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Magazin Mitbestimmung

: Grauzonen des Rechts

Ausgabe 07+08/2008

DATENSCHUTZ Moderne Elektronik macht das Ausspionieren von Mitarbeitern so leicht wie nie. Der DGB hält ein eigenes Datenschutzgesetz für Arbeitnehmer für unverzichtbar. Aufklärung und Betriebsvereinbarungen versprechen kurzfristig Erfolg.

Von KAY MEINERS, Redakteur des Magazins Mitbestimmung/Foto: Christian Jungeblodt, laif

Weiß Gott, es geht billiger als bei der Telekom! Wer als Chef ein bisschen spionieren will, muss keine sechsstelligen Summen in die Hand nehmen. Firmen wie die Schwarmstedter ViSiTec Video-Sicherheit-Technik GmbH (Werbeslogan: "Beinahe alles ist möglich") oder die Landauer Lupus-Electronics GmbH ("Secure your life") bieten über das Internet Technik für jeden Geldbeutel an: Die Kamera im Zwergenformat, nur zwei Zentimeter groß und gut zum Verstecken geeignet, gibt es für 74,90 Euro inklusive Ton, eine Standardkamera für Geschäfte oder Tankstellen ist ab 125 Euro zu haben. Auf Wunsch übertragen Funksender die bewegten Bilder drahtlos an einen geheimen Ort, Festplattenrekorder ermöglichen alternativ Langzeitaufnahmen über viele Wochen. Der letzte Schritt, das Sichten der Daten und das Trennen interessanter Sequenzen vom Informationsmüll, ist oft der einzige, der noch wirklich Geld, Zeit und Nerven kostet. Doch auch hier hilft Software bei der "Verwaltung" der Daten, wie es im Fachjargon vornehm heißt.

Die jüngsten Bespitzelungen von Arbeitnehmern beim Fleischwarenproduzenten Tönnies oder beim Discounter Lidl, die selbst vor intimsten Details nicht haltmachten, und der Telekom-Skandal wegen der Überwachung von Aufsichtsratsmitgliedern haben die Debatte um den Datenschutz angeheizt. Fragen nach den Verantwortlichen und nach dem rechtlichen Rahmen werden nun wieder lauter gestellt. Zugleich haben die Preise für Überwachungstechnik einen Tiefstand erreicht, die Möglichkeiten, Daten auszuwerten und untereinander zu verknüpfen, nehmen dagegen beständig zu. "Die Technik bietet jede Menge Möglichkeiten für Daten-Voyeure", erklärt Horst Mernberger, Datenschutzbeauftragter der IG Metall in Frankfurt. Häufig hat er mit Betriebsräten Kontakt, auch wenn er diese nicht selbst berät. Daher weiß er, wo sich in der Praxis die Konflikte häufen. "Kleine Betriebe haben häufiger Schwierigkeiten, alle Gesetze einzuhalten, als Großunternehmen", erklärt er. Die aktuellen Fälle sprechen zwar dagegen - denn die Konzerne wussten, was sie taten. Ein Mittelständler, der sich im Recht glaubt, weiß das vielleicht nicht.

Es ist nicht die Technik selbst, die böse ist. Für manche Objekte wie die Kassenräume von Banken und Sparkassen, die Eingänge von Spielbanken oder für sensible Industrieanlagen ist der Einsatz von Kameras sogar gesetzlich vorgeschrieben - auch zum Schutz der Mitarbeiter. Das Problem ist, dass es Leute gibt, die bereit sind, alles, was machbar ist, auszutesten. Auch das Verbotene. In einem aktuellen Positionspapier warnen die Justiziare aller DGB-Gewerkschaften davor, die Sammelleidenschaft staatlicher und privater Unternehmen gerate "außer Kontrolle."

EIN GESETZ FÜR DEN ARBEITSPLATZ_ Ist in deutschen Unternehmen der Umgang mit dem Datenschutz zu lasch? Brauchen wir neue Gesetze? Seit fast 30 Jahren fordern Datenschützer und Gewerkschaften genau das: ein eigenes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Erst jüngst haben die DGB-Justiziare das erneut unterstrichen. Das Ziel: Datenschutz aus einer Rechtsquelle, abgestimmt auf die Erfordernisse des Betriebes. Nicht, dass er keine Vorschriften gäbe - aber es gibt bisher kein einheitliches Gesetzeswerk. "Arbeitnehmer und Arbeitgeber", heißt es auf der Webseite des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, seien "bis heute im Wesentlichen darauf angewiesen, sich an der einschlägigen Rechtsprechung zu orientieren". Man muss nicht nur verschiedene Gesetze kennen - das Bundesdatenschutzgesetz, die Bildschirmarbeitsverordnung und das Betriebsverfassungsgesetz - sondern auch noch maßgebliche Urteile, das so genannte Richterrecht. Doch die Rechtsprechung, heißt es auf der Webseite des Bundesbeauftragten weiter, sei "notwendigerweise lückenhaft und im Einzelfall für die Betroffenen nur schwer zu erschließen".

Auf einer Konferenz aller Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder im März 2007 forderten diese denn auch die Regierung auf, "zeitnah" einen Gesetzesentwurf vorzulegen und sich für hohe Mindeststandards in Europa einzusetzen. Auch der DGB plädiert für ein eigenständiges Gesetz. Nach seinen Vorstellungen sollte es unter anderem die Zulässigkeit ärztlicher Tests bei der Einstellung regeln, genetische Untersuchungen ebenso verbieten wie die direkte oder indirekte Überwachung von Beschäftigten am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld. Darüber hinaus sollen Umfang und Grenzen der Datenerfassung im Arbeitsverhältnis umfassend geregelt werden. Arbeitnehmern soll das Gesetz das Recht zugestehen, E-Mails, Internet und Intranet auch privat zu nutzen - und sie gleichzeitig vor dem Missbrauch der entstehenden Daten schützen. Die Betriebsräte sollen intensiver als heute in den Datenschutz einbezogen werden.

Die Befürworter eines neuen Gesetzes hoffen, Rechtsunsicherheiten zu beseitigen: Für alle wäre leichter nachzuschlagen, was erlaubt ist und was nicht. Auch wird argumentiert, Arbeitnehmer könnten sich leichter als heute zur Wehr setzen. Doch Tätern, die von vornherein kriminelle Energie mitbringen, kommt man so nicht bei. "Fälle wie Lidl und Telekom wären auch durch ein neues Gesetz nicht zu verhindern gewesen", räumt auch Martina Perreng, Arbeitsrechtlerin beim DGB-Bundesvorstand ein. Dennoch hält sie ein Gesetz für sinnvoll, auch wegen des Signalcharakters. "Es ist tatsächlich ein Problem, dass das Bundesdatenschutzgesetz für öffentliche Räume konzipiert ist, es passt nicht optimal für den Arbeitsplatz", erklärt Frank Bayreuther, Jura-Professor an der TU Berlin.

UNGEREGELTE INTERNET-NUTZUNG_ Sowohl in der Praxis des Datenschutzes wie im Recht gibt es Grauzonen. Wer die Rechtslage kennt, kann die Grauzonen klein halten, aber ganz weg bekommt er sie eben nicht, wie die Nutzung von Internet und E-Mail zeigt. Beide erzeugen Datenspuren in beträchtlicher Menge. Wie gefährlich ist es, wenn man sich in einer dienstlichen Mail abfällig über den Chef äußert oder wenn man private Mails über die Adresse der Firma verschickt? Meist aber weiß kaum jemand im Unternehmen, was genau gespeichert wird, wie lange es aufbewahrt wird und wer darauf Zugriff hat. Und auch die Rechtsprechung zur Überwachung der Internet- und E-Mail-Nutzung ist lückenhaft, der Ausgang arbeitsrechtlicher Prozesse ist oft unsicher, wenn die private Nutzung der neuen Medien unsauber oder informell geregelt ist. Schnell sind hier Vorwürfe und Aktenlagen gegen Arbeitnehmer geschaffen - vom Arbeitszeitdiebstahl bis zur Illoyalität. Wie werden diese dann gegen mögliche Verstöße des Arbeitgebers gegen den Datenschutz gewichtet?

"Wenn ich Betriebsrat wäre, würde ich mich schleunigst darum kümmern, Betriebsvereinbarungen zur Internet- und E-Mail-Nutzung abzuschließen", sagt der IG-Metall-Datenschutzbeauftragte Mernberger. Diese Vereinbarungen, rät der Experte, sollten nicht nur technische Aspekte regeln, sondern unbedingt auch die private Nutzung, die Speicherung der Daten und das Vorgehen bei Verstößen gegen Regeln. Die Einführung datenverarbeitender Systeme, die zur Überwachung der Arbeitnehmer geeignet sind, ist ohnehin generell mitbestimmungspflichtig. Die Arbeitsrichter haben § 87 der Betriebsverfassung, der die entsprechende Formulierung enthält, längst zu einer zentralen Schutznorm ausgeweitet. Doch nicht überall gibt es Betriebsräte.

FALLSTRICKE DER VIDEOÜBERWACHUNG_ Die Videoüberwachung greift in besonders schwerer Form in das Recht auf informa-tionelle Selbstbestimmung ein. Eine Videoüberwachung zur bloßen Leistungs- oder Verhaltenskontrolle ist daher unter allen Umständen verboten. Zulässig kann die Überwachung nur sein, wenn Grundrechte der Arbeitnehmer mit gleichrangigen Rechten des Arbeitgebers kollidieren. Sie setzt stets eine sorgfältige Güterabwägung voraus.
Da es kein spezifisches Recht für den Arbeitsplatz gibt, behilft man sich, was den Einsatz von Kameras in Räumen mit Publikumsverkehr angeht, mit dem Bundesdatenschutzgesetz. Dieses Gesetz erlaubt die Überwachung öffentlich zugänglicher Räume, um Straftaten zu verhindern - ein Supermarktbesitzer darf sich mit Kameras vor Dieben schützen. Für Besucher muss aber erkennbar sein, dass gefilmt wird. Verdeckte Aufnahmen sind verboten. Auch wenn sich diese Überwachung gegen betriebsfremde Dritte richtet, ist es oft nicht zu vermeiden, dass gelegentlich auch Mitarbeiter ins Blickfeld geraten. Diese Tatsache erfordert wieder in jedem Einzelfall eine Abwägung.

Zulässig ist die Überwachung von Arbeitsplätzen mit Publikumsverkehr auch dann, wenn ein konkreter Verdacht einer strafbaren Handlung von Mitarbeitern zu Lasten des Arbeitgebers besteht - etwa nach einem Diebstahl, der auch von Mitarbeitern verübt worden sein könnte. Bevor Kameras installiert werden, müssen freilich weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ausgeschöpft sein. Die Überwachung darf außerdem nicht unverhältnismäßig sein und bedarf stets der Zustimmung des Betriebsrates. Wirklichkeitsfremd ist die Vorschrift, dass auch ein Kameraeinsatz, der einen Straftäter überführen soll, offen erfolgen muss. Eine offen sichtbare Kamera wird zwar abschrecken, aber kaum ein Dieb wird sich so überführen lassen. Doch das Gesetz ist eindeutig: In Räumen mit Publikumsverkehr ist verdecktes Filmen illegal.
Büros, Fabriken oder Lager, die nicht öffentlich zugänglich sind, werden vom Bundesdatenschutzgesetz freilich nicht erfasst. Die meisten Juristen gehen davon aus, dass in solchen Räumen noch strengere Maßstäbe anzulegen sind als in solchen mit Publikumsverkehr. Kameras zum Schutz des Eigentums sind auch hier erlaubt, eine verdeckte Videoüberwachung von Arbeitnehmern ist auch hier in aller Regel illegal - nur im äußersten Ausnahmefall könnten in solchen Räumlichkeiten auch versteckte Kameras zulässig sein, um Straftaten aufzuklären.

Solche Fälle sind heikel, denn in der Praxis muss vor Gericht im Nachhinein geklärt werden, wie das Recht des Arbeitgebers auf Schutz seines Eigentums und das Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters vor Gericht gegeneinander abgewogen werden. Dies gilt auch für Filmaufnahmen, die ein Fehlverhalten von Mitarbeitern dokumentieren, aber eher zufällig bei der Überwachung der Kunden mitgeschnitten wurden. Selbst für Beweismittel, die unrechtmäßig erworben sind, etwa durch eine heimliche Überwachung oder durch Übergehen der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates, gibt es - eine Folge der Eigentümlichkeiten der Rechtsordnung - kein generelles Verwertungsverbot vor Gericht. Wer ein solches Verbot einfordert, was zunächst einleuchtend klingt, gerät aber in neue Schwierigkeiten: Arbeitgeber, die einen Mitarbeiter mit verdeckten Kameras des schweren Diebstahls überführt haben, müssten akzeptieren, dass der Täter überhaupt nicht bestraft würde, und müssten weiter mit ihm zusammenarbeiten - so etwas aber würde der Rechtsordnung ebenso schaden wie die Legalisierung solcher Schnüffeleien.

Juristen wie Frank Bayreuther haben schon vor Jahren vorgeschlagen, die verdeckte Überwachung im genau definierten Ausnahmefall - und, wo immer möglich, im Einvernehmen mit der Arbeitnehmervertretung - zuzulassen: "Vielmals wäre es oftmals wohl auch der Belegschaft lieber, würde der Täter mittels einer kurzzeitigen heimlichen Überwachung überführt, statt einer präventiven Über-wachung des Betriebes auf unbestimmte Zeit ausgesetzt zu sein." Wären Arbeitnehmervertreter bereit, im Falle von Unregelmäßigkeiten eine Kröte auf Zeit zu schlucken, könnten sie eventuell den dauerhaften Einsatz von Kameras verhindern.

DER DGB WILL DIE GROSSE LÖSUNG_ Wie auch immer die Grauzonen des Rechts aufgehellt werden sollen - durch Grundsatzurteile der Arbeitsrichter oder durch Generalklauseln in einem neuen Gesetz - es müsste nicht nur geklärt werden, ob und wo in gewichtigen Ausnahmefällen auch eine verdeckte Überwachung auf Zeit zulässig sein soll, sondern auch, welche Daten in arbeitsrechtlichen Verfahren als Beweise zugelassen werden und welche nicht. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob es im Arbeitsrecht Bagatellgrenzen für Eigentumsdelikte geben soll.

Der DGB setzt weiter auf eine große Lösung. "Manche Fragen, wie die nach der Zulassung von Videoaufnahmen als Gerichtsbeweis, stellen sich gar nicht mehr, wenn es ein Gesetz gibt", erklärt Martina Perreng, Arbeitsrechtlerin beim DGB-Bundesvorstand. Doch ob es dazu kommt und ob man mit einem Gesetz wirklich alle Grauzonen und praktischen Schwierigkeiten wegdekretieren kann, ist fraglich. Aktuell stehen eher kleine Schritte hoch im Kurs. Der IG-Metaller Mernberger meint: "Wir haben eigentlich schon alle Gesetze, welche wir im Datenschutz brauchen. Was wir dringend benötigen, ist jetzt ein guter Ratgeber, der das geltende Recht in Verbindung mit der Technik für die Anwender verständlich erklärt." Und die Gewerkschaft ver.di hat gefordert, als Sofortmaßnahme die maximale Strafhöhe von 250.000 Euro bei Verstößen gegen das Datenschutzgesetz drastisch zu erhöhen.


MEHR INFORMATIONEN
1. Gemeinsame Position der Justiziare im DGB zum Datenschutz unter www.dgb.de/themen/themen_a_z/abisz_doks/d/datenschutz0708.pdf

2. Arbeitnehmerdatenschutz-Konferenz am 13. November 2008 in Berlin, die DGB- und ver.di-Bundesvorstand organisieren. Interessenten wenden sich bitte per E-Mail an: asr@dgb.de

3. Website zum Thema Datenschutz: http://www.online-rechte-fuer-beschaeftigte.de/

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