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Magazin Mitbestimmung

: Der Betriebsrat als Betriebswirt

Ausgabe 12/2005

Was tut man, wenn nach dem Willen des Managements wieder einmal alles im Unternehmen anders gemacht werden soll? Kritiker werden am ehesten gehört, wenn sie wirtschaftliche und politische Argumente verbinden.


Von Christof Balkenhol
Dr. Balkenhol ist Mitinhaber der Unternehmensberatung Matrix GmbH in München und berät Betriebsräte, Gewerkschaften und Unternehmen.
christof.balkenhol@t-online.de

In der Praxis der Mitbestimmung spielt die Betriebsratswirtschaft eine immer größere Rolle. Zahlreiche deutsche Unternehmen haben in den letzten Jahren mit Betriebsräten und Gewerkschaften über Standortschließungen, Produktionsverlagerungen und Outsourcing verhandelt. Oft waren die Verhandlungen verbunden mit der Diskussion um Lohnverzicht oder die Ausweitung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich.

Diese Themen sind nicht mehr auf akute Krisen und Sanierungsfälle wie KarstadtQuelle oder Opel beschränkt. Die jüngsten Verhandlungen zwischen dem Betriebsrat und dem Vorstand bei Volkswagen um den zukünftigen Fertigungsstandort für den kompakten Geländewagen "Marrakesch" zeigen, dass diese Themen mehr und mehr zum Dauerkonflikt bei der permanenten Verbesserung der Wettbewerbsposition vieler Unternehmen werden. Die Notwendigkeit solcher Konzepte wird von den Arbeitgebern fast immer betriebswirtschaftlich begründet.

Die Vertreter der Arbeitnehmer müssen die Plausibilität der Konzepte, die man ihnen vorlegt, fundiert beurteilen können. Dies gilt insbesondere bei Restrukturierungen und Betriebsänderungen. Denn wer dazu nicht selbst in der Lage ist oder sich das nötige Know-how verschafft, läuft Gefahr, bei den Verhandlungen über den Tisch gezogen zu werden. Sind die vom Unternehmen geforderten Einschnitte tatsächlich eine notwendige Voraussetzung zur langfristigen Stärkung und Absicherung der Wettbewerbsposition oder sind sie nur der Versuch, in einem erfolgreichen Unternehmen die Renditen durch einseitige Beiträge der Arbeitnehmer zu optimieren?

Ist das vorgelegte Konzept schlüssig, das heißt, kann die angestrebte Verbesserung aus Sicht der Betriebsräte mit den geplanten Maßnahmen - und nur mit diesen - tatsächlich erreicht werden, oder hätten andere Maßnahmen eine ähnliche betriebswirtschaftliche Wirkung, würden aber zu weniger einschneidenden Personalmaßnahmen führen?
Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, kann der Betriebsrat wirksam über Betriebsänderungen und einen möglichen Interessenausgleich verhandeln.

Mitreden - rechtzeitig und sachkundig
 
Obwohl das Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich eine Informationsphase vorsieht, beziehen viele Arbeitgeber ihren Betriebsrat jedoch erst relativ spät in Entscheidungen ein. Mit dem Hinweis auf die knappe Zeit versuchen sie dann, ohne intensivere Diskussion der Konzepte unmittelbar in die Verhandlungen - etwa um Sozialpläne - einzusteigen.

Da viele Betriebsratsgremien eher über juristisches Know-how verfügen als über betriebswirtschaftliche Detailkenntnisse, lassen sich die Arbeitnehmervertreter oft zu schnell auf die Verhandlungsebene der Sozialplan-Details ziehen: Kriterien für die Sozialauswahl, Abfindungsregelungen und Umzugsvereinbarungen sind zwar sehr wichtig.

Klug ist es aber, darüber erst dann zu verhandeln, wenn auch der Betriebsrat überzeugt davon ist, dass bestimmte Maßnahmen zwingend notwendig sind. Ergänzend können Betriebsräte ihre Initiativmöglichkeiten zu beschäftigungssichernden und -fördernden Maßnahmen nutzen.

Die betriebswirtschaftliche Plausibilität von Unternehmenskonzepten zu prüfen bedeutet nicht, eine wirtschaftliche Mitbestimmung im engeren Sinn durch die Hintertür einzuführen. Wenn aber von Betriebsräten konstruktive Zusammenarbeit gerade bei schwierigen Restrukturierungsvorhaben und Veränderungsprozessen gefordert wird, dann sollten sie auch das Recht haben, sich eine fundierte eigene Meinung zu bilden.

Wenn grundlegende Restrukturierungen und Betriebsänderungen eingeleitet werden, sollten die Management-Konzepte in der Regel zumindest vier Kernelemente enthalten, die die Grundlage der Information und der Verhandlung des Arbeitgebers mit dem Betriebsrat darstellen: die Zielsetzung der geplanten Restrukturierung, die Analyse der Ausgangssituation, die Darstellung und Bewertung von Handlungsalternativen sowie einen Umsetzungsfahrplan.

Die Praxis zeigt, dass die in den Projektunterlagen dokumentierte Ausgangssituation zwar häufig in ihren Grundlagen richtig ist, in Details aber nicht den aktuellen Stand des Unternehmens widerspiegelt. Dies gilt beispielsweise für die Ableitung von Personalkapazitäten und deren Zuordnung zu einzelnen Unternehmensbereichen.

Gerade hier sollten Betriebsräte aber genau hinsehen. Unstimmigkeiten sind in der Regel den Besonderheiten der Projektarbeit geschuldet: Unter hohem Zeitdruck werden Daten beschafft und zu einem Stichtag ausgewertet. Es bleibt kaum ausreichend Zeit, um die Daten im Detail zu überprüfen. Außerdem werden die Daten im Laufe eines Projektes häufig nicht mehr aktualisiert. Gerade hier kann der Betriebsrat durch eine detaillierte Prüfung der Daten eine wichtige Funktion bei der Qualitätssicherung im Interesse der Beschäftigten übernehmen.

Kein Konzept ist ohne Alternativen

Ist eine Restrukturierung geplant, sollten Alternativkonzepte entwickelt werden, mit denen die Projektziele unter Umständen ebenfalls erreicht werden können. In der Praxis kommt es darauf an, dass auch tatsächlich mehrere Alternativen geprüft wurden und nicht von Anfang an nur eine einzige Variante zur Diskussion steht. Hier lohnt es sich, nachzuhaken. Gegebenenfalls sollte der Betriebsrat auch in Erwägung ziehen, eigene Alternativvorschläge zu skizzieren und auszuformulieren.

Beim Armaturenhersteller Grohe im sauerländischen Hemer gelang es dem Betriebsrat mit Hilfe der Unternehmensberatung Management Engineers, einen Alternativvorschlag zu einem radikalen McKinsey-Plan auszuarbeiten, der nach dem Einstieg eines neuen Finanzinvestors von der Unternehmensleistung in Auftrag gegeben worden war. Dieses Gegenkonzept trug dazu bei, dass der ursprünglich geplante Stellenabbau von über 2000 auf zirka 950 Stellen reduziert wurde.

Welche Annahmen stecken im Konzept?

Beim Vergleich mehrerer Konzepte ist es besonderes wichtig, die Annahmen zu hinterfragen, die den einzelnen Szenarien zu Grunde liegen. Denn sie haben wesentliche Auswirkungen auf die betriebswirtschaftliche Ergebnisrechnung. Wenn etwa bei einer Standortentscheidung ein inländischer Standort mit einem ausländischen Standort verglichen wird, sind zahlreiche Prognosen notwendig: beispielsweise die erwartete Entwicklung von Personalkosten oder die zukünftige Belastung durch Steuern und Abgaben.

Gleichzeitig müssen Annahmen getroffen werden über Einmalaufwendungen zu Standorterschließung oder die Kosten einer Standortstilllegung. Darüber hinaus muss aber auch eine Abschätzung über die Geschwindigkeit vorgenommen werden, mit der ein neuer Standort produktiv wird, und mit welchem Koordinations- und Managementaufwand eine solche Anlaufphase verbunden ist.

Die Erfahrung aus zahlreichen Beratungsprojekten zeigt, dass eine intensive Diskussion über diese Annahmen die Qualität des Entscheidungsprozesses auf der Managementseite sichtbar macht. Außerdem hilft die Diskussion dem Betriebsrat, wirtschaftliche Argumente für eine abweichende Bewertung des vorgelegten Konzeptes zusammenzutragen.

Ist geklärt, was passieren soll, und wann?

Wenn das Restrukturierungskonzept in seinen Eckpunkten plausibel ist, bedarf es eines Umsetzungsfahrplanes: In welchen Zeitabschnitten werden welche Maßnahmen umgesetzt, um das Konzept in den Betriebsalltag zu übertragen? Welche internen und externen Ressourcen sind für die Umsetzungsphase eingeplant?

Hier liegt eine wichtige Schwachstelle in vielen Restrukturierungskonzepten: Die Fahrpläne sind einerseits oft vage und unpräzise - andererseits sind viele Pläne zu optimistisch: Der Bedarf an Zeit und Ressourcen wird unterschätzt. Die umfassende Kenntnis der Arbeitssituation im Betrieb versetzt Betriebsräte in die Lage, die Umsetzungspläne einem Realitätstest zu unterziehen und bei Bedarf darauf drängen, dass nur praxistaugliche Pläne verabschiedet werden.

Hierzu zählen auch systematische Ansätze, um den notwendigen Veränderungsprozess zu begleiten: Wie werden Mitarbeiter über die anstehenden Veränderungen informiert, wie werden sie auf neue Anforderungen vorbereitet, wie werden sie für neue Aufgaben qualifiziert und motiviert? Betriebsräte sollten darauf achten, dass es auf diese Fragen schlüssige Antworten gibt. Andernfalls ist das Risiko sehr groß, dass das Projekt in der Implementierungsphase Schiffbruch erleidet und dann zu einer Dauerbaustelle wird.

Es ist falsch, die politische Rolle zu verlassen

Auch wer als Betriebsrat intensiv in betriebswirtschaftliche Diskussionen einsteigt, sollte sich seiner politischen Rolle klar sein und nicht in die Rolle eines Management-Besserwissers schlüpfen. Es geht vielmehr darum, den sachlichen Hintergrund geplanter Veränderungen systematisch zu hinterfragen. Auf dieser Basis kann man dann mit dem Arbeitgeber um Alternativvorschläge ringen. Dieses Vorgehen wird umso notwendiger, je mehr sich die Selbstverständlichkeiten eines etablierten Verständnisses von Sozialpartnerschaft aufzulösen scheinen.

Nach Einschätzung vieler Betriebsräte sind insbesondere jüngere Manager kaum durch politische Argumente zu überzeugen, sondern sehr viel eher durch wirtschaftliche. Bei diesen Verhandlungspartnern werden sich vor allem diejenigen Betriebsräte Gehör verschaffen können, die eine intelligente Kombination von wirtschaftlichen und politischen Argumenten aufbauen können.

In vielen Unternehmen sind solche Entwicklungen zu beobachten. So verhinderten Arbeitnehmervertreter im Jahr 2004 die geplante Verlagerung der Handy-Produktion des Siemens-Werkes Kamp-Lintfort nach Ungarn - durch eine Mischung aus politischen Argumenten und Zugeständnissen insbesondere bei Arbeitszeit und Vergütung. Das Siemens-Beispiel macht allerdings auch deutlich, dass die Halbwertzeit solcher Ansätze mitunter sehr kurz sein kann. Anfang des Jahres 2005 wurde die gesamte Siemens-Handysparte an den taiwanesischen Konzern BenQ verkauft. Der Kampf der Argumente wird vermutlich in naher Zukunft erneut zu führen sein.





Herman Reutter, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats und Mitglied im Aufsichtsrat der KSB AG in Frankenthal: "Auch in einem gesunden Unternehmen sind wir mittlerweile ständig mit Projekten zur Reorganisation, Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung befasst. Wenn wir mehr Verantwortung übernehmen sollen, müssen wir uns auch intensiver mit den Inhalten der Managementkonzepte auseinander setzen." 


Oliver Zühlke, stellvertretender Betriebsratsvorsitzeder der Bayer AG in Leverkusen: "Politische Argumente bleiben für uns im Mittelpunkt - wir wollen nicht die besseren Manager sein. Es gibt aber gute Beispiele, wo wir auch mit wirtschaftlichen Argumenten am Ende den Vorstand überzeugen konnten. Gerade bei Projekten, wo es um reine Kostensenkung ging, konnten unsere Gegenkonzepte punkten."


Hans-Dieter Rüster, Gesamtbetriebsrats-Vorsitzender der
Hapag Lloyd Flug GmbH in Hannover:
"Wir stehen in einem intensiven Wettbewerb zu Billigfliegern. Kostenmanagement spielt daher eine wichtige Rolle. Wir sind ständig gefordert, uns mit betriebswirtschaftlichen Argumenten unseres Arbeitgebers auseinander zu setzen. Es reicht nicht mehr aus, auf Vorschläge des Managements nur politisch oder juristisch zu antworten."

 

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