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Lukas Haffert, 22.10.2020: Auf Nimmerwiedersehen, Schwarze Null?

Coronabedingte Milliardendefizite im Bundeshaushalt – das Ende der Schwarzen Null? Aber welche Prioritäten werden dann gesetzt? Zwar gibt es eine Vielzahl konkreter Forderungen, aber noch kein kohärentes neues finanzpolitisches Paradigma.

Ende September verabschiedete das Bundeskabinett den Bundeshaushalt für 2021 und die Finanzplanung bis 2024. Demnach rechnet die Bundesregierung nach dem Rekordminus im Jahr 2020 auch im Jahr 2021 mit einem beinahe dreistelligen Milliardendefizit. Danach soll das Defizit zwar wieder deutlich sinken, der Bundeshaushalt aber auch weiterhin in den roten Zahlen bleiben.

Signalisiert diese Planung das endgültige Ende der Schwarzen Null, die somit nicht mehr als eine Episode in der Geschichte der deutschen Haushaltspolitik bleibt? Welche fiskalpolitische Prioritätensetzung wird in diesem Fall an ihre Stelle treten? Oder sorgt der fiskalpolitische Umgang mit Corona für den endgültigen Triumph der Politik der Schwarzen Null, weil das Narrativ, sie habe eine solch entschlossene Krisenpolitik überhaupt erst ermöglicht, ihre Position als Fixstern der deutschen Haushaltspolitik legitimiert?

Corona als Gelegenheitsfenster

Prognosen, durch diese Krise werde „alles anders“, haben in Krisensituationen naturgemäß Hochkonjunktur. Wie kurz die Halbwertzeit solcher Prognosen sein kann, hat nicht erst die Weltfinanzkrise von 2008 gezeigt. Die damals angekündigte Renaissance des Staates währte keine zwei Jahre, ehe der Wechsel zur Austeritätspolitik allen entsprechenden Erwartungen ein Ende machte.

Offenbar gibt es also keinen Krisenautomatismus, der wie von selbst einen fiskalpolitischen Kurswechsel nach sich zieht. Allenfalls öffnen Krisen ein Gelegenheitsfenster, in dem ein Paradigmenwechsel möglich ist, sie führen ihn aber nicht selbst herbei. Welches neue Paradigma sich in einer Krise durchsetzt, oder ob das alte Paradigma die Krise unbeschadet übersteht, hängt wesentlich davon ab, ob es gut organisierte politische Akteure gibt, die das Gelegenheitsfenster zu nutzen wissen, und ob diese Akteure ein alternatives Paradigma anbieten können, das als geeignete Antwort auf die Krise erscheint.

Akteure, die die Schwarze Null kritisch sehen, gibt es in Deutschland mittlerweile ziemlich viele. So hatte sich bereits vor Beginn der Corona-Krise eine bunte Kritiker-Koalition zusammengefunden und dabei auch auf den ersten Blick unwahrscheinliche Alliierte wie den Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, gewonnen. Im Wesentlichen brachten diese Kritiker, mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, drei Argumente vor: Die Schwarze Null trage zum deutschen Außenhandelsüberschuss und damit zu ökonomischen Ungleichgewichten in Europa und der Welt bei, sie bedeute, dass der Staat unnötigerweise darauf verzichte, von historisch einmalig günstigen Finanzierungsbedingungen zu profitieren, und sie sei mitverantwortlich für den öffentlichen Investitionsstau.

Was diesen Kritikern bislang jedoch nicht gelang, war, ein positives Gegenbild zur Schwarzen Null zu formulieren. Zwar gibt es eine Vielzahl konkreter Forderungen – mehr Geld für Bildung, bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitsbereich, höhere Investitionen in die Bahn, usw. – die plausibel und populär sind, aber aus ihnen entsteht noch kein neues finanzpolitisches Paradigma, das an die Stelle der Schwarzen Null treten könnte. Es sind viele Puzzlestücke, aber sie fügen sich nicht zu einem klaren Gesamtbild.
Angesichts des Fehlens einer kohärenten politischen Alternative könnte die Corona-Krise daher auch genau den umgekehrten Effekt haben und zu einer weiteren Stärkung der Schwarzen Null beitragen. Das hat zwei Gründe. Zum einen belegt die leistungsstarke Reaktion des deutschen Staates auf Corona scheinbar, wie richtig und wichtig die Politik der Haushaltsüberschüsse war. Dadurch seien erst die Spielräume entstanden, die es jetzt ermöglichten, so kraftvoll auf Corona zu reagieren. Auch die vor Corona in die Kritik geratene Schuldenbremse kann mit diesem Argument rehabilitiert werden: schließlich habe die Pandemie gezeigt, dass sie flexibel genug sei, um einen angemessenen Umgang mit Krisensituationen zu ermöglichen.

Zum anderen kommt durch die enormen von Corona verursachten Haushaltsdefizite das Thema Staatsverschuldung wieder auf die politische Agenda. Die Schwarze Null, die ihren Nutzen als politisches Mobilisierungsinstrument zuletzt bereits weitgehend verloren hatte, bekommt damit eine zweite Luft. Welcher Finanzminister würde nicht gerne verkünden, die Rückkehr zu ausgeglichenen Haushalten belege, dass Deutschland die Coronakrise nun endgültig überwunden habe?

Ob es dazu kommt, dürfte nicht zuletzt vom Ausgang der Bundestagswahl 2021 abhängen. Paradoxerweise könnte es einer Bundesregierung unter der Führung der Union leichter fallen, sich dauerhaft von ausgeglichenen Haushalten zu verabschieden. Denn es ist leicht ausrechenbar, auf welch fundamentalen Widerstand der Opposition ein linkes Regierungsbündnis stoßen würde, das einen dauerhaften Bruch mit der Politik der Schwarzen Null vollziehen würde. Die Union, die ja gewissermaßen das politische Copyright an diesem Symbol hält, könnte hingegen mit viel größerer Glaubwürdigkeit dafür eintreten, weitere Defizite seien schlicht notwendig. Allerdings würde sie diese Defizite vermutlich zur Finanzierung ganz anderer Projekte nutzen als eine linke Regierung.

Allerdings hat auch die Union kein fertiges Alternativparadigma zur Hand, das sie im Fall eines dauerhaften Abschieds von der Schwarzen Null stattdessen verfolgen könnte. Vielmehr war die Schwarze Null für sie ja unter anderem deshalb so attraktiv, weil sie den Mangel an konkreten politischen Projekten kaschierte. Das heißt aber natürlich nicht, dass eine unionsgeführte Bundesregierung automatisch einen Investitionskurs einschlagen wird, nur weil sie sich nicht länger an der Schwarzen Null orientieren kann. Sollte die Union ihren aktuellen Höhenflug fortsetzen und ein schwarz-gelbes Bündnis in den Bereich des Möglichen kommen, wären Steuersenkungen der wahrscheinlichere Weg.

Die fehlende Alternative

Falls Corona das Ende der Schwarzen Null bedeuten sollte, wäre das eigentliche Ziel der Kritiker dieses fiskalpolitischen Paradigmas damit also noch nicht erreicht. Vielmehr stellt sich die entscheidende Frage, was an seine Stelle tritt, dann erst richtig. Das ist ein prinzipiell offener Gegenstand politischer Debatten, in denen diejenigen bessere Karten haben, die bereits eine politische Agenda haben, die sich mit der Krise gut verknüpfen lässt. Wer sich in diesen Debatten durchsetzen will, sollte sich also um ein fiskalpolitisches Leitbild bemühen, das nicht nur in negativer Abgrenzung zur Schwarzen Null formuliert ist, sondern als positives Ziel an deren Stelle treten kann.

Ein solches Leichtbild ist leicht zu fordern, aber schwer zu entwickeln. Ließe es sich so einfach formulieren, hätte die Schwarze Null schließlich gar nicht diese überragende Stellung entwickeln können. Es sollte sich aber in jedem Fall dadurch von der Schwarzen Null abgrenzen, dass es die Rolle der Haushaltspolitik vom Kopf auf die Füße stellt: indem es diese nicht als ultimatives politisches Ziel betrachtet, sondern als Instrument, um den eigentlichen politischen Zielen näherzukommen.


Die Beiträge der Serie:

Florian Blank und Daniel Seikel (06.10.2020)
Soziale Ungleichheit in der Corona-Krise. Eine Serie im WSI-Blog Work on Progress

Bettina Kohlrausch und Andreas Hövermann (06.10.2020)
Arbeit in der Krise

Elke Ahlers (07.10.2020)
Arbeitsschutz in der Corona-Krise: Hohe Standards für alle!

Philip Mader, Daniel Mertens, Natascha van der Zwan (08.10.2020)
Neun Wege, wie der Coronavirus den Finanzkapitalismus verändern könnte

Daniel Seikel (13.10.2020)
Die Corona-Krise und die Eurozone: Ausweg aus dem Nein-Quadrilemma?

Ingo Schäfer (15.10.2020)
Rente in der Krise? Keine Spur!

Maria Figueroa, Ian Greer, Toralf Pusch (16.10.2020)
Europas Arbeitsmärkte in der Corona-Krise: Kurzarbeit hat einen drastischen Einbruch verhindert

Elke Ahlers und Aline Zucco (20.10.2020)
Homeoffice - Der positive Zwang?

Lukas Haffert (22.10.2020)
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Florian Blank (23.10.2020)
Die Unordnung der Wohlfahrtsproduktion in Zeiten von Corona

Toralf Pusch und Hartmut Seifert (30.10.2020)
Kurzarbeit vs. Mehrarbeit in systemrelevanten Bereichen

Martin Behrens (03.11.2020)
Besser durch die Krise mit Tarif und Betriebsrat

Stephan Lessenich (09.11.2020)
Grenzen der Solidarität. COVID-19 und die Strukturen globaler sozialer Ungleichheit

Bettina Wagner (13.11.2020)
Corona und die deutsche Fleischindustrie – seit langem überfällige Reformen?

Aline Zucco und Bettina Kohlrausch (24.11.2020)
Was bedeutet die Pandemie für die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern?

Sonja Blum (16.12.2020)
Bildung und Betreuung in der (Corona-)Krise

Lara Altenstädter, Ute Klammer, Eva Wegrzyn (02.02.2021)
Corona verschärft die Gender Gaps in Hochschulen

Weitere Beiträge sind in Vorbereitung.

 

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Autor

Dr. Lukas Haffert ist Oberassistent am Lehrstuhl für vergleichende politische Ökonomie der Universität Zürich. Sein Forschungsgebiet sind Fragen der Fiskalpolitik, insbesondere die "schwarze Null" und der Einfluss der Fiskalpolitik auf institutionellen Wandel in entwickelten Ökonomien.

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