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Magazin Mitbestimmung

: Kühle Egoisten

Ausgabe 10/2006

Es scheint, dass das öffentliche Bewusstsein gegenüber Filz und Korruption selten so wachsam war wie heute. Doch gleichzeitig wächst die Bereitschaft, skrupellos in die eigene Tasche zu wirtschaften.



Von Hans Leyendecker
Der Autor arbeitet als Journalist für die Süddeutsche Zeitung.


Audi, BMW, DaimlerChrysler, Faurecia, Infineon, Philips, Volkswagen - der Außenstehende brauchte im Sommer 2006 eine Weile, um auch nur einen ungefähren Eindruck von der üppigen Vielfalt des Korruptionsbiotops Deutschland zu bekommen. Einkäufer ließen sich mit Urlaubsreisen bestechen, über Scheinrechnungen und Briefkastenfirmen wurden Millionengeschäfte abgewickelt, ein Controller wirtschaftete 50 Millionen Euro in die eigene Tasche: "Schmierst du noch oder baust du schon?", karikierte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" einen millionenschweren Bestechungsskandal, in den deutsche Manager des Möbelkonzerns Ikea verstrickt sind. Schwedische Gardinen für die Managerelite?

Spätestens seit Mitarbeiter der Bonner Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in einen handfesten Korruptionsskandal verwickelt sind, dämmert manchem Zeitgenossen, dass sich hierzulande ein System des Gebens und Nehmens entwickelt hat, das an japanische Verhältnisse erinnert. Ausgerechnet jene Behörde, die Aufseher über Banken, Versicherungen und Kapitalmärkte ist, geriet ins Gerede. Der Fall BaFin ist ein Hinweis, dass das Bild vom Korruptionsbiotop möglicherweise die Wirklichkeit nur noch unzureichend wiedergibt. Es existieren mittlerweile Sumpfgebiete, von denen niemand weiß, wie tief sie sind und wo sich ihre Ufer befinden.

In Deutschland gibt es zwar, alles in allem, keine südamerikanischen oder sizilianischen Verhältnisse. Korruption ist dennoch Bestandteil des Wirtschaftslebens geworden. Wer in diesem Milieu als Journalist recherchiert oder als Strafverfolger ermittelt, stößt auf Unterlagen, denen zufolge manche Unternehmen wie selbstverständlich zehn Prozent mehr in ihre Angebote einkalkuliert haben, um am Ende Schmiergelder für die Auftragsbeschaffung finanzieren zu können.

Die nach Branchen geordnete Hierarchie des Abkassierens ist noch ein weißer Fleck, aber anzunehmen ist, dass alles, was sich um die Baubranche dreht, ganz vorne liegt. Besonders wenn eine Behörde quasi als Monopolist darüber bestimmt, wer Straßen, U-Bahnen oder Deponien bauen darf, ist die Korruption, wie Alt-Linke sagen würden, systemimmanent. Korruption gedeiht auch dort besonders gut, wo der Preisdruck groß und die durchschnittliche Gewinnmarge klein ist. Wenn viele Anbieter, wie beispielsweise im Fall der Autozulieferer auf wenige Abnehmer treffen, wachsen bei manchen Einkäufern die Selbstbedienungsmentalität und die Gier.

Die Dunkelziffer ist groß. Auch Experten wissen nicht, ob, wie in der Literatur behauptet, sechzig oder ob gar bis zu fünfundneunzig Prozent der Fälle nie aufgeklärt werden. Die kriminologische Forschung definiert Korruption als "Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines Mandats - zugunsten eines anderen, auf dessen Veranlassung oder aus Eigeninitiative zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten". Korruption ist also die Zweckentfremdung eines öffentlichen Amtes zu privaten Zwecken.

VW-Betriebsräte, die sich Lustreisen und Lustveranstaltungen vom Konzern bezahlen ließen, sind - abseits strafrechtlicher Regeln - dieser Definition zufolge korrupt. In der Diktion der Kriminologen haben sie den "Eintritt eines Schadens oder Nachteils für die Allgemeinheit oder für ein Unternehmen wegen des eigenen Vorteils in Kauf" genommen. Korrupt sind alle, die sich auf Kosten des Gemeinwohls eigene Vorteile verschaffen. Bestechlich kann aber auch derjenige sein, der beispielsweise seine akademische oder gewerkschaftliche Karriere voranbringt, indem er gegen die eigene Überzeugung die Meinung derjenigen stützt, die die Fäden seiner Karriere in der Hand halten.

Keiner mag sich gern korrupt nennen lassen. Andererseits stehen diejenigen, die schroff alle Erkenntlichkeiten ablehnen, leicht im Ruch, etwas verschroben zu sein: kleinliche, von der Welt enttäuschte Spießer, melancholische, verbitterte Idealisten, mit denen kein Staat zu machen ist. Haben die überhaupt eine Ahnung, warum der Schornstein (wenigstens ein bisschen) raucht, warum die Wirtschaft leise brummt? Da heißt es zugreifen, ehe es zu spät ist, einsteigen, bevor der Zug abgefahren ist. Wer zahlt, bestimmt die Musik.

Die Grenzen zwischen Moral und Amoral sind fließend geworden. Idealbild der Gesellschaft ist der kühle Wirtschaftsbürger, der egoistisch seinen Vorteil sucht und alle Tricks beherrscht. Sein Verhalten orientiert sich am persönlichen Vorteil; Antriebe, die auf sozialen Haltungen und Zielen beruhen, verlieren zunehmend an Bedeutung.

"Die Deutschen", schrieb der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, seien durch "jahrzehntelange systematische Erziehung zur Schlaumeierei" zu einem "Volk von Trickbetrügern" geworden: "Wer sich nicht darauf versteht, nach Strich und Faden abzuschreiben, einzuklagen, rauszuholen, abzusetzen, der hat hier nichts zu lachen. Ob Sozialwohnung oder Schwarzbau, Krankenkasse oder Taxiquittung, Stipendium oder Stütze, überall gilt der Imperativ des Nassauerns."

Richtig ist aber doch, dass die Korruption hierzulande sich auch deshalb so stark ausbreitet, weil die Funktionselite zwar Moral predigt, aber nicht vorlebt. "Der Appetit kommt beim Essen", sagt der Frankfurter Oberstaatsanwalt und Anti-Korruptionsspezialist Wolfgang Schaupensteiner.

Der frühere Infineon-Vorstand Andreas von Zitzewitz etwa hatte ein Jahreseinkommen von 500.000 Euro, aber er steckte Schmiergelder in sechsstelliger Höhe ein, mit denen sich wiederum ein Organisator von Motorsport-Sponsoring Aufträge des DAX-Unternehmens sicherte: "Im Prinzip war mir unwohl, auf der anderen Seite habe ich mich über das Geld gefreut", sagte der Adelige. Er habe Bargeld genommen, um seine eigene Teilnahme an Motorradrennen leichter finanzieren zu können.

Die Anklage liegt noch nicht vor, von Zitzewitz darf auf Milde hoffen. Das alte Vorurteil, dass man die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt, bestätigt sich im Bereich der Wirtschaftskriminalität immer wieder. Droht ein Verfahren schwierig zu werden, dann spricht man sich ab. Das Gericht signalisiert die Bereitschaft, sich zu verständigen, der Staatsanwalt ist einverstanden. "Ist die Strafjustiz dort am erbarmungslosesten, wo der Widerstand am geringsten ist?", hat vor rund 16 Jahren der damalige Stuttgarter Oberstaatsanwalt Werner Schmidt-Hieber in einem Aufsatz gefragt. Der Bundesgerichtshof hat neulich erstaunlich deutlich gefordert, die Strafverfolger für die Bekämpfung der Korruption in den Chefetagen besser auszustatten.

Wenn die Funktionselite beim Schmatzen ertappt wird, geben sich ihre Mitglieder so unschuldig wie Laubsägenbastler. Von ein paar schwarzen Schafen ist dann die Rede, und der Einwand, es seien ganze Herden von schwarzen Schafen unterwegs, wird gewöhnlich abgetan. Angeblich haben die Sünder gegen den jeweiligen Verhaltenskodex des Unternehmens verstoßen.

Der Autor dieser Zeilen hat als Journalist häufiger über Korruptionsfälle geschrieben und gehört auch dem Beirat der Anti-Korruptionsvereinigung Transparency International an. Manchmal wird er von Firmen gebeten, über seine Erfahrungen zu berichten. Je schwärzer das Bild, das er zeichnet, desto größer in der Regel der Beifall. Merkwürdig ist nur, dass nachher im Einzelgespräch dem Referenten oft bedeutet wird, er sei ein wenig weltfremd. Die Konkurrenz schlafe nicht, ohne Schmiergeld laufe etwa bei Auslandsgeschäften gar nichts.

Während die öffentliche Aufmerksamkeit wächst, verrohen zugleich die Sitten. "Moral ist heute manisch, todernst und nicht-existent zugleich", hat ein Korruptionsforscher einmal dieses Phänomen beschrieben. Es fällt auf, dass es viele Fälle gibt, in denen sich Unternehmen von jenen Mitarbeitern getrennt haben, die in Verdacht geraten sind. Sie werden zwar entlassen, bekommen aber häufig einen hoch dotierten Beratervertrag, damit sie draußen nicht über schmutzige Interna reden. Korruption braucht immer ein Umfeld, einen Anreiz, um zu wachsen.

Was kann man tun? Es müsste sich in der Gesellschaft ein Gefühl dafür entwickeln, was anständig und was unanständig ist, was unser Zusammenleben erleichtert und was es bedroht. Rechtlichkeit und Ehrgefühl sind Tugenden und keine altmodischen oder untergegangenen Begriffe. "Die Kraft der Institutionen, die Qualität der Herrscher und die Tugend der Bürger" seien zur Systemerhaltung notwendig, hat vor vielen Jahren der Freiburger Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis festgestellt. Und sein Befund ist immer noch richtig.

Was bei der Bekämpfung der Korruption fehlt, ist ein bundesweites Korruptions-Kataster, das kriminell agierende Unternehmen - für eine Weile zumindest - vom öffentlichen Wettbewerb ausschließt. Immer wieder sind in den vergangenen Jahren im Bundestag Anläufe gescheitert, ein solches Korruptionsregister einzuführen.

Es fehlt ein Unternehmens-Strafrecht, zumindest bei Vergabestellen für öffentliche Aufträge müsste es mehr Personalrotation geben. Da Korruption ein Kontrolldelikt ist, braucht es effizientere Kontrollen. Das Vier-Augen-Prinzip gehört dazu. Bei BMW und Porsche braucht es mindestens zwei Personen, um einen Einkaufsauftrag zu genehmigen. Unternehmen sollten sich verpflichten, Korruption weder zu fördern noch zu dulden. Diese Selbstverpflichtung sollte im Geschäftsbericht veröffentlicht werden.

Anders als Großbritannien oder die USA etwa kennt Deutschland keine arbeits- oder dienstrechtlichen Schutzgesetze, die einen Hinweisgeber vor Diskriminierungen und Repressalien am Arbeitsmarkt schützen. So genannten Whistleblowern, die im Unternehmen Alarm schlagen, drohen Mobbing oder gar Kündigung. Staatsanwälte, aber auch Journalisten sind auf Hinweise von Mitarbeitern angewiesen.

Der Volkswirtschaftler Johann Graf Lambsdorff hat neulich in einem Aufsatz darauf hingewiesen, dass etwa in § 104 des Betriebsverfassungsgesetzes (Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer) der Begriff des Betriebsfriedens konkretisiert werden müsse, damit Hinweisgeber nicht eine Gefährdung des Betriebsfriedens unterstellt werde. Ähnliches gelte für § 77 Absatz 3 des Bundespersonalvertretungsgesetzes.

Wer Strafanzeige gegen seine Kollegen erstattet, kann unter Umständen seinen Kündigungsschutz verlieren. Was fehlt, sind Ombudsleute, die Hinweise sammeln und im Zweifelsfall auch an die Ermittler weiterleiten. Sie können den Hinweisgebern strenge Vertraulichkeit zusichern. In den USA sind Hotlines für Mitarbeiter, die Missstände im Unternehmen aufzeigen, Pflicht. In Deutschland sind solche so genannten Whistleblower-Leitungen noch die Ausnahme.

Dass sich alle Anstrengungen lohnen, zeigt ein Phänomen, das weltweit zu beobachten ist: Aktienkurse in Ländern mit hoher Korruption sind deutlich niedriger als in Ländern, die Korruption hart bekämpfen. Das gilt auch für die einzelnen Unternehmen. Am Ende lohnt sich Korruption also nicht.

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