Forschungsprojekt: Verlagerung von Arbeitskräften in die Arbeitslosigkeit

Die zeitweise Verlagerung von Arbeitskräften in die Arbeitslosigkeit: Betriebliche Beschäftigungspolitik und die Nutzung sozialer Sicherungssysteme

Projektziel

Gegenstand der Längsschnittuntersuchung ist die nicht mehr nur auf einige wenige Branchen begrenzte Praxis, Beschäftigte aufgrund saisonaler oder konjunktureller Gründe in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, um sie nach einiger Zeit wieder einzustellen. Analysiert werden der Umfang dieser Flexibilisierungsstrategie sowie die betriebliche Ursachen für ihren verstärkten bzw. verminderten Einsatz.

Projektbeschreibung

Kontext

In einigen Branchen ist es seit längerem üblich, saisonalen Schwankungen im Arbeitskräftebedarf zu begegnen, indem man die Beschäftigten für eine bestimmte Zeit in die Arbeitslosigkeit entlässt, um sie später wieder einzustellen.

Tatsächlich ist diese Strategie der "Recalls" nicht nur auf bestimmte Branchen beschränkt, sondern stellt ein durchaus gebräuchliches personalpolitisches Instrument dar, mit dem Betriebe auch auf konjunkturelle Schwankungen des Arbeitskräftebedarfs reagieren. Damit nutzen Betriebe die Existenz sozialer Sicherungssysteme, um Personalkosten einzusparen und solche Kosten zu vermeiden, die sich bei verändertem Arbeitskräftebedarf aus der Suche, der Einarbeitung und der betriebsspezifischen Qualifizierung von Beschäftigten ergeben. Während Recalls auf Unternehmensseite folglich sowohl die Kosten wie auch die Risiken verringern, steigern sie auf Seiten der Arbeitnehmer erwerbsbedingte Unsicherheiten und Nachteile.

Fragestellung

Aufbauend auf Ergebnissen erster Untersuchungen war es das Ziel dieser Studie, (1) weitergehende Informationen zum Verbreitungsgrad von Recalls (branchenspezifische Anteilswerte, jährliche Anzahl) bereitzustellen. (2) wurden die Daten zur Absicherung der Befunde mit umfangreichen Längsschnittinformationen ergänzt. (3) wurde das Analyseinstrumentarium entscheidend erweitert: So wurde der Einfluss von Weiterbildungsinvestitionen und regionalen Arbeitslosenquoten auf Recalls direkt erfasst. Zur Verortung von Recalls im Kontext alternativer Flexibilisierungsstrategien wurden zudem Effekte aufgrund anderer Flexibilisierungsoptionen untersucht. Schließlich wurden zwei verschiedene Prozesse unterschieden, die zusammen die Anzahl der Recalls erklären: Welche Bedingungen sind dafür verantwortlich, dass einige Betriebe überhaupt keine Recalls durchführen? Welche Einflussfaktoren bestimmen die Anzahl der Recalls in Betrieben, die prinzipiell Recalls nutzen?

Untersuchungsmethoden

Die Hypothesen wurden mit Hilfe des Linked-Employer-Employee-Datensatzes des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (LIAB) in der Längsschnittversion 1 (LM1-2005) für die Jahre 1996 bis 2001 überprüft. Zu den Daten wurden zudem umfangreiche Längsschnittinformationen aus dem IAB-Betriebspanel sowie regionale Arbeitslosenquoten hinzugespielt. Für die multivariaten Analysen wurden folgende drei Modelle berechnet: Modell 1 stellt eine Negative-Binomial-Regression (NBR) mit robusten Standardfehlern auf der Basis der gepoolten Daten dar. Modell 3 unterscheidet sich von dem ersten nur hinsichtlich des verwendeten Verfahrens einer zero-inflated NBR. Modell 2 ist eine Negativ-Binomial-Panelregression mit random effects, die einem Modell mit fixed effects vorgezogen wurde, da entscheidende Einflussgrößen aufgrund ihrer zeitlichen Unveränderlichkeit in einem fixed effects Modell nicht gestestet werden können.

Darstellung der Ergebnisse

- Bei der Wahl von Flexibilisierungsstrategien zeigt sich eine Pfadabhängigkeit der betrieblichen Entscheidungen. So gehen Recalls mit anderen Formen der extern-monetären und extern-numerischen Flexibilisierung einher. Insbesondere befristete Beschäftigungsverhältnisse tragen zu einer weitergehenden Destabilisierung langfristiger Beschäftigungsperspektiven bei.

- Obwohl Recalls auch zur Sicherung des betriebsspezifischen Humankapitals genutzt werden, bildet die "klassische" Lösung dieses Problems - die intern-funktionale Flexibilisierung in Form von Weiterbildungen - eine Alternative zu der externen Recall-Strategie. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich bei den Beschäftigten um ausgewiesene Experten handelt, für die eine Entlassung für die Betriebe zu riskant wäre.

- Der positive Einfluss steigender regionaler Arbeitslosenquoten auf Recalls unterstreicht, dass gerade in ökonomischen Krisenzeiten eine Eigendynamik einsetzen kann, durch welche die Arbeitslosigkeit weiter ansteigt.

- Schließlich zeigt sich die Relevanz einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung, weil sie dazu beiträgt, dass in einigen Betrieben gar keine Recalls durchgeführt werden.

Projektleitung und -bearbeitung

Projektleitung

Prof. Dr. Stefan Liebig
Universität Bielefeld Fakultät für Soziologie
Lehrstuhl für Soziale Ungleichheit

Kontakt

Christina Schildmann
Hans-Böckler-Stiftung
Forschungsförderung