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Magazin Mitbestimmung

: Internationale Aufsichtsräte?

Ausgabe 07/2007

UNTERNEHMENSMITBESTIMMUNG Eine neue Bertelsmann-Studie bescheinigt den Arbeitnehmervertretern in den DAX-30-Unternehmen, nicht fit für die Globalisierung zu sein - eine zu einseitige Darstellung.


Von SEBASTIAN SICK. Der Autor leitet ein Referat Wirtschaftsrecht in der Hans-Böckler-Stiftung.
                                                                                

Ein multinationales Team in Businesskleidung, mit einem Schwarzen und zwei Asiatinnen, ganz offensichtlich das Motiv einer amerikanischen Bildagentur, ziert die neue Studie der Bertelsmann Stiftung mit dem Titel "Die Internationalität der Vorstände und Aufsichtsräte in Deutschland". Verantwortlich für die Studie, die die DAX-30-Unternehmen untersucht, sind Stefan Schmidt, Professor an der Wirtschaftshochschule Berlin und Inhaber eines Lehrstuhls für "Internationales Management und Strategisches Management" sowie Andrea Daniel, wissenschaftliche Mitarbeiterin. Als Quellen haben die Autoren Lebensläufe von DAX-30-Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern aus dem Internet verwendet und überdies persönliche Anfragen ausgewertet.

EIN INDEX FÜR INTERNATIONALISIERUNG_ Folgende, durchaus sinnvolle Grundannahmen liegen der Studie zugrunde: Kenntnisse über Länder und Kulturen im internationalen Geschäft sind unerlässlich, Internationalität erleichtert die Interaktion mit lokalen Stakeholdern in Ländermärkten, und Internationalität im Top-management erhöht die Attraktivität des Unternehmens für "High Potentials" und die Motivation der Mitarbeiter. Mit internationaler Orientierung lässt sich besser einschätzen, wo Chancen und Risiken in Auslandsmärkten liegen und wie man sich optimal auf anderen Märkten bewegt. Es wird außerdem auf den Deutschen Corporate Governance Kodex und seine Empfehlung zur Berücksichtigung internationaler Unternehmensaktivitäten bei der Besetzung von Aufsichtsräten verwiesen.

Um herauszufinden, wie gut die Aufsichtsräte für die Globalisierung gerüstet sind, haben die Autoren der Studie einen "Internationalisierungsindex" aufgestellt, der vier Kategorien umfasst: 1. Multinationalität (Positiv bewertet wird, wenn ein Aufsichtsratsmitglied die "prägenden Jahre" im Ausland verbracht hat), 2. Internationale Ausbildung (die im Ausland verbrachte Ausbildungszeit), 3. Internationale Berufserfahrung (im Ausland verbrachte Arbeitszeit),
4. Internationale Verbindungen (Anzahl der Mandate im Ausland).

Die ersten drei Kategorien beziehen sich also auf Auslandsstationen in der eigenen Biografie, die vierte auf ausländische Vorstands- und Aufsichtsratsmandate, ohne dass problematische Mandatshäufungen auf Seiten der Anteilseignervertreter im Sinne der Corporate-Governance-Diskussion angesprochen werden. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es ist durchaus sinnvoll zu untersuchen, wie sich die Internationalität deutscher Unternehmen in der Erfahrung ihrer Führungsgremien widerspiegelt. Insofern bietet die Studie einige interessante Details. Kritikwürdig ist dagegen die einseitige Interpretation der dürftigen Daten zu den Arbeitnehmervertretern.

KRITIK AN DER MITBESTIMMUNGSPRAXIS_ Die Autoren diagnostizieren, die Internationalität der Unternehmensaktivitäten, gemessen an Umsatz und Mitarbeitern, korrespondiere nicht mit der Internationalität des Vorstandes und des Aufsichtsrates: "Die Internationalität der Führungsetagen hinkt der Internationalisierung der Unternehmensaktivitäten hinterher." Zudem verfügten die deutschen Aufsichtsräte kaum über Kontakte zu den Zukunftsmärkten Indien, Russland, China, Brasilien.
Neben diesen allgemeinen nützlichen Befunden zur Globalisierungstauglichkeit deutscher Unternehmen holen die Autoren zu einer Grundsatzkritik an der Mitbestimmung aus: Besonders gering sei die Internationalität der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Dieses, so Schmidt und Daniel, hindere sie daran, "die Gesamt-interessen des Unternehmens in allen Ländern - und nicht nur die Interessen der deutschen Belegschaft" zu vertreten.

Mit Blick auf die Qualifikation der Arbeitnehmervertreter heißt es kritisch: "Wenn Unternehmen aus Deutschland auf Märkten außerhalb Deutschlands erfolgreich sein möchten, dann brauchen sie auch in den Aufsichtsräten Persönlichkeiten, die international orientiert sind." Dass deutsche Unternehmen - sei es nun wegen oder trotz der bestehenden Arbeitnehmervertreteung - gerade auf ausländischen Märkten besondere Erfolge einfahren, bleibt dabei unerwähnt. Die Wissenschaftler halten es jedenfalls für geboten, "auf der Ebene der Unternehmensmitbestimmung über Änderungen nachzudenken."

EINSEITIGE INTERPRETATION DER ERGEBNISSE_ Die Forderung der Autoren, Kontakte auf ausländischen Zukunftsmärkten zu stärken, dürfte auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Auch die Forderung nach Internationalität in den Aufsichtsräten ist zu begrüßen. Der Beurteilungsmaßstab, der an die Arbeitnehmer angelegt wird, kann aber nicht überzeugen. Die Kritik an der Mitbestimmung ist in diesem Zusammenhang einseitig und auf problematische Grundlagen gestützt. Die Verfasser schreiben selbst, dass sich ihre Erkenntnisse über Arbeitnehmervertreter aufgrund eines schwachen Rücklaufs "auf nur sehr bedingt interpretierbare Daten zurückführen" lassen. Bei insgesamt 733 Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern der DAX-30-Unternehmen konnten Daten von 164 Vorstandsmitgliedern (88 Prozent der Zielpersonen) und 249 Anteilseignervertretern (89 Prozent der Zielpersonen), aber nur von 81 Arbeitnehmervertretern (30 Prozent der Zielpersonen) gewonnen werden.

Die Vergleichbarkeit der drei Gruppen - Vorstände, Anteilseignervertreter sowie Arbeitnehmervertreter - ist zweifelhaft, weil die Vergleichskriterien sich alleine an der Vita und am Habitus von Vorständen und Anteilseignern orientieren. Unterschiede sind aber in den Mitbestimmungsgesetzen angelegt. Die Kriterien verkennen die Werdegänge von Betriebsräten und Gewerkschaftsvertretern. Beispielsweise ist es selbstverständlich, dass Belegschaftsvertreter weniger Aufsichtsratsmandate im Ausland haben als Vorstände oder Anteilseignervertreter. Sie sitzen nicht in den Gremien ausländischer Tochterunternehmen. Andererseits lässt die Studie internationale Mandate in Europäischen Betriebsräten, Weltbetriebsräten oder in internationalen Gewerkschaftsorganen vollkommen außer Acht. Auch die zunehmende Internationalisierung der Arbeitnehmerbänke durch die Bildung von Europäischen Aktiengesellschaften (Allianz, Fresenius, BASF, Porsche) wird nicht erwähnt. Und, wie auch die Autoren der Studie anmerken: Bisher verhindern deutsche Gesetze weitgehend die internationale Besetzung der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat.

Das Anliegen der Repräsentation im Ausland beschäftigter -Belegschaften im Aufsichtsrat ist demgegenüber eine dringliche Forderung der Gewerkschaften, die auch in der Biedenkopf-Kommission vorgetragen wurde. In der Studie werden allerdings Fragen der Qualifikation mit Argumenten der internationalen Repräsentation durcheinandergeworfen. Internationale Ausbildung, Berufstätigkeit im Ausland oder zusätzliche Auslandsmandate führen gewiss nicht einfach dazu, dass Mitglieder in den deutschen Aufsichtsräten auch im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer vertreten, wie es die Autoren annehmen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ausländische Belegschaftsvertreter in die Aufsichtsräte gewählt würden. Der nationale Gesetzgeber könnte dies gesetzlich aber nur über Verhandlungs-lösungen oder durch die Einführung des passiven Wahlrechts für im Ausland Beschäftigte verbindlich regeln. Die Biedenkopf-Kommission kam hier nicht zu einem einvernehmlichen Ergebnis. Dazu bietet die Studie keine neuen Fakten.

Trotz der unzureichenden Datenlage zur Arbeitnehmerseite ziehen die Autoren weit reichende Schlüsse. Die einseitige Darstellungsweise zur Mitbestimmung bleibt zu kritisieren. Tendenziös ist es, wenn die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat des Motoren- und Maschinenbauers MAN mit einem Internationalisierungsindex von 0 Prozent gegenüber 29,5 Prozent auf der Anteilseignerseite abschneiden; einfach, weil von ihnen keine Daten vorlagen. Mit dem gleichen Recht hätte man der Arbeitnehmerseite 100 Prozent bescheinigen können. So kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Autoren pauschal die Qualität der Arbeitnehmerbank kritisieren wollen, ohne die Strukturen der Mitbestimmung zu berücksichtigen. Im Vorwort der Studie findet sich freilich eine unverfängliche Formulierung - die Ergebnisse, heißt es, sollten "auch in bundesdeutschen Unternehmen einen Impuls vermitteln, eine stringente und konsistente Internationalisierungsstrategie zu formulieren".

 

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