Quelle: HBS
Böckler ImpulsGering Qualifizierte: Mehrfach-Verlierer im Alter
Gering Qualifizierte sind im Alter weitaus häufiger als andere arbeitslos oder gar erwerbsunfähig, zeigt der neue Altersübergangs-Report. Eine Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters würde die ehemaligen Kleinverdiener hart treffen - noch mehr Abschläge schmälern die bescheidenen Renten.
Eine gute Ausbildung gilt als Eintrittskarte zur Arbeitswelt. Nicht nur das. Noch vierzig Jahre später entscheidet die Qualifikation in hohem Maße darüber, wer ohne große Existenzsorgen tätig bleiben kann - und wer mit einer Vielzahl von Problemen kämpfen muss. Der Altersübergangs-Report des Instituts Arbeit und Technik (IAT) und der Hans-Böckler-Stiftung zeigt: Je höher der Berufsabschluss, desto höher ist die Erwerbstätigenquote und umso geringer die Wahrscheinlichkeit, vor 60 aus dem Erwerbsleben auszuscheiden oder arbeitslos zu werden. 87,4 Prozent der über 60-Jährigen ohne Berufsausbildung bestreiten ihren Lebensunterhalt nicht mehr durch aktuelles Arbeitseinkommen. In den Fällen, wo die Bildungskarriere mit der Lehre endete, sind es gut 83 Prozent. Von den Absolventen einer Fachhochschule oder Hochschule ist noch jeder Zweite zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr erwerbstätig.
Die spärliche Erwerbsbeteiligung gering Qualifizierter hat zwei Gründe: Arbeitslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit.
Arbeitslosigkeit: In fast allen Altersphasen sind gering Qualifizierte nur unterproportional im Erwerbsleben vertreten. Je älter sie werden, desto größer wird diese Diskrepanz. Die Erwerbsbeteiligung schlecht Ausgebildeter zwischen 50 und 60 lag 2003 mehr als 30 Prozent unter der gleichaltriger Meister, Techniker und Akademiker. Tatsächlich arbeitslos gemeldet sind in dieser Altersklasse 14,3 Prozent der gering Qualifizierten. Dieser Anteil sinkt ab 60 durch Frühverrentungen und Erwerbsunfähigkeit.
Erwerbsunfähigkeit: Wer einen Schreibtisch-Job hatte, geht in nicht mal 10 Prozent der Fälle aus gesundheitlichen Gründen in Rente. Hart körperlich Arbeitende trifft dies hingegen viermal so oft. Gering Qualifizierte müssen häufig an Arbeitsplätzen mit schlechten Bedingungen tätig sein und sich hohen gesundheitlichen Belastungen aussetzen. Das führt zu frühzeitigem Verschleiß und trägt, so der Report, letztlich sogar zu einer geringeren Lebenserwartung bei.
Der vorzeitige Abschied aus dem Arbeitsleben trifft die gering Qualifizierten besonders hart: Häufiger als andere sind sie im Alter auf Sozialhilfe angewiesen, vom 55. Lebensjahr an in zunehmendem Maße, wie der Report zeigt. Für ihre niedrig qualifizierten Tätigkeiten in oft wechselnden, kurzfristigen Jobs wurden sie schlecht bezahlt. Das hat bescheidene Rentenansprüche zur Folge. Der vorzeitige Renteneintritt lässt die kleinen Beträge nochmals schrumpfen. Ein höheres gesetzliches Zugangsalter zur Rente würde die heikle Situation weiter verschärfen. Denn Rente ab 67 hieße für gering Qualifizierte: noch höhere Abschläge und eine verlängerte Überbrückungsphase vom Ende der Erwerbstätigkeit bis zum Renteneintritt.
Wie lässt sich verhindern, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe in eine Sackgasse steuert? Forscher des IAT machen Vorschläge gegen die Anhäufung von Risiken und Härten:
- Die Altersgrenze für den Renteneintritt könnte geöffnet werden. Gering Qualifizierte starten früher ins Arbeitsleben - da wäre es legitim, sie bei vollen Rentenansprüchen früher aufhören zu lassen.
- Kluge Personalpolitik und Arbeitsschutz können helfen, frühzeitigen körperlichen Verschleiß zu vermeiden.
- Qualifizierung schützt vor drohender Arbeitslosigkeit, auch weil die Beschäftigten leichter neue Tätigkeiten übernehmen können. Doch gerade für gering Qualifizierte gibt es nur wenige Weiterbildungsangebote. Darum müssen Renten- und Arbeitsmarktreformen durch gezielte Lernangebote für die weniger gut Ausgebildeten ergänzt werden.
- Weiterbildung der An- und Ungelernten sollte vor dem 50. Lebensjahr beginnen. Später die Fähigkeit zum Lernen zu entwickeln, ist mühsam. Eine Möglichkeit wäre ein Erwachsenen-BaFöG, um das Nachholen von Bildungsabschlüssen zu unterstützen.
Renate Büttner: Altersübergangs-Report: Höhere Erwerbsbeteiligung in Westdeutschland - Mehr Arbeitslosigkeit und Frühverrentung in Ostdeutschland, 05/2005.
Gerhard Bosch, Sebastian Schief: Politik für ältere Beschäftigte oder Politik für alle? Zur Teilnahme älterer Personen am Erwerbsleben in Europa, IAT-Report 2005.