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HBS Böckler Impuls

Atypische Beschäftigung: Unsichere Dienstleistungsarbeit

Ausgabe 14/2011

Unsichere Arbeitsverhältnisse haben sich gerade im Dienstleistungssektor ausgebreitet. Dass Dienstleistungs-Jobs oft prekär sind, liegt aber nicht in der Natur der Sache, sondern an fehlender Regulierung.

Die Dienstleistungsbranchen gewinnen gegenüber der Industrie immer mehr an Bedeutung, heute sind hier fast Dreiviertel der Beschäftigten tätig. Doch „ein Großteil der Beschäftigungsexpansion“ entfiel auf häufig schlecht bezahlte Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit, Solo-Selbstständige und befristet Beschäftigte, wie Gerhard Bosch und Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Qualifika­tion (IAQ) schreiben.

2009 war fast jedes vierte Arbeitsverhältnis in Deutschland ein atypisches, wobei nur Teilzeitarbeit mit weniger als 20 Wochenstunden unter diese recht enge Definition fällt. 1996 war erst ein knappes Fünftel der Jobs atypisch. Nach den Berechnungen der Wissenschaftler gehen über 90 Prozent der Zunahme auf den Dienstleistungssektor zurück. Eine einfache Erklärung wäre: Im Dienstleistungssektor gibt es weniger Möglichkeiten, durch Rationalisierung hohe Produktivitäts- und Ertragssteigerungen zu erzielen. Deshalb können Unternehmen hier zwangsläufig weniger Gehalt und Beschäftigungssicherheit bieten als die Industrie.

Diese These hielt einer näheren Überprüfung der IAQ-Forscher aber nicht stand: Internationale Vergleiche zeigten, dass Dienstleistungsarbeit nicht automatisch mit schlechteren Arbeitsbedingungen verbunden ist. So ist etwa der große Lohnabstand zwischen Industrie- und Servicebeschäftigten ein ausschließlich deutsches Phänomen – bei den durchschnittlichen Stundenlöhnen beträgt er hierzulande 6,60 Euro, während der Unterschied beispielsweise in Frankreich nur 60 Cent ausmacht. Zudem sind Beschäftigte des Service-Sektors in vielen anderen Ländern sozial besser abgesichert.

Die Qualitätsunterschiede zwischen Industrie- und Dienstleistungs-Jobs in Deutschland sind dem IAQ zufolge vor allem das Resultat von Regulierungsdefiziten: Anders als in den meisten Nachbarländern fehle ein gesetzlicher Mindestlohn ebenso wie allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge – wobei Letztere beispielsweise im Einzelhandel bis vor zehn Jahren noch üblich waren. Zudem mangele es an effektiven Maßnahmen gegen Lohndiskriminierung, etwa wirksame Equal-Pay-Regelungen für Leiharbeiter. Ein weiteres grundsätzliches Problem sehen die Wissenschaftler darin, dass die Mittel für Gesundheits- und Bildungs-Dienstleistungen oft nicht ausreichten. Problematische Arbeitsverhältnisse seien hier letztlich eine Folge unterfinanzierter öffentlicher Haushalte und Sozialversicherungen. Schließlich sei es „zwingend notwendig“, eine weitere deutsche Besonderheit abzuschaffen, die sicherer Arbeit im Wege steht: die Minijobs.

  • Teilzeit, Leiharbeit, befristet, Minijob: Solche Arbeitsverhältnisse sind im Dienstleistungssektor besonders häufig. Zur Grafik

Gerhard Bosch, Claudia Weinkopf: Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungssektor, in: WSI-Mitteilungen 9/2011.

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