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Magazin Mitbestimmung

: Mission Mineralwolle

Ausgabe 01+02/2012

BAUWIRTSCHAFT Millionen Altbauten in Deutschland sind energetisch nicht auf dem aktuellen Stand. Eine Herkulesaufgabe für Klimaschützer. Die IG BAU hilft dabei – mit Lobbyarbeit in Berlin, Weiterbildungen oder einfach durch ordentliche Arbeit auf der Baustelle. Von Andreas Molitor

ANDREAS MOLITOR ist Journalist in Berlin

Ein bisschen seltsam war Bernhard Bohr zumute, als er als junger Malergeselle zum ersten Mal jene neuartigen Dämmplatten an eine Hausfassade klebte. 1973 war das. Die vier Zentimeter dünnen Platten, so hatte der Meister ihm erklärt, sollten die Wärme im Haus halten. Über Energieverschwendung machte sich damals kaum jemand Gedanken, schließlich kostete der Liter Heizöl traumselige 20 Pfennig. Das Wort „Klimaschutz“ existierte noch nicht. Dann aber kam die erste Ölkrise, die autofreien Sonntage – und mit ihnen keimte das Bewusstsein, dass man mit Heizöl oder Gas sparsamer umgehen sollte. Vielleicht war es ja nicht falsch, die Häuser ein bisschen einzupacken. Vier Jahre später rückte Bohr seinem eigenen Haus, einem Altbau in Osnabrück, den er günstig erworben hatte, mit einer zehn Zentimeter dicken Schicht aus Mineralwolle zu Leibe. Die Nachbarn guckten skeptisch, als er die Platten vom Transporter lud. „Was macht der denn da?“, erinnert er sich an die Reaktion. „Manche Leute haben mich ausgelacht.“ Als er ihnen die Heizkostenabrechnungen seiner Mieter zeigte, lachten sie nicht mehr, sondern staunten. Warum verheizten sie in einer gleich großen Wohnung das Doppelte? Lag es vielleicht doch an der Schale, mit der Bohr sein Haus ummantelt hatte?

Auch vier Jahrzehnte nach der Montage der ersten Dämmplatte ist Bohr beruflich in Sachen Energieeffizienz unterwegs. Er arbeitet als Maler und Lackierer in der Osnabrücker Malerfirma Kampmeyer, die mittlerweile einen guten Teil ihres Geschäfts mit Gebäudedämmung macht. Von den 17 Beschäftigten sind übrigens zehn in der IG BAU organisiert – was der Firmenchef nach Kräften unterstützt. So kommen die Gewerkschaftsmitglieder bei ihm in den Genuss der vollen Weihnachtsgratifikation, die Nichtorganisierten kriegen die Hälfte. So etwas findet man auch nicht alle Tage. Bohr selbst ist Vorsitzender des Osnabrücker Ortsvereins der IG BAU – und trommelt engagiert für energieeffizientes Bauen und Sanieren.

ENERGIESPAREN ALS JOBMOTOR_ Während Bohr seinen Beitrag zum Klimaschutz vor allem auf der Baustelle leistet, beweist sich seine Gewerkschaft in der politischen Auseinandersetzung. Als die Bundesregierung vor zwei Jahren drauf und dran war, die Fördermittel für energetische Gebäudesanierung fast komplett zu streichen, stand die IG BAU in einer großen Koalition für den Klimaschutz in vorderster Reihe. Heute wertet die Gewerkschaft es auch als ihren Erfolg, dass der totale Kahlschlag verhindert werden konnte. Für die nächsten drei Jahre stehen jetzt je 1,5 Milliarden Euro bereit, die als Zuschüsse und Kredite über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ausgereicht werden – vor allem für den Wärmeschutz von Dächern, Wänden und Kellern sowie für den Einbau neuer Fenster und effizienterer Heizungen. Je größer der Energiespareffekt einer Sanierung, desto höher fällt der Zuschuss der KfW aus. Die IG BAU hätte die Förderung gern auf zwei Milliarden Euro pro Jahr aufgestockt. Experten gehen sogar davon aus, dass fünf Milliarden pro Jahr nötig sind, um die von der Bundesregierung angestrebte Verdopplung des Tempos bei der Gebäudesanierung zu erreichen. Für die Klimaziele der Regierung sind schnelle Fortschritte bei der Energieeffizienz am Bau genauso wichtig wie der forcierte Einsatz erneuerbarer Energien. Fast 40 Prozent der Energie gehen hierzulande für Heizung und Warmwasser drauf. Dabei entsteht rund ein Drittel der deutschen CO2-Emissionen.

Von einem höheren Sanierungstempo profitiert allerdings nicht nur die CO2-Bilanz, sondern auch die Beschäftigung in der Baubranche. In den vergangenen Jahren hat sich die Wärmedämmung zum Konjunkturmotor für das Bauhandwerk und die Baustoffindustrie entwickelt. Nach Berechnungen des Forschungszentrums Jülich sichert die energetische Sanierung gegenwärtig fast 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland. Gut 42 Milliarden Euro wurden hierzulande im Jahr 2010 in den Gebäude-Klimaschutz investiert – acht Milliarden mehr als in den Neubau. Die Faustregel: Ein Euro Förderung löst neun Euro private Investitionen aus.

INVESTOREN BRAUCHEN SICHERHEIT_ Die IG BAU fordert Planungssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen für Hauseigentümer und Bauherren. Vor allem die lange diskutierte und vom Vermittlungsausschuss ein ums andere Mal vertagte steuerliche Förderung müsse nun endlich beschlossen werden. Es geht um Steuererleichterungen für private Investoren im Umfang von weiteren 1,5 Milliarden Euro jährlich. „Das Hin und Her über die steuerliche Förderung hat dazu geführt, dass die Sanierungswilligkeit in letzter Zeit stark zurückgegangen ist“, urteilt Martin Mathes von der Abteilung Wirtschafts-, Bau- und Arbeitsmarktpolitik der IG BAU. „Die Leute spekulieren darauf, dass sie eine bessere Förderung bekommen, wenn sie noch ein paar Monate warten.“ So trug ausgerechnet die Ankündigung einer weiteren Steuerersparnis dazu bei, dass die Kreditzusagen aus dem KfW-Programm „Effizient sanieren“ in den ersten neun Monaten des Jahres 2011 rund 60 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres lagen.

Für ihre Klimaschutz-Kampagne hat die IG BAU Netzwerkpartner gefunden. Die „Klima-Allianz“ etwa, ein Bündnis aus mehr als 100 Organisationen – von der Aktionsgemeinschaft Artenschutz bis zum Zukunftsrat Hamburg – betreibt politische Lobbyarbeit und klärt mit ihrer Kampagne „Freiheizkämpfer“ beispielsweise darüber auf, dass energetisch nicht sanierte Wohnungen bis zu 80 Prozent der Heizenergie „stehlen“. Auch bei der Aktion „Haus sanieren – profitieren“ engagiert sich die Gewerkschaft. Das Angebot eines Gratis-Energieschnellchecks richtet sich vor allem an Besitzer älterer Ein- und Zweifamilienhäuser. Ein speziell geschulter Handwerker vermittelt in einer halben Stunde einen ersten Überblick über den energetischen Zustand des Hauses und erläutert mögliche Sanierungsschritte. Seit dem Start der Kampagne vor fünf Jahren wurden rund 200 000 Checks gemacht und Sanierungsinvestitionen von 2,6 Milliarden Euro angeschoben.

Aus gutem Grund hat sich die Diskussion um Energieeffizienz an Gebäuden in den vergangenen Jahren vom Neubau auf die Sanierung verlagert. Neue Häuser werden heute grundsätzlich wärmegedämmt. Die mehrfach verschärfte Energieeinsparverordnung zwingt die Bauherren dazu; ohne den Nachweis einer ausreichenden Wärmedämmung erhält niemand eine Baugenehmigung. Bei älteren Gebäuden ist der Standard weitaus schlechter. Rund drei Viertel der Wohnhäuser in Deutschland sind kaum oder gar nicht energetisch saniert. Die Bundesregierung will die Sanierungsrate von derzeit einem auf zwei Prozent pro Jahr steigern – was die IG BAU nachdrücklich unterstützt. Rund 360 000 Alt-Gebäude jährlich werden demnach künftig auf Energiediät gesetzt. Das bringt weit mehr als die feinsinnige Diskussion, ob 26 Zentimeter Dämmung bei einem Neubau ausreichen, oder ob es vielleicht doch 32 Zentimeter sein müssen. Im Visier haben die Klimaschützer die oft völlig ungedämmten Bauten der Großsiedlungen, errichtet in den 60er und 70er Jahren, die sich kostengünstiger und mit größerem ökologischem Entlastungseffekt sanieren lassen als kleine Ein- oder Mehrfamilienhäuser. Eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle ergab, dass große Wohnungsbaugesellschaften bei einer Vollsanierung eine durchschnittliche Verringerung des Energieverbrauchs pro Quadratmeter Wohnfläche um 32,3 Prozent erreichen. Kleinvermieter mit bis zu 20 Wohnungen schaffen dagegen im Schnitt nur 14,7 Prozent.

BEZAHLBARE MIETE TROTZ SANIERUNG_ Im Märkischen Viertel in Berlin, einer zwischen 1963 und 1974 errichteten typischen Großsiedlung für bis zu 50 000 Menschen, wird die Erkenntnis der Hallenser Wirtschaftsforscher gerade in die Praxis umgesetzt. Die Wohnungsbaugesellschaft Gesobau hat dort vor vier Jahren das derzeit größte Sanierungsprogramm im deutschen Wohnungsbau begonnen. Die Außenwände werden mit Mineralwolle neu eingekleidet, Dächer und Kellerdecken gedämmt, alte Versorgungsstränge herausgerissen, Bäder und Heizkörper erneuert. Durch die Sanierung von 13 000 Wohnungen innerhalb von acht Jahren soll der CO2-Ausstoß des Märkischen Viertels um 75 Prozent reduziert werden. Die Hälfte der Wohnungen hat die Modernisierung bereits hinter sich – was die CO2-Bilanz der Siedlung um 15 000 Tonnen entlastet. Die Gesobau beweist, dass die Mieten durch eine energetische Sanierung nicht zwangsläufig drastisch steigen müssen. Im Beispiel einer 72 Quadratmeter großen Wohnung stieg zwar die Kaltmiete durch die Modernisierungsumlage um 98 Cent pro Quadratmeter. Da aber gleichzeitig die Betriebskosten von 1,80 Euro auf 92 Cent sanken, müssen die Mieter eine Warmmieten-Steigerung von lediglich 12 Euro verkraften, von 560 auf 572 Euro. Und das bei deutlich mehr Wohnkomfort.

In vielen Fällen geht es für die Mieter nicht so glimpflich aus. Nicht selten wurden Modernisierungen in der Vergangenheit dazu missbraucht, sozial schwache Mieter zu vertreiben. Derzeit können Vermieter die Jahreskaltmiete um bis zu elf Prozent der Sanierungskosten erhöhen. Gemeinsam mit dem Deutschen Mieterbund plädiert die IG BAU für eine Reform, „die Mieter vor deutlichen Warmmietensteigerungen nach einer Sanierung schützt“. Ein Vorschlag: Energetische Sanierungskosten sollen künftig separat zur Kaltmiete ausgewiesen werden. Der Sanierungszuschlag dürfe maximal die Höhe der Energiekosteneinsparungen erreichen, die der Mieter durch die Sanierung hat – womit die Warmmiete unverändert bliebe.

Dass viele Mieter einer energetischen Modernisierung mit Skepsis begegnen, hat auch andere Gründe. In jüngster Zeit mehren sich die Berichte über Sanierungspfusch und Sanierungsschäden. Insbesondere der kürzlich ausgestrahlte NDR-Fernsehreport „Wahnsinn Wärmedämmung“ dürfte für Unruhe bei Mietern und Hauseigentümern, aber auch bei den Herstellern der meist aus Styropor gefertigten Dämmplatten geführt haben. Das Publikum wurde Zeuge eines Horror-Szenarios: Feuchtigkeit und gefährlicher Schwarzschimmel in der Wohnung, ökologisch bedenkliche Anstriche, Fassaden, die wie Zunder brennen. Auch kursieren zunehmend Berichte über Fantasie-Berechnungen von Energieberatern, bei denen die prognostizierte Einsparung höher ist als der bisherige tatsächliche Verbrauch. In Internetforen tobt mittlerweile ein Krieg der Argumente und Experten um Für und Wider des luftdichten Einpackens von Gebäuden. Die klassische Dämmstoffindustrie, der bislang jede Novelle der Energieeinsparverordnung Hunderte von Millionen Euro in die Kassen gespült hat, sieht sich in der Defensive – zumal es mittlerweile Alternativen gibt, beispielsweise Dämmplatten, die zu 95 Prozent aus Gips bestehen.

DIE GEWERKSCHAFT SETZT AUF QUALITÄT_ Im Hin und Her der Argumente setzt die IG BAU vor allem auf das Thema Qualifizierung. Die energetische Sanierung stellt neue Anforderungen an die Handwerkerfirmen und ihre Mitarbeiter. Es ist eben nicht damit getan, Häuser möglichst dick einzupacken. Elementare Kenntnisse der Bauphysik sind unerlässlich. Wer Dämmplatten an die Außenfassaden klebt, muss beispielsweise wissen, dass Wärmebrücken entstehen, wenn die Übergänge zu den Fenstern nicht lückenlos gedämmt werden. Sonst kann die Feuchtigkeit aus der Luft kondensieren; die Wasseransammlungen sind ein idealer Nährboden für die Sporen von Schimmelpilzen. „Bei der Sanierungs-Ausführung wurde in der Vergangenheit zu wenig darauf geachtet, dass weitergebildete und gut qualifizierte Arbeitnehmer eingesetzt werden“, urteilt Martin Mathes von der IG BAU. Die Leute sollen auf der Baustelle malochen, anstatt zur Schulung zu gehen. „In der energetischen Gebäudesanierung, wo man gut qualifizierte Arbeitnehmer braucht, sehen wir eine Chance, den Wettbewerb über den Preis in Richtung eines Qualitäts-Wettbewerbs zu entwickeln.“ Mathes denkt dabei auch an den Aufbau regionaler Energieeffizienz-Netzwerke aus Energieberatern, Architekten, Handwerkern und Bauunternehmen, die Weiterbildungen anbieten, beispielsweise zur Feuchtschimmel-Problematik.

Im südthüringischen Suhl haben die 3800 Handwerksunternehmen der Region aus Bau, Ausbau, Haus- und Gebäudetechnik ab Mitte des Jahres eine Anlaufstelle für die Qualifizierung in Sachen Bau und Klimaschutz. Dann eröffnet dort das Praxiszentrum Energieeffizienz und energetische Gebäudesanierung. Kernstück ist eine Demonstrationshalle mit Gebäudemodellen, an denen die Lehrgangsteilnehmer Sanierung im Maßstab 1:1 nachvollziehen können. Nicht zuletzt aus ihren Fehlern sollen die Teilnehmer lernen. „Es geht darum, dass sie sehen, was passiert, wenn man nicht fachgerecht arbeitet“, sagt Klaus Hering, Vizepräsident der Handwerkskammer Südthüringen und langjähriges IG-BAU-Mitglied. „Besser sie lernen es hier, als wenn sie die Fehler auf der Baustelle machen.“ Wenn es so weit kommt, kann man nur froh sein, wenn es einen aufmerksamen Gesellen gibt wie Bernhard Bohr. Der passt auf wie ein Schießhund. Dass seine Leute das Fugendichtband zwischen den Dämmplatten nicht vergessen, zum Beispiel. Sonst kommen Feuchtigkeit und Schimmel in die Wohnung. „Da achten wir drauf, absolut“, sagt Bohr. „Und wer das Fugendichtband vergisst, der kriegt ’nen Einlauf, den er so schnell nicht vergisst.“

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