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HBS Böckler Impuls

Eurokrise: Willkürliche Kriterien beim Fiskalpakt

Ausgabe 09/2012

Fiskalpakt und permanenter Rettungsschirm werden dem Euroraum nicht aus seiner gegenwärtigen Vertrauenskrise helfen, warnt IMK-Forscherin Silke Tober. Auch künftige Krisen ließen sich damit nicht verhindern.

Anfang März verabschiedeten 25 EU-Staaten den Fiskalpakt als Kernstück ihrer Strategie zur Überwindung der Krise. Diesem Anspruch könne das Abkommen jedoch ebenso wenig wie der Rettungsfonds ESM gerecht werden, zeigt Tobers Analyse. Die Volkswirtin hat die EU-Pläne anlässlich der Beratungen im Bundestag zu deren Umsetzung eingehend geprüft. Ihr Fazit: Die derzeitige Krisenstrategie dürfte „dazu führen, dass ein Schuldenschnitt und ein Austritt aus der Währungsunion für einige Länder die attraktivere Option wird“. Dies hätte auch für die im Euroraum verbleibenden Staaten gravierende Folgen.

Der Fiskalpakt sieht für Staaten mit einer Schuldenstandsquote von über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ein jährliches strukturelles – also um konjunkturelle Einflüsse bereinigtes – Defizit von maximal 0,5 Prozent vor. Ländern mit einer niedrigeren Schuldenstandsquote wäre ein strukturelles Defizit von jährlich 1 Prozent erlaubt. Bei einem nominalen Wachstum von jährlich 3,5 Prozent würde langfristig ein Schuldenstand nahe 30 Prozent erreicht.

Doch: „In der Literatur gibt es keine Hinweise darauf, dass eine Schuldenstandsquote von 30 Prozent optimal ist“, kritisiert die IMK-Forscherin. Nach den bereits bestehenden Regeln einer Schuldenstandsquote von maximal 60 Prozent wäre ein strukturelles Defizit von jährlich 2 Prozent möglich. Problematisch an einem hohen Schuldenstand sei in erster Linie, dass er zwangsläufig eine hohe Zinsbelastung bedeutet. Ein entsprechend großer Teil der Steuereinnahmen steht damit nicht für andere Zwecke zur Verfügung. In unerwarteten Krisensituationen kann es für Staaten schwierig werden, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. „Das alles kann aber kein Grund sein, eine Schuldenstandsquote von 30 Prozent völkerrechtlich zu verankern“, so Tober.

Sie empfiehlt als „weniger willkürliche und ökonomisch begründete Regel“ die „Goldene Regel“. Diese galt lange Zeit in Deutschland und besagt, dass das strukturelle Defizit die öffentlichen Investitionen nicht überschreiten darf – sprich: neue Schulden nur für Investitionen gemacht werden dürfen.

Die Umsetzung des Fiskalpaktes hingegen erlaube vielen Euroländern noch nicht einmal, höhere Schulden hinzunehmen, wenn sie in einer hartnäckigen Krise auf konjunkturbedingt geringere Steuereinnahmen und konjunkturbedingt höhere Ausgaben, beispielsweise für Arbeitslosengeldzahlungen, reagieren müssen. Als einziger Ausweg blieben dann weitere Budgetkürzungen, warnt die IMK-Expertin. Absehbare Folgen: Noch größere Steuerausfälle, womöglich eine Schwächung des Bankensystems und ein erneuter Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten. Um derartige Abwärtsspiralen zu vermeiden, favorisiert das IMK eine zeitlich abgestimmte Finanzpolitik als bessere Möglichkeit: „Zwar muss konsolidiert werden, aber nicht in allen Ländern gleichzeitig, sondern zeitlich stärker gestreckt“, erläutert Tober. Sie empfiehlt zusätzlich befristete Steuererhöhungen bei hohen Einkommen, um eine zügigere Rückzahlung der seit 2007 massiv gestiegenen Schulden zu ermöglichen.

Anders als der Fiskalpakt ist der permanente Rettungsschirm „Europäischer Stabilitätsmechanismus“ – kurz: ESM – nach Analyse des IMK ein grundsätzlich zielführendes Instrument. Angesichts der ausstehenden Staatsverschuldung der Krisenländer sei er allerdings zu gering ausgestattet. Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien stehen insgesamt mit 3,5 Billionen Euro in der Kreide. Die veranschlagten potenziellen Rettungsmittel belaufen sich aber nur auf 800 Milliarden Euro, zeigen Tobers Berechnungen. Solange die Gefahr eines Schuldenschnitts bestehe, sei auch ein Austritt aus dem Euroraum möglich. „Eben aus diesem Grund muss ein Rettungsschirm ein unbegrenztes Einsatzvolumen haben“, argumentiert die Wissenschaftlerin.

Sie empfiehlt den Euroländern, gemeinsam eine Garantie für die ausstehenden Staatsanleihen zu geben, zum Beispiel über den vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Schuldentilgungsfonds: Staatsschulden, die 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, würden gemeinschaftlich garantiert, aber einzelstaatlich abgetragen. Sollten sich die Renditen der einzelstaatlich garantierten Schuldtitel nicht auf niedrigem Niveau angleichen, könnte die Europäische Zentralbank signalisieren, dass sie in den Markt für Staatsanleihen eingreift. „Im günstigsten Fall wäre ein tatsächlicher Einsatz von finanziellen Mitteln gar nicht erforderlich.“

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