informatiker war bis 2006 Leiter des Rechenzentrums bei Ford Deutschland in Köln, seitdem ist er Betriebsratsmitglied in Europas größtem Ford-Werk, zuständig für die Abteilung Karosserieentwicklung. Im Entwicklungsbereich in Köln arbeiten rund 1900 bei Ford angestellte Ingenieurinnen und Ingenieure sowie etwa 2000 Beschäftigte in Leiharbeit und Werkverträgen. Der weltweit fünftgrößte Autohersteller hat in den USA die Modellpalette halbiert, von den 2007 noch 12 500 Ingenieuren sind dort keine 8000 übrig. Auch Ford Deutschland hat Jobs abgebaut, ist derzeit so hoch ausgelastet wie seit 15 Jahren nicht mehr.

Mehr Informationen

Dem Arbeitskreis Forschung und Entwicklung (AK FuE) in der IG Metall gehören mehr als 40 Betriebsräte an, die 50 000 Forscher und Entwickler vertreten. AK-Mitglied Fritz Beckmann hat beobachtet, dass die Sympathie der Forscher für Mitbestimmung und Gewerkschaft gewachsen ist. Sein Kollege im AK, Hans Lawitzke, weiß, dass Forscher dieselben Grundbedürfnisse haben wie alle anderen: einen sicheren Arbeitsplatz, gute Bezahlung und eine Perspektive. 
Zu den Thesenpapieren des AK FuE

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