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Forscherin: Schuldenschnitte definitiv ausschließen : IMK: Euroraum derzeit geldpolitisch „keine stabile entwickelte Volkswirtschaft“ – Vertrauen in Staatsanleihen fehlt

17.03.2016

Die Europäische Zentralbank (EZB) allein kann den Euroraum nicht dauerhaft stabilisieren. Die hartnäckige Wachstumsschwäche lässt sich nur überwinden, wenn die Euro-Staaten deutlich mehr investieren. Und sie müssen ein zweites fundamentales Problem lösen: Solange Zweifel bestehen, ob einzelne Länder ihre Schulden zurückzahlen können, schwelt die Krise weiter. Nur die Politik kann das ändern: Die Euroländer müssen die Sicherheit von Staatsanleihen garantieren und Schuldenschnitte ausschließen. So ließe sich verlorenes Vertrauen in die Währungsunion wiederherstellen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Analyse von Dr. Silke Tober, Expertin für Geldpolitik am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

„Es ist kein Zufall, dass die Vertrauenskrise auf den Euroraum beschränkt blieb, statt auf andere entwickelte Volkswirtschaften wie die USA, Japan und Großbritannien überzugreifen“, schreibt die Wissenschaftlerin. Die Ursache liege nicht darin, dass die Staatsschulden im Euroraum insgesamt oder in den am stärksten betroffenen Euroländern besonders hoch wären. Die Schuldenstandsquote im Euroraum erreichte den bisherigen Höchststand im Jahr 2014 mit 94 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, verglichen mit 105 Prozent in den USA und 246 Prozent in Japan.

Das grundsätzliche Problem des Euroraums bestehe darin, dass er „aus monetärer Sicht keine stabile entwickelte Volkswirtschaft ist“, so Tober. Dafür müssten Währung und Staatsanleihen wirklich „sichere Wertaufbewahrungsmittel“ sein. Dies treffe jedoch nicht für alle Anleihen der 19 Mitglieder zu, obwohl die Renditen der Staatsanleihen infolge der verschiedenen geldpolitischen Maßnahmen der EZB derzeit niedrig sind. Investoren müssten bei einigen Ländern stets die Umschuldung von Staatsanleihen oder den Austritt aus dem Euroraum fürchten. Es liege auf der Hand, argumentiert Tober, dass Wertpapiere, die solchen Risiken unterliegen, aus Sicht von Marktteilnehmern nicht hinreichend vertrauenswürdig sind. Diese Unsicherheit überträgt sich auch auf andere Bereiche. So komme es beispielsweise zu „negativen Rückkopplungen zwischen dem Staatssektor und dem Bankensektor“, schreibt die IMK-Expertin. Schließlich halten die Banken oft große Mengen an Staatsanleihen. Fallen die Kurse der staatlichen Schuldtitel, wirkt sich das negativ auf die Aktivseite der Bankbilanzen aus. „Damit tragen die Staatsanleihen nicht zur Stabilität, sondern im Gegenteil zur Instabilität bei.“

Die EZB habe es zwar – entgegen aller Kritik – mithilfe einer expansiven Geldpolitik geschafft, die Renditen europäischer Staatsanleihen zu drücken, erklärt Tober. Auch fließe durch den Ankauf öffentlicher Anleihen zusätzliche Liquidität in das Finanzsystem. Dennoch gerate die Zentralbank an ihre Grenzen. Sowohl die Zinspolitik als auch die Wertpapierkäufe wirkten nur indirekt und nicht stark genug, um für Wachstum und steigende Preise zu sorgen. „Die Geldpolitik als einzige expansive makroökonomische Kraft reicht nicht aus“, schreibt die Forscherin.

In der aktuellen Situation, in der nicht nur der Euroraum als Ganzes, sondern mit Deutschland auch das Land mit dem kräftigsten Wachstum und der niedrigsten Arbeitslosigkeit deutlich unter dem Inflationsziel liegt, müsse daher die Fiskalpolitik mit Investitionen einen nennenswerten Impuls setzen. Damit ließe sich direkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigern und die private Investitionstätigkeit anregen, zum Beispiel mittels ohnehin benötigter Infrastrukturmaßnahmen. Die Rahmenbedingungen dafür seien eigentlich extrem günstig: „Die Zinsen sind gegenwärtig im Euroraum insgesamt sehr niedrig und Deutschland bekäme von den Anlegern sogar Geld dafür, einen mittelfristigen Kredit aufzunehmen.“

Längerfristig müsse aber unbedingt das Vertrauen in die Staatsanleihen aller Euro-Länder wieder hergestellt werden. Nach Ansicht von Tober hat die europäische Politik selbst dazu beigetragen, dieses Vertrauen zu untergraben: Es sei ein Fehler gewesen, Schuldenschnitte zu befürworten und Umschuldungsklauseln schon bei der Ausgabe von Staatsleihen festzuschreiben. Die Forderung der Bundesbank, die Sonderregelung für Staatspapiere bei der Bankenregulierung aufzuheben, wäre „der nächste politische Schritt zur Aushöhlung des Sonderstatus von Staatsanleihen als sichere Aktiva“.

Dabei sei genau das gegenteilige Signal gefordert: eine Verlautbarung der Regierungschefs, „dass staatliche Schuldenschnitte im Euroraum aus dem wirtschaftspolitischen Werkzeugkasten verbannt werden“. Dies könne eine mindestens ebenso große Wirkung haben wie das „Whatever-it-Takes“ von Mario Draghi, mit dem der EZB-Chef 2012 die Finanzmärkte beruhigte.
„Wirtschaftliche Stabilität setzt eine ausreichende Menge sicherer Aktiva voraus. Staatsanleihen sind potentiell am ehesten geeignet, weil der Staat die Steuerhoheit hat“, argumentiert Tober.

Gelinge es, sie als sichere Anlageform zu etablieren, profitierten die Steuerzahler von niedrigen Zinsen. Gelingt es nicht, müssten Alternativen gefunden werden, wie beispielsweise die Schaffung sogenannter European Safe Bonds (ESBies), die jüngst von prominenten Ökonomen ins Spiel gebracht wurden. Dabei würden Staatsanleihen der Euroländer beispielsweise von einer gemeinsamen Schuldenagentur am Markt gekauft, so dass ein diversifiziertes Portfolio entstünde. Dieses würde anschließend auf neue Wertpapiere verteilt. So entstünden strukturierte Anleihen unterschiedlicher Güte: Es gäbe auf der einen Seite sehr sichere Papiere, die auch den Staatsbankrott eines Euro-Landes überstehen, und sich damit auch als Geldanlage für Banken und Versicherungen eignen. Auf der anderen Seite würden im Falle eines Schuldenschnitts nur diejenigen Verluste erleiden, die in nachrangige European Junior Bonds (EJBies) investiert haben.

Weitere Informationen:

Silke Tober: Geldpolitik der EZB: Stabilität ohne „sichere“ Staatsanleihen?(pdf) IMK-Report 112, März 2016.

Videostatement von Dr. Silke Tober

Kontakt:

Dr. Silke Tober
IMK, Expertin für Geldpolitik

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

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